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Montag, IS. Oktober 1SS8. vi» Mr SS0» rÄIm« SliMrMi , z;x. Dritter Jahrgang Auer Tageblatt und Anzeiger Mr das Erzgebirge verantwortlicher Redaktenr: Vri» Krnboia Für die Inserate verantwortlich: Walker Krau» beide in Aue i. Lrzgeb. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Ssnntaasblatt ' r«uer oruSr-u»a Verla,» Sel«Nl»,N Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Sonntage nachmittags von s Uhr. — Telegramm-Adreffe: Tageblatt Aue. — Fernsprecher i . Für unverlangt eingesandte Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. '' Bezugspreis: Durch unsere Boten frei ins ksauz monatlich so pfg. Bei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich ao psg. »nd wöchentlich io pfg. — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich t.so Mk. — Durch «en Briefträger frei ins Haus vierteljährlich >.92 Mk. — Einzelne Nummer >0 Pfg. — Deutscher Postzeitungs katalog. — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. 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Beim Empfang des neuen türkischen Botschafters betonte der Kaiser ausdrücklich seine unverändert aufrichtig freundlichen Gesinnungen für die Türkei. Es soll bereits zum zweiten Male von Berlin eine Ein wirkung versucht worden sein, Bulgarien von seiner auf einen Krieg mit der Türkei abzielenden Politik abzubringen. Wegen des Zwischenfalles in Casablanca regt die Kölnische Zeitung die Anrufung eines Schieds gerichts an. Inzwischen ist es zu einem neune Zwischenfall gekommen. <S. pol. Tgssch.) In der W a l h a l l a zu Regensburg fand gcstcrü die Enthüllung der Bismarckbüste statt, wobei F ü r st Bülow die Festrede hielt. Der junge F ü r st Otto von Bismarck erlitt während der Feier einen O h n m a ch t s a n f a l l. (S. Art. i. Hbtbl.) Tagung des Landesansschnstes des nat-liv. Landesvereins. K. Dresden, 18. Oktober. Die heute in Dresden im Vereins hause Hospiz in der Zinzendorfstraße abgehaltene Versammlung des Landesausschuffcs des nationalliberalen Landesvereins für das Königreich Sachsen zeigte, daß die seither im Lande vor herrschende, abwartende Stimmung einer starken Erregung über oie Behandlung der WahlrechtSfrage gewichen ist. Dic gewählicn Obmänner, Vertreter der örtlichen Verewigungen waren in großer Zahl erschienen. Der Vorsitzende Herr Franz G 0 nlard - Leipzig eröffnete nach 12 Uhr die Ver handlungen, begrüßte die Parteifreunde und verwies auf die große Bedeutung der bevorstehenderckEntscheidung über das wichtigste.aller Volksrechte. -rie Aussprache im Landcsansschuß habe den Zweck, Klarheit über die Sachlage undsdie Stellung der Parni zu verbreiten. Er .rteilte sodann dem Generalsekretär Dr. B. Westcnberger dasjWort zu einem einleitenden Bericht. In übersichtlicher, knapper Darstellung gab tnr Redner einen Rückblick ans den Gang der Dinge seit Erscheinen des Gesetzentwurfs der Negierung vom 6. Juli 1907 bis zu der am 16. Oktober 1908 erfolgten Abstimmung der Wahl- rcchlsdepuiation über die sogenannte Eoentualvorlage. Ec bezeichnete cs als bedeulsamsten Erfolg der nationalliberalen Partei, daß bas von ihr vncgeschlagene einheitliche Pluralwahlrecht aus den langwierigen Verhandlungen als einzige, zurzeit im Landtage durchzusetz.nde Grundlage hcroorgegangen sei. Um so großer sei die Entläuschu n g, die dic Regierung jetzt dem Lai.de b.reite. Wenn sie zwar einige unumgängliche Verbesserungen des Kompiomißoorschlages (Besenigung der zweijährigen Wohnf.nt, Festlegung der regelmäßigen Ganzerneuerunq der Kammer u. s. w.) genehmige, zugleich aber auf einer Wuylkreiseai.eiluug bege.^, ü.e die voraussichtlichen g u l e n Wirkungen des Wahlrechtes illusorisch machen müsse und obendrein patt bei einer sinngemäßen Abstufung des S immengewtchles zu bleiben, eine schroffe Zweiteilung der Wählerschaft nach einer Mehrheit mit einer Stimme und einer privckigierten Maiderheit mit vier Stimmen einführe, so sei alles Mögliche zu erwarten nur nicht das was die Regierung anzustreben gewillt war: eine größere Befriedigung des Volkes. Nach dem mit lebhaftem Beifall aufgenommenen Referat des Generalsekretärs verlas der Vorsitzende des Nat.-Lib. Deut schen Reichsverein zu Dresden, Herr Amtsrichter Dr. Gut mann eine längere Erklärung des Vorstandes des Dresdner Vereins, die sich gegen die Eoentualvorlage der Regierung rich tete. Die Begründung dieser Erklärung ini einzelnen rief allge meine Zustimmung hervor. Rechtsanwalt Tr. Mothes- Leip zig erinnerte an die Bekundung liberaler Gesinnung bei der Reform der Ersten Kammer und forderte deren Betätigung auch bei der Reform des Wahlrechts für die Zweite Kammer, die die Führung bisher habe vermissen lassen. Abg. Langhammer verwahrt sich gegen die ihm gemachten Vorwürfe und bezeichnet die Frage der Wahlkreiseint ilung im gegenwärtigen Augenblick als nebensächlich, da die Regierung das Kompromiß abge lehnt habe, denn es gelte vor allen Dingen das Kompromiß gegen über dem neuen Regierungsentwurf zu vertreten. Nicht er sei der Vater des Kompromisses, sondern 26 Mitglieder der nationalliberalen Fraktion hätten zugestimmt. Es sei ganz gleichgültig ob man den Heikschen oder den Hettnerschen Entwurf umarbeite. Die Verbesserungen des Heinkschen Entwurfs, die in der Neunerkommisfion durch die Nationalