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Nr. 137 Mittwoch» 17. Juni 1914 9. Jahrgang Diese Nummer umfaßt 8 Seite«. Die Einnahmen der Retchspost und Telegra phenverwaltung beziffern sich für 1913 auf 833,3 Millionen Mark, gegenüber dem Vor anschlag von 842,4 Millionen. Das Wichtigste vom Tage. In Neustrelitz fanden gestern die Beisetzung», feterltchkeiten Mr den Grvßherzog Adolf Friedrich V. statt. Der Kaiser und viele Mast- ltchkeiten nahmen daran teil.*) " > > Das preußische Herrenhaus hat in feiner letzten Sitzung vor den Ferien die preußisch« Besvl- dungsnovelle angenommen. SchwurgerichtoäerSchöffengericht? Vom Wirll. Geh. Rat «r. Petris UrtterstaatSsekretär a. D. (Straßburg). Ueber diese interessante Zeitfrage verbreitet sich in der neuesten Nummer der Deutschen Jurtstenzet- tung der frühere verdienstvolle Letter de» Justiz- und Kultusdepartements der elsaß-lothringischen Ne gierung, Wirll. Geh. Rat Dr. Petri. Wir ent nehmen seinen Ausführungen folgende Absätze: Ein aufsehenerregender Schwurgerichtsprozeß, der unlängst im Osten des Reiches verhandelt wurde und mit der Freisprechung des Angeklagten endigte, hat aufs neue zu Erörterungen über di« Frage der Erhaltung oder Abschaffung des Schwurgericht» Anlaß gege- Die sozialdemokratischen Wahlveretne Groß-Berlins faßten eine Entschließung zu gunsten eine» Massenstreiks. Di« von den Mächten beschlossene Flotten ko nzen- trierung vor Durazzo ist bereit» im Gange; von deutscher Seite wird der klein« Kreuzer Breslau entsandt.*) , Die serbische Militärverwaltung hat noch der Meldung Fines Belgrader Blatte» den alba nischen Aufständischen Geschütze und Mu nition zur Verfügung gestellt.*) -I riübere« st«h« an and,«, IM»* Mutmaßliche Witterung am 18. Juni; Zeit«« st auffrischend Westwind«, wolkig, veränderliche Temperatur, Gewitter und Niederschlag. "WO Oberstleutnant von Aolkrabe. Erzählung von Tnrt Kühn» Nachdr ck «rtoien Nee, nee! Immer wie Napoleon der Jvoße: Seinem Stern vertrauen! Da» ist mein »Standpunkt von jeher ge wesen. And dann wie der olle Blücher: Feste druff! — Oberstleutnant van Kolkrabe leerte sein Glas. Da» Biwak- feuer warf seinen zuckenden Schein Wer die Zelte und Gruppen von Offizieren, die auf FMtühlen,-in ihre Kragtznmäntel gehüllt, um diesen saßen. Drüben Vagen die Mannschaften, schürten die Feuer oder liessen auf und ah, sich zu erwärmen. Es war ein kriegsmäßige» Bijwak und Ge sang und alle Unruhe verboten. Auch der feierliche Zapfen streich kam in Fortfall. Hoffentlich gibt« bald Parole, fuhr Oberstleutnant von Kolkrabe fort, ich möchte in mein Zelt kriegen. Kriege schon kalte Veen«. Da kam der Regiment», schreiber daher. He! Parole schon >vaus? rielf Kolkrabe. Jawohl, Herr Oberstleutnant, versetzte der Sergeant, hier Befehl jfür Herrn Oberstleutnant. iKoMrade ritz den Be fehl auf. Alsa, meine Herren, «freuen Sie sich: Ich führe morgen da», Regiment. Abmarsch vier Uhr früh. Straß.- nach Launenburg. Reiben Sie sich die Witze tüchtig mit Salizqltalg ein. Die Leutnant» -lachten, mochten ihr« Ehrenbezeugungen und krochen in ihre Lustigen Behau sungen. Oberstleutnant o. Kolkrabe blieb noch «inen Augen blick am Feuer stehen. Da» war ja ein« toll« Geschichte. Da» Infanterieregiment von Steinbach sollte die linke Flügeldeckung der vormarschterdenden Division biOien. E, sollte selbständig operieren, «her natürlich im geeigneten Moment in der geeigneten Stellung sein- Doch nicht schlecht, murmelte Kolkrabe, um so mchr, al» über den geeigneten Moment und Vie geeignete Stellung die Meinungen immer auseinandergingem Dazu dv» RügimentMkel al» Adju tanten! Diesen Spitznamen führte der Regimentachjutant gemeinhin. Tin stark süffisanter Herr, dem solche HaWqgan und Exerziermeister, wie-der alte Kolkrabe, eiffe Gefahr für die Arm« bedeuten. Ra, schadet nistht! schloß Oberst» ben. Die Frage ist zwar nicht von aktueller Bedeutung, da sie nur mit der Gesamtreform unsere» Strafprozesses gelöst werden kann, die Inangriffnahme diese» Werke» aber noch einige Jahve auf sich warten lassen wird; nichtsdestoweniger dürfte es angebracht erscheinen, sie gelegentlich wieder aufzugreifen und sie nicht ganz zur Ruhe kommen zu lassen. Da» Hauptmnckwäl de» Schwur- gericht» ist dessen Teilung in zwei getrennte Organe, die Gefchworenenbank, die Über die Gchuldfrage und das aus rechtsgelehrten Richtern bestehende Kollegium, da über die Straffrage zu befinden hat. In dieser heute be stehenden Trennung, bet der die Entscheidung der sowohl die Rechts- als die Tatfrage umfassenden Schuld fvage den Laten allein zu überlassen ist, liegt di« Haupt ursache der Uebefftände, die mit dem Institute de» Schwurgerichts verbunden sind und die im Laufe der Jahrzehnte bis in die neueste Zeit durch drastische Bei spiele, wie durch mächtige Scheinwerfer, allenthalben illustriert wurden. Diese Uebelstände sind die unabwend bare Folge des System» und lassen sich nur mit dem Sy steme selbst beseitigen. Alle Mittel, die die Gesetzgebung zu deren Perhütung ersann, haben sich nicht nur alS durchaus unzulänglich erwiesen, sondern noch weitere Nachteile hervorgebracht. Eine schwerwiegend« Folge der Spaltung de» Schwurgerichts besteht darin, daß die Laien bet der Beurteilung der Straffrage gänzlich aus- geschaltet sind; die Entscheidung dieser Frag« ist aber in Ansehung sowohl der Strafart al» de» Strafmaße» für den Angeklagten von großer Tragweite; st« ist nicht selten ebenso wichtig al» die Schuldfrage, ja in den gäl- len, in denen der Tatbestand völlig klargestellt und der Angeklagte geständig ist, die einzig« Frage, um die sich im Grunde der ganze Prozeß dreht. E» ist schwer zu be greifen, daß gerade diejenigen Stimmen, die für die Mit- Wirkung der Laien bei der Strafrechtspflege sich beson der» laut vernehmen lassen, nicht einmütig gegen ein System Verwahrung einlegen, bet welchem die Straf zulassung ausschließlich in den Händen der Beruftrich- ter liegt, denen dadurch die Möglichkeit gegeben ist, «inen nach ihrer Ansicht zu milden oder auch zu strengen Wahr- sprach gewissermaßen zu korrigieren. Damit ist aber die Aufzählung der mit dem Schwur gericht verbundenen Nachteil« keineswegs erschöpft. Da» schwurgerichtliche Verfahren bietet da» Unikum in der Rechtspflege, daß der Wahvfpruch der Geschworenen also gerade die folgenschwerste EntscheiduM, die ein Gericht zu treffen berufen sein kann, n^ch t mit Grün den zu versehen ist. Eine ferner«, unseren Rechts einrichtungen und unserem Rechtsbewußtsein widerspre chende Eigentümlichkeit de» schwurgertchtlichen Verfah ren» ist da» der Staatsanwaltschaft und den Angeklagten zustehende Recht, einen Teil der Geschworenen ohne Angabe von Gründen abzulehnen, also au» der Zahl der einberufenen Laien die Geschworenenbank nach leutnant v. -Kolkrabe seinen, Monolog. Immer wie Napo- lean der Jrohe: Seinem Stern vertrauen! Und wie her olle Blücher: Feste druff! Punkt vier Uhr früh stand Vas Regiment in Tief- kolanns marschbereit. Es war noch Nacht, und dichter Herbstm-bel lag über Berg und Tal. Oberstleutnant v Kolkrabe saß auf seiner Stute Herzliebchon, den Kragen feines Mantel» hochgeschlagen; seine scharfen, klaren Augon blickten über die Adlernase und den rötlichen Schnurrba t in don sich nur andeutungsweise da» erste Grau mischte, durchdringend in die Nacht. Neben ihm, auf einem schnit tigen Fuchs mit geschorener Mähne und zu einem Nichts gestutztem Schwanz, hielt der Regimentsadjutant von Weißenbach, ein schlanker H*rr, mit bleichen Zügen und kalten Augen. Gin dumpfe» Rollen tönte auf der Land straße, das dampfe Klappern zahlreicher Huse. Di« -Ar tillerie! bemerkte der Adjutant. Sehr richtig! versetzte Kolk- kvabe. Die Seitendeckung war durch einen -letzten Befehl, nicht gerade zur Freude Kolkrabe», zu einer selbständigen Abteilung mit gemischten Waffen gemacht worden. Kolk- "rabs unterrichtete seine Unterführer von der Gefechtslage, und Va» Detachement setzte sich in Matsch. Stumm, ohne Spiel zu rühren^ zogen die Kolonnen-dahin. Solange wir die feste Landstraße unter den Füßen haben, sagte Kolkrabe, jeht -ja di« Jeschicht«. Aber nachher, -wenn wir durch Vie großen Sümpfe bei Dembitz müssen, können wir uns Lei dem Sstbel höllisch verbuttern. Ein Lächeln, zuckte um die schmalen Lippen de» Adjutanten. Wir haben ja «Karten, versetzte er, und wir haben sie gründlich studiert. Kolkrabe pfiff durch seine Zähn« und erwiderte nicht». Ich hätte einen tadellosen Plan, fahr der.Adjutant mit überlegenem Lächeln fort, wir lasten da» ganze Sumpfland rocht» biegen und marschieren über Nauendorf nach Dembitz. Di« Dem- bitzer Höhen bieten ein oo-zügliche» Au-falltor in den Rücken de» Feinde». Lieber Freund, versetzte Kolkrabe, wann «ollen Eie denn da amommen? Da» ist ja ein heilloser Machst Nee! her kürzeste Mag äst nach meiner Meinung der Veste. Mr marschieren immer dick« durch, frühstücken bei Fra» v. Stalding im Dembitz und stürzen Gutdünken züsamimenzusetzen. Jeder, der Mit dem schwur- gerichtlichen Verfahren nur Änigermaßen in Berührung gekommen ist, weiß, daß bei der Ausübung des Ableh- nungsrechtes, das in weitem Umfange die Möglichkeit gewähren soll, ungeeignete oder befangen« Element« fernzuhalten — ein Mißtrauensvotum Übrigens, das der Gesetzgeber.selber dem von ihm geschaffenen Institut enteilt! — vielfach nicht» weniger als sachliche, von dem Streben nach Ermittelung der objektiven Wahr heit eingegebene Gründe maßgebend find; in manchen Fällen kann geradezu von einer mißbräuchlichen Aus bildung des AblehnungSvechteS gesprochen werden. Auch diese Einrichtung ist mit dem Schwurgericht so innig verwachsen, daß sie, solange es besteht, sich nicht besei tigen läßt. Das System, aus dem das schwurgerichtlich« Verfahren aufgebaut ist, bringt e» endlich mit sich, daß die Urteile des Schwurgerichts nicht der Berufung unterliegen. Daß unser hurtiger Strafprozeß auch in Ansehung der Berufung an Shsternlosigkett leidet und bedenkliche Lücken aufwetst, ist in den Wettesten Kreisen längst empfunden worden; die allgemein« Meinung geht daher mit Recht dahin, daß zu den wichtigsten Auf gaben der Strasprozeßreform die Einführung der Be rufung gegen die Urteile der Gerichte mittlerer Ord nung (Strafkammern) gehört. Di« triftigen Gründe, die dafür ins Feld geführt werben, lassen sich aber ohne wei teres Mf di« schwurgerichtlichen Urteile übertragen. Dor Apparat, mit dem das Schwurgericht umgeben ist, bietet, auch abgesehen von allen seinen nachteiligen Neben erscheinungen, keineswegs ein« so bestimmte Gewähr für die übj«ktive Richtigkeit seiner Urteile, daß e» bet ihm und nur bet ihm überflüssig erscheinen könnte, ein« sachliche Nachprüfung zuzulassen; « liegt tm Gegen teil ein offenbarer Widerspruch darin, daß da» Rechts mittel der Berufung in den Sachen ausgeschlossen ist, tn denen es sich um die Verhängung schwerer Zuchthaus- strafen, ja um ein Menschenleben handeln kann, während es jedem -usteht, der zu etner noch st) geringen Haft oder Geldstrafe verurteilt wurde. Allerdings hat da» Schwurgericht trotz seiner Mängel seine Volkstümlichkeit noch nicht etngebüßt. Die» ist aus seiner historischen Ent wickelung durchaus erklärlich. Als das Institut au» Eng land, wo übrigen» der Richter mit viel weitergehenden Befugnissen ausgestattet ist al» bet un», Über Frankreich Mit der freiheitlichen Bewegung de» Jahre- 1848 sei nen siegreichen Einzug in Deutschland hielt, war es in der Tat eine wertvolle Errungenschaft, ein epochema chender Markstein auf dem Wege, der zur Erringung ei- neS der modernen Zeit angepaßten Strafprozesses führen sollt«. Inzwischen aber ist unser« Rechtsentwickelung — hier auch Deutschland voran!«— weit« vorwärts geschrit ten: sie hat un» die SchöffengerichtSverfaf- sung gebracht, die dem Latenelemente den ihm gebüh renden überwiegenden Einfluß sichert und zugleich von uns dann in» iKampfgewühh Herr Oberstleutnant ge» statten, versetzte der Adjutant, wenn nun aber Ute Brücke bet Dembitz besetzt ist? Ein Bataillon kann un» La auf. halten, weil wir uns in dem Lumpfgeckände nicht entwickeln können! Kolkrabe dachte nach. Misten Sie was? sagte er. die Brücke ist nicht besetzt. Auf dem Wege erwartet un» kein Mensch. Die Idee ist viel zu etinstlch.da kommen di« jelohrten Herrn nicht drauf. Außerdem haben Mr zwei Stunden Dorsprung. Also los! Kolkrabe hatte seinem dicken Herzliebchen die Sporen gegeben , und war in einem stuckrigen Trab zur Spitze ge ritten- dir schon von der Landstraße ahgebogen war und auf einem Damm, den auf beiden, Seiten knorrige Weiden etnfaßten, dahin marschierte. Zu beiden Seiten zogen sich nasse Wiesen . Etwa» bänglich wurde KoMrabe doch. Wenn der Feind die Schlinge -uzog, saß er in einer schönen Mause falle mit feiner ganzen Streitmacht. Adieu dann, bunter Rock! Vorwärts, Kerls! trieb er feine FiWtere, heute -müßt Ihr .laufen wie die Windhunde. Der Adjutant lächüte und hüllte sich tm übrigen in eisige« Schweigen. Eine famos». Frau, di« Frau von Stalding, wandte sich iKockkvab» an ihn, finden Ei« nicht auch? Jawohl, »ersetzte der Ad jutant mit seiner gewöhnlichen Zurückhaltung. -Ein lauern- der Blick traf dein Oberstleutnant. Der war mit seirwn Gedanken beschäftigt. Er war seit Jahren Witwer, hatte seiner Marie, mit der er nur zwei Jahre verheiratet ge- wesen, di« lange Treue gehalten. Ihr einziger Junge war jetzt -um Offizier befördert worden und selbständig. Warum sollte er eigentlich nicht daran denken, in einer zweiten Sh« einen Rost Sonnenschein in sein einsame» Hau» zu lenken? Und Frau von Stalding, ebenssall» verwitwet, war wirk- -sich «eine entzückende Frau, heiter, gemütlich und — «ich Kein ausschlaggebender Grund, über -auch kein Fehler. Kolkrabe streifte mit Haldem Blick den Adjutanten an seiner Seite. Merkwürdiger Mensch,kackt M« »im Hundenase, dacht« er. G» wundert mich, fuhr der Ob«rstl«utnant fort, daß sich Frau von Staldtna nach nicht wieder «Heiratet «hat. Sie ist doch «im glänOstde Parti», Jawohl, aew isetzt« Weißenbach. Seim Mag« keuchtet« auf. Frau o. Tageblatt Mzeiger für -as Erzgebirge mit -er wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Mer Sonntagsblatt. M Spr»chstu»s» »er «»Satti»« mit flmnahm» Ser Sonntag» nachmittag« 4-S Uhr. — L»i»gramm-flSr»ff», Tagrblatt fiurvkzgrbirg». Hmstmchvt SS. «»»«n »rstrUm,«, für unvrrlangt ringrsanSt» Manuskript» kann prwühr nicht g»i«isk»1 kvrr-m.