Volltext Seite (XML)
Zweites Blatt. Tharandt, Aossen, Sieömtehn und die Amgegenden. Amtsblatt für die Rgl. Amtshauptmannschaft Aleißen, für das Rgl. Amtsgericht inrd den Stadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Rgl. Forstrentamt zu Tharandt. Lokalblatt für Wilsdruff, Alttanneberg, Birkenhain, Blankenstein, Braunsdorf, Burkhardtswalde, Groitzsch, Grumbach, Gruno bei Mohorn, Helbigsdorf, Herzogswalde Mit Landberg, Höhndorf, Kaufbach, Kesselsdorf, Kleinschönberg, Klipphausen, Lampersdorf, Limbach, Lotzen, Mohorn, Miltitz-Roitzschen, Munzig, Neukirchen, Neutanneberg, Niederwartha, Oberhermsdorf, Pohrsdorf, Röhrsdorf bei Wilsdruff, Roitzsch, Rothschönberg mit Perne, Sachsdorf, Schmiedewalde, Sora, Steinbach bet Kesselsdorf, Steinbach bei Mohorn, Seeligstadt, Spechtsbausen, Taubenheim, Unkersdorf, Weistropp, Wildberg. Erscheint wöchentlich dreimal und zwar Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. — Bezugspreis vierteljährlich 1Mk. 30 Pf., durch die Post bezogen 1M.54 Pf. Inserate werden Montags, Mittwochs und Freitags bis spätestens Mittags 12 Uhr angenommen. — Jnsertionspreis 15 Pfg. pro viergespallme Lorpuszeile. No. 143. Druck und Verlag von Martin Berger in Wilsdruff. — Verantwortlich für die Redaktion Martin Berger dafeW. Donnerstag, den 11. Dezember 1W2. «1. Jahrg. Besiegt. Weihnachtsgsschichte von S. Halm. (Nachdruck verboten.) Ueber der steifgefrorenen Erde wölbt sich blau die mit lichlen Lämmerwolken bestreute Himmelskuppe. Wenn die Kälte, der schneidendscharfe Norbost nicht wäre, man könnte sich versucht fühlen, an einen schönen Märztag zu glauben; denn die Sonne leuchtet so golden; aber an den Slraßenenden stehen frierend, immer von einem Fuß aus den andern tretend, die Weihnachtsbaumhändler, die Holz pantoffeln der Straßenjugend klappern eilig über die Fliesen des Bürgersteiges und überall sieht man rolhe Nasen, selbst die des in seinem Nerzpelz dahinstolzirenden reichen Mannes leuchtet in derselben Farbennuance aus dem kost baren, hochgeschlagenen Kragen hervor, oder sollte vielleicht der Argwohn, der eine andere Herkunft schnöde wittert, doch nicht gar so unberechtigt sein? Franz Ferdinand Seibold, der erste Großindustrielle der Stadt, sieht finster vor sich hin. Er geht gleichgültig an den ihre Bäumchen anpreisenden Verkäufern vorbei, schiebt einen etwas zudringlich Hampelmänner darbietenden Knirps unfanft bei Seite und stürmt weiter. Es ist Weihnachtsabend. Franz Ferdinand Seibold ist durchaus nicht in rosiger oder gar weihnartsfreudiger Stimmung; ganz im Gegen theil, erlist wüthend, Aerger über Aerger hat er heute ge habt. Sein Schwiegersohn will Geld und immer wieder Geld; einer seiner Angestellten ist gestern mit einer, wenn auch nicht allzuhohen Summe durchgebrannt und nun noch der Aerger über seinen einzigen Sohn. Ha ... . der Grübelnde erschrickt selbst beim Ton dieses unharmonischen kurzen Auflachens. Als wenn er nicht schon bereut hat, daß er einem seiner Kinder eine Liebesheirath gestattet hat!! Na, die Era war schließlich ein Frauenzimmer, und Mionie. 49 Roman von H. V. §chrribtk5h0ft«. „Ich dächte, Sie wüßten so gut wie ich, wie wenig Er folg vernünftige Vorstellungen bei Antonie haben," sagte sie endlich sehr ruhig. „Außerdem ist eS doch wohl gut, ihre viele freie Zeit mit irgend etwas auszufttllen. Sie könnte sonst auf noch thörichtere und weniger harmlose Gedanken kommen, als sich ein neues Kostüm machen zu lassen." Der Hosmarschall sah sie starr vor Erstaunen an. „Wie, Gräfin! Ist das Alles, was Sie darüber zu sagen haben! Giebt es denn nicht eine Menge guter, nützlicher Dinge, um das Leben einer Frau nusmsüllen, müssen Sie einer solchen frivolen Neigung noch das Wort reden? Wozu giebt eZ denn Arme, wozu haben wir Vereine?" Melanie lachte leise vor sich hin. „Gewiß, auch diese Mode hat für Manche ihr Gutes. Wenn unsere Damen sür gewöhnlich wie die Lilien auf dem Felde aufwachsen und nicht wissen, wie sie sich kleiden, so ist es gewiß ganz heil- sain, daß sie einmal sehen, wie schwer es Anderen wird, sich das Nöthigste zu verschaffen. Ob es wirklichen Nutzen bringt, lasse ich dahin gestellt sein. Für Antonie dagegen, eine so junge, lebenslustige, gesunde Frau —" „Sind das Eigenschaften, die sie berechtigen, sich von der Sorge und Theilnahme sür Arme und Kranke auszu- schließen?" fragte der Hofmarschall, indem er mit wahrem Ent setzen auf Melanie blickte. Melanie schüttelte den Kopf. „Sie verstehen mich noch nicht ganz. Ihre heutige Beschäftigung war sehr harmloser Natur, nur Ihre Auffassung, Baron Rößner, machte aus einer Mücke einen Stephanien. Meinen Sie etwa," sie lehnte sich näher zu ihm hinüber und sagte eindringlich: „es wäre für Antonie gut, wenn sie Familien besuchte, in denen die Frauen in ihren Kindern glücklich sind und durch sie über die thun ja immer, als ob's gleich an's Sterben ginge, wenn sie den „Einen", „Einzigen" nicht kriegen. Und das Mädel war ja sein Liebling gewesen. Und daß jetzt der Junge die gleiche Dummheit machen will und es wagt, zu trotzen, das bringt den Vater maßlos auf. Diese Dela, von der kein Mensch bisher gehört, — verrückter Name noch dazu, und obendrein soll sie schon 26 zählen — als ob sein Junge, sein fescher Reimar nicht mit seinen 30 Anspruch auf ein thaufrisches junges Ding erheben könnte! Da ist zum Beispiel die Alma Wolter — Schock schwere Noth — war denn der Junge blind für die Reize des pikanten Mädels? Und die Alma war noch dazu Senator Wolters Einzige. Den Teufel auch, das war doch 'ne Parthie, und die Kleine war ja vernarrt in den Reimar. Ein Blinder mußte das merken. Aber was half alles Predigen? Der Bengel hatte seinen Kopf für sich, na ja, — das hatte er wohl von ihm, dem Vater — aber verteufelt unbequem war das doch, zumal Herr Franz Ferdinand beim Senator Wolter so Zusagen schon etwas auf den Busch geklopft hatte. Und bei alledem war dem Reimar nicht einmal beizukommen. Der setzte sich einfach auf's hohe Pferd, sprach vom für sein bescheidenes Glück völlig ausreichenden mütterlichen Erbtheil und seiner Majorennität. So na! Herr Seibold schnauft. Was ist da zu thun? Was? Er ist hinausgestürzt, planlos, ziellos. Jetzt weiß er's. Zu der Person, der Dela Rother will er, ihr den verrückten Kops zurechtsetzen. Aber halt — wo wohnt sie denn? Hm da muß er doch gleich auf's Einwohnermeldebureau. Dela Rother. Sie muß ja leicht zu finden sein, da sie allein wohnt. Er zieht eine Grimasse. Auch so ein Punkt, der ihm mißfällt. Welches anständige Frauen zimmer wohnt wohl in einer Großstadt allein? „Kaufen Sie doch 'nen Hampelmann, Herr, kost man 5 Pfennig!" die vielen großen und kleinen Täuschungen weggehoben werden, die jedes Frauenleben mit sich bringt? Ich" — sie schwieg, aber so ausdrucksvoll, daß der Hofmarschall sie fortzufahren bat. Er hatte einst ihre reifere Erfahrung sür Antonie be ansprucht, jetzt stellte sie ihm dieselbe zur Verfügung, als sie sagte: „Im Lächeln ihrer Kinder kann eine Frau sogar die Mißhandlungen ihres Gatten vergessen lernen; mir scheint es richtiger, Antonie in dem Kreise festzuhalten, wo sie reine Gelegenheit zu Vergleichen findet. Doch reicht meine Er fahrung vielleicht nicht weit genug" — sie hatte leise gesprochen, aber jedes ihrer Wdrte hatte den vor ihr Spenden wie ein Dolchstoß getroffen. „Ich wußte nicht, daß eine besondere Absicht Ihrem un- rnhigen Treiben zu Grunde lag," versetzte er nach einer Weile sehr blaß und mit niedergeschlagenen Augen. „Es thut mir leid, daß ich mich in Ihnen getäuscht habe, als ich glaubte, Sie verständen mich und meine Wünsche in Be treff Antonies." Melanie lächelte verbindlich, obgleich ihre Augen un ruhig flimmerten. Sie war weit davon entfernt, ihre angenehme und sorgenlose Existenz Antonies wegen aufs Spiel zu setzen. Sie hatte dem Hofmarschall nur einmal klar machen wollen, welcher Thorheit er sich schuldig gemacht und daß er dafür büßen müsse. „Sehr verehrter Vetter," sagte sie äußerst liebens würdig, „ich habe nur eine ganz unmaßgebliche Meinung ausgesprochen, ordne mich aber Ihrer besseren Einsicht natür lich unter. Bezeichnen Sie mir den einzuschlagenden Weg, Sie hatten daß bisher nicht gethan, und so fehlte