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Donnerstag 8. November 1WS. veii Mr rMM lidmoeiiiei! Nr. 58. Erster Jahrgong. 5luer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge Dcrantn-enlichcr Rc-aktrnr: Flitz R i >: - <> l All -ie Intc-rate i-l-rantweitticl': ?I r I k >> r R n p « c r. -ei-e in Rin-. mit der wÖOhontli^on Nffter^critungs-^eilcia^: ^ilttstriertos ^onutagsblcitt. ^src<t-n>»i-e -cr Rc-atiion mit Rnrnahmc -kr ^oniitagc nachmntaas r>c»i ,—5 Illir. Tclrarannn-A-rcisc: Tane-Iau R»c. — Fcnnprkct-ti :<>2. Fttr uni-cilangt emacsan-le lNcoinskripte kann Gewähr »ich! geleistet weihen. Druck >m- Uerläg Gel> rä - er LZeuttzne l tZiik.: faul Lcnthnert in Rue. Bezugspreis: Durch unsere Liolcu frei ins l'ans monatlich 'm fsa. 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Der hessische Staatsminister l)e Ewald, sowie der Minister de) Innern und de: Finan;en, Brn 11 und Ur Gnaur, reichten ibr Enl.'assungsgcsnch ei», da:- aber voi» G r v tz - berzvg ahgrlchui nnirtc/' Dir Grotzberzogin von Hessen in Heine 'ruh ron einem Prinzen entbniidcn worden. Em G e el hemu;eniu mit bciondrler Berück ichiign ig von Goethes-Beziehungen >» Oeücrreich s:ll in Wien errichiel werden. Die Pekinger Zeitung rcrösfeiillichl einen kaiserlichen Erlaß. beir die Reora.rni'aiion der Regierung nnd dir Ver walt n n st Bei den Kongreß- und Gl'uvcrntnrün'ahien in den Verelnistlen Staaten Haden die revnbliiansschen Kandt dar,!- den Eiest davongetragen. Ben der ste iristen Abscinedc-audienz nicri, wie der Zar dem Frecheren von Acbrenthai di« Insignien dec Et. Andreas- ordcus. ' he'ahclee- siehe unten. Die Kartelle. - In kurzer Frist und doch allzuspä« wird der Deutsche Reichstag sich wieder in Berlin zusammensindcn. Viertelsossiziösc Federn wissen bereits mancherlei von neuen Gesetzesvorlagen zu erzählen, die den Mannen unterbreitet werden sollen. Aber be deutendes und interessantes ist wenig darunter. Ersreulich aber erscheint cs, datz endlich, endlich das Ergebnis der seinerzeit ver sprochenen Enquete über die Kartelle und Syndikate dem Reichstag vorgclegt werden soll, nachdem man seit säst zwei Jahren von der ganzen Geschichte auch nicht das mindeste mehrgci hört hat. Als vor nahezu dreiJahrcn imReichstag heftige Angrise gegen die Auswüchse der Kartellwirtschast gerichtet wurden, ver sprach die Regierung, die bekannten und stets als angenehmes Hilfs- und Vcrschlcppungsmittel dienenden Erkundigungen ein zuziehen, und wirklich ist sie nach jahrelanger Arbeit schon f o weit, datz sie jetzt dem Reichstage die Ergebnisse dieser Erhebun gen unterbreiten kann. „Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt, Gras Posadowsky!" In der Auffassung der Kartelle und Syndikate hat sich mitt lerweile in der Oessentlichkeit ein kleiner Umschwung voll zogen. Man ist in Kreisen, die sonst die Opposition in Erbpacht haben, durchaus nicht mehr so erbittert aus die Kartelle und Syndikate, hat aber andererseits auch in d c n Kreisen, die bisher den Kartellen sehr freundlich gegenüberstanden, einsehen gelernt, bah hier doch auch recht traurige Auswüchse vorkommen, und das; die deutsche Wirtschaftspolitik keinen besonderen Segen aus den Kartellen zieht. Man ist sich also näher gekommen, und darum wird die beginnende Parlementssession keine glichen Kämpfe für und wider die wirtschaftlichen Vereinigungen bringen. Man wird die Erhebungen der Regierung ziemlich leidenschaftslos unter die Lupe der Kritik nehmen, und bei aller eingehenden Be sprechung der Verhältnisse wird höchstwahrscheinlich garnichts herauskommen. Wie das bei strotzen Hof- und Staatsaktionen just immer der Fall ist. Zunächst mutz konstatiert werden, datz die Kartelle und Syn dikate uns in den letzten zwei Jahren einen sonderlichen Schaden aus wirtschaftlichem Gebiet nicht gebracht haben, datz durch sie der Jnlandskonsum nicht in der Weise verteuert worden ist, wie man das befürchtet hat und datz sie in sozialer Beziehung sogar sehr angenehme Wirkungen gezeitigt haben. Das ist an sich auch sehr erklärlich. Die von der Regierung festgesetzte und ziemlich energisch — wenigstens ansangs — betricbeneEnquete hat die Herrschaften, die bisher im Kartellwescn das grotze Wort ge- sübrt, zu grötztmöglicher Vorsicht gehalten, die ja in ihren eigenen Interesse lag. Man hat sich deshalb nach Möglichkeit einer Preissteigerung sür die erzeugten Produkte enthalten und trotzdem mit einigem Ersolg versucht, alle Ueberproduktion auf die ausländischen Märkte abzulcnkcn. Das ist an sich ja auch der Zweck dieser wirtschaftlichen Bereit igunge r, die Produktion und Absatz regeln sollen. Wenn sic in diesen Bahnen bleiben, und nicht der Inlandskonsument alle Verluste, die die Produktion durch die Beteiligung am Weltmarkt erleidet und naturgcmätz erleiden muh, doppelt und dreifach zu bezahlen gezwungen wird, ist die Einrichtung der Kartelle und Syndikate durchaus ersprietz- lich und segensreich. Bis vor geraumer Zeit aber haben diese wirtschajtlichcn Vereinigungen das Inland und den Inlands konsum in einer Weise geschröpft, die uns alle Teilnahme am Weltmarkt sehr verleidete, und die auch den Kamps eben gegen die Kartelle und Syndikate gezeitigt hüt. Wir wollen und kön nen nicht behaupten, datz mit dem Beginn der Kartellenquete alle Auswüchse des Kartcllwescns gesellen sind, aber es ließ sich eine wesentliche Besserung ertennen, und auch dafür mutz man dankbar sein. Was nun den Einslutz unserer Wirtschajtsvcreinigungcn aus die sozialen Verhältnisse der Arbeiterschaft an langt, so ist nie bezweifelt worden, datz sie in dieser Richtung so gar lebhaft begrüßt werden müssen. Es ist ja auch ganz klar: je mehr produziert wird, desto mehr Arbeiter können Be schästigung und zwar lohnende Beschäftigung finden. Und je mehl Leute gesucht werden, desto höher sind naturgcmätz dieLöhnc, die man ihnen bezahlen mutz. Die Gegnerschaft der Sozialdemo kratie gegen die Kartelle ist denn auch von Aansang an unbegrcif- lich gewcsen, wenn diese Partei eben als Vertreterin der Arbeiter interessen u nicht alsBcrtreterin der Konsumenten, die in solchem Falle nicht Arbeiter sind, gelten will. Schlimm konnte die Sache für die Arbeiter nur werden, wenn die Produktion nicht lohnend war, und deshalb wesentlich beschränkt werden mutzte, was, so lange der Jnlandskonsum eben die Kisten des Exports tragen mutzte, nicht leicht der Fall sein konnte. An sich also ist in den wirtschaftlichen Vereinigungen, mögen sie nun Kartelle oder Syndikate heitzen, eine Schädigung nicht zu erblicken, aber sie können jeden Augenblick zur Schädigung, zum Schädling am Volkswohl und am Volksvermögen werden. Mit dem Augenblick, da man an Stelle des eigentlichen Zweckes, der Produktions- und Absatzregelung das Prinzip dermöglich - st en Preis st eigerung stellt, bedeuten die Kartelle sür das deutsche Volk Parasiten, wie die Trusts in den Vereinigten Staa ten sich als solche erwiesen haben. Man möge sich also dadurch, datz in der letzten Zeit ein Anlatz zu erheblicher Klage nicht vor lag, nicht beeinslusien lassen, und an eine Kartellgesetzgebung schreiten, die im Augenblick wohl überflüssig erscheinen mag, die cs aber in Wirklichkeit durchaus nicht ist. Die Kartelle und Syndikate bedeuten eine ganz enorme volkswirtschaftliche Macht, und die Regierung darf die Hand nicht zur Möglichkeit bieten, datz diese Macht ihr über den Kops wächst. Ist jetzt nicht über die Kartelle zu klagen, so ist nicht ausgeschlossen, datz man in fernerer Zeit Uber sie zu klagen haben wird, und datz mutz durch eine Gesetzgebung verhindert werden, die sich durch den Augen schein nicht trügen lätzt. Wir erwarten auch vom Reichstag, datz er die entsprechenden Wege findet, die beschritten werden müssen, Auswüchse hintanzuhalten. Politische Tagesschau. Aue, 8. November lllllll. Ueber allen Wipfeln ist Ruh'? <K Das heftige Rauschen im deutschen Blätterwalde, da» durch das anfzirhenve Unwetter einer K a n z l erk r i s is hervor- gcruscn wurde, ist plötzlich verstummt, kaum datz sich noch ein Blättchen im üntzersten Winkel des deutschen Reiches regt. Wie der Sturm kam, so ist er auch verschwunden: man weis; nicht woher wohin! Wenn man die Sache recht überlegt, können die Vorfälle, die man anführlc, nicht die Ursachen der angeblichen Kanzlerkrisis sein, denn seither sind Monate vergangen, und andere Motive sind nicht in die Oessentlichkeit gedrungen. Auisallend bleibt es, das; man von matz geben der Stelle zu dem ganzen Krisenruuiiml keine Stellung nahm; denn jene Blätter, die von der Wilhelmsiratze mit oisizivsen Note» gespielt wurden, schwiegeu sich gründlich an'. Aber auch von dem Rücktritte des Herrn vvn Pvdbielski ist cs auffallend stille geworden, trotzdem sein tatsächlich sehr ungünstiger Gesundheitszustand eine Demission zur Genüge rechtfertigen wurde, ohne datz man der bösen Presse die Konzession zu machen brauchte, sie habe den preutzischeu Land- wirtschaslsminisier gestürzt. Es gewinnt fast den Anschein, als ob man einen Konflikt mit dem Reichstage provozieren wollte, denn ein Zusammenstotz mit der Reichsregierung und dem Parlamente erfchcint unvermeidlich, wenn Fürst Bülow und Herr von Podbielski im Amte bleiben. Die Reichsregierung hat nämlich jetzt nicht nur die gewöhnliche Opposition sondern, wie aus den Reden B a s s e r ma n ns deutlich hervorgeht, auch die National- Bismarck über seine Entlassung. Ueber die Entlastung Bismarcks bringt ein Teil der Bismarck- Presse, wovon wir schon kurz Mitteilung machten, jetzt äusserst interessante und wichtige Enthüllungen, die angeblich aus per sönlichen Aufzeichnungen Bismarcks beruhen. Diese Auszeichnungen soll der Altreichskanzler unter der Uebcr- schrist: „Entwurf zu vertraulichen Aeutzerungcn über die Motive meines Rücktritts aus dem Dienst" mit eigener Hand im Sturm und Drang der allerersten Leidenszeit zu Papier gebracht haben. Fürst Bismarck erörtert darin die Differenz, die über die soziale Frage, das Sozialistengesetz und die vielgenannte Kabinettsorder entstand, ebenso wie die Affäre Windthorst verhältnismäßig kurz. Der Entwurf schließt hier mit den Worten: „E i n c r A l l e r h ö ch st e n Kontrolle meines persönlichen Verkehrs in und autzerDienst kann ich mich nicht unter werfen." Aber in voller Ausführlichkeit erörtert Fürst Bismarck die a u s w ä r t i g e Po l i t i k. Aus dem vertraulichen Entwurf ersährt man darüber folgendes: In meinem Entschlutz zum Rücktritt van meinen Acmtern bin ich dadurch gefestigt worden, datz ich mich überzeugt habe, auch die auswärtige Politik Sr. Majestät nicht ver treten zu können. Ungeachtet meines Vertrauens auf die Trippelallianz habe ich doch die Möglichkeit, datz dieselbe einmal versagen könnte, nie aus den Augen verloren. In Italien steht die Monarchie nicht auf starken Füßen, die Ein tracht in Italien und Oesterreich ist durch die Jrredenta gefähr det, in Oe st erreich kann trotz der sicheren Zuverlässigkeit des regierenden Kaisers die Stimmung anders werden. Ungarns Haltung ist nie siHer zu berechnen, dasselbe kann sich und Oesterreich in Händel verwickeln, denen wir fernbleiben müssen. Deshalb bin ich stets üemiiht gewesen, die Brücke zwischen uns und Rußland nie abzubrechen, und glaube den Kaiser Alexander in friedlichen Absichten soweit bestärkt zu haben, datz ich einen russischen Krieg, bei dem auch im Falle eines siegreichen Verlaufes nichts zu gewinnen ist, kaum noch besürchtc; höchstens würde von dort aus uns entgcgengetretcn werden, wenn wir nach einem siegreichen Kriege mit Frank reich von letzterem neue Gebietsabtretungen verlangten. Ruß land bedarf der Existenz Frankreichs, wie wir Oesterreichs als Großmacht bedürfen." Mit den folgenden Ausführungen gehl dann Fürst Bismarck auf den aktuellen Anlaß und aus den Bericht des Konsuls in Kiew, aus den der Kaiser damals so hohen Wert gelegt hatte, des Näheren ein: „Nun har der deutsche Konsul in Kiew eingehende Berichte, zuscimmcn wohl 200 Seiten stark, über russische Zustände, darunter auch über militärische Maßnahmen, einge sandt, von welchen ich einige, politischer Natur, Sr. Majestät ein- gcreicht, andere, militärische, dem Generalstab der Armee in der Annahme, datz dieser sie an Allerhöchster Stelle zum Vvrtrag brin gen werde, falls sie dazu geeignet wären, übersandt, die übrigen, um sie mir vortragen zu lasten, dem Geschäftsgang übergeben habe. Die Berichte waren zum Teil v c r a l t e t, da die sicheren Gelegenheiten von Kiew selten sind. Daraus ist mir das nach stehende Allerhöchst eigenhändige Handschreiben zugegangen:" Es folgt nunmehr der Text des kaiserlichen Handschreibens, de» wir schon veröffentlicht haben und hier im Zusammenhänge wiederholen: „Die Berichte lasten aus das klarste erkennen, datz d i e Russen im vollsten strategischen Aufmarsch find, um zum Kriege zu schreiten. Nur mutz ich sehr be dauern. datz ich so wenig von den Kiewer Berichten erhalten habe. Sic hätten mich schon längst auf die furchtbar drohende Gefahr aufmerksam machen sollen. Es ist die h ö ch st e Zeil, die Oesterreicher zu warnen und Gegcnmaßrcgeln zv tressen. Unter solchen Umständen ist natürlich an eine Reise nach Krasnoje meinerseits nicht zu denken. Die Berichte sind oorzüglicy. VV." Zu diesem Briese ocmerkt nun Fürst Bismarck: „In diesem Schreiben ist erstens der Vorwurf ausgedrückt, daß ich Sr. Majestät Berichte vorenthalten und Allerhöchst den selben nicht aus die vorhandene Kriegsgefahr aufmerksam gemacht habe. Zweitens enthält dasselbe politische Weisungen, die ich nicht ausfllhren kann. Wir sollen Oesterreichwarnen und selbst Gcgenmatzregeln tressen. Und der Besuch Sr. Majestät zu den russischen Manövern, zu welchen der selbe sich selbst, ohne mein Zutun, angemeldet hat, soll unterbleiben. Ich bin überhaupt nicht ver- p s l ich t e t, S r. M a j est ä t a l l e Be r i ch te, die mir zugehen, vorzulegen, und ich habe unter diesen die Wahl je nach dem In halte, sür dessen Eindruck auf Se. Majestät ich glaube die Ver antwortung tragen zu können. Die fraglichen Berichte waren sämtlich nur sür den Eeneralstab von Interests und auch für die sen meist veraltet. Ich habe nach bester Einsicht eine Auswahl für Sr. Majestät getroffen und finde in dem Handschrei ben ein unverdientes kränkendes Mißtrauen. Bei meiner noch jetzt unerschütterlichen Auffassung von den friedlichen Abfichten des Kaisers von Rutzland bin ich aber außer stände, Maßnahmen zu vertreten und in Oesterreich zu veranlassen, wie Seine Majestät cs verlangt." Die Berliner Neuesten Nachrichten wollen hieraus schließen, der Kaiser habe sich geirrt, wenn er in seiner Ansprache an die kommandierenden Generäle, die er unmittelbar nach der Ent lastung Bismarcks gehalten hat, die Neigung Bismarcks angedeu tet habe, Oesterreich im Stich zu lasten. Uebrigens meint Bis marck am Schluffe seines Entwurfs selbst, nicht die sachlichen, son dern die persönlichen Gründe seien die entscheidenden für seine En"gssung gewesen.