mir Antonie gegenüber jede Autorität. Jetzt werde ich mich auf Ihrs Befehle berufen können." Eine Verantwortung lehnte sie also ab, er sollte sie allein tragen. Der Hofmarschall verbarg mit Mühe seine Erregung. „Bedarf es besonderer Befehle, nm das Benehmen einer vornehmen Dame zu bestimmen? Sie wollen mir hoffentlich nicht weiß machen, eine Maskerade wie die heutige könne wirklich Ihren Beifall gefunden haben!" schreit ein schmutziger Junge und stellt sich dem Eiligen in den Weg, daß Seibold ihn fast umrennt. „Dummer Junge! Hast Du denn keine Augen im Kopf?" schreit ihn der alte Herr an. Der Kleine hängt sich an seine Fersen. „Herr", bettelt er weinerlich, „blos 'n Fünfer! Meine Mutter hat kein Brot für uns und Vadder schlägt mir . . ." In seiner Angst faßt derKleine mit den schmutzigen Fingern nach dem Arm des seinen Herrn. „Willst Du gleich!" fährt ihn Seibold an. „Ist man nirgends sicher vor Euch Bettelpack . . . ?" Dem Jungen kollern zwei dicke Thränen über das schmutzige Gesicht. „Er schlägt mir todt!" schluchzt er. „Kenne das! Scher' Dich zum Teufel, verlogene Range!" knurrt der Fabrikbesitzer, sich zum Weitergehen wendend; da sagt eine klare Frauenstimme dicht neben ihm: „Pfui! komm her mein Junge, ich werde mit Dir zu Deinen Eltern gehen!" Der alte Herr fährt wie gestochen herum. Seine galligen Mienen sind bitterbös; seine buschigen Brauen zucken, die Flügel der großen Nase beben vor Entrüstung. „Sie sind ja sehr . . . ." polterte er wüthend, verstummt aber jäh vor den flammenden Augen der jungen Dame, die ihn kühn, feindlich anblitzen, die sich auch vor seinem sonst so viel gefürchteten Blick nicht senken. „Ja, mein Herr," sagt die klare Stimme grollend. „Sic müssen es sich schon gefallen lassen, daß Fremde Kritik über Ihre so offenkundig zur Schau gestellte Herz- losigkeit üben." Herr Franz Ferdinand Seibold steht ganz verdutzt in das zornflammende Antlitz, das ihn, er weiß selbst nicht wie es geschieht, mit seiner Schönheit, seiner Ehrlich keit entwaffnet. Ja, er weiß wirklich nicht, soll er sich ärgern oder soll er lachen über das rabiate, kleine Frauen- zimmer, das ihn, vor dessen Zorn Männer zittern, h er- Ueber Melanies Gesicht glitt ein schnell unterdrücktes spöttischer Lächeln. „Sie wollen die Sache nun einmal tragisch auf- fassen. Hätten Sie den unschuldigen Scherz unbefangen hinge nommen, wären darauf eingegangen —" „Hielten Sie das in der That sür möglich?" fragte er- „Aber wir wollen die unerquickliche Sache fallen lassen. Guter Gott, was muß Graf Cesarini davon denken! Welchen Eindruck wird er mitnehmen!" Melanie znckte die Achseln und spielte mit ihren Ringen. „Er scheint ja ziemlich beruhigt zu sein. Jedenfalls versteht die Jugend sich untereinander an: besten, und deshalb urtheilt er wohl milde." Der Hosmarschall hatte darauf keine Antwort, er zuckte etwas zusammen, und sein Blick schien nach der verschwundenen, nie wieder zu erhaschenden Jugend zu suchen. Gab es denn wirklich nichts, was ihn und Antonie zusammen band, war die Jugend Alles, seine Sorgfalt und Liebe nichts, gar nichts? Nein, nichts, denn das Alter soll viel geben, ohne auf Er- widenmg zu hoffen. Antonie stand mit Cesarini im Nebenzimmer vor einem Blumentische, indeß Erich mit Sievert die Kunstschütze be wunderte, die Dyrenhorst gesammelt hatte. „Fanden Sie es auch so schrecklich, daß ich meinen Mann mit dem neuen Kostüm überraschen wollte?" fragte Antonie, ans einem kurzen Nachdenken erwachend, und sah den jungen Mann an, dessen Blick ihr reizendes Gesicht nicht verließ. „Wir dachten ihm eine Art Huldigung darzubringen; ich wußte ja nicht, daß er nicht allein kommen würde. Ich hatte es mir so nett ausgemalt —" Das Erstaunen des jungen Grafen prägte sich so deutlich aus auf seinem hübschen, bräunlichen Antlitz mit den dunklen Augen nnd der niedrigen Stirn, in die das schwarze lockige Haar siel, daß Antonie betreten still schwieg. Er bat sofort in ziemlich gutem, aber noch nicht ganz geläufigem Deutsch um Entschuldigung, doch die Vorstellung einer solchen Ueber» raschung sür den Herrn Hofmarschall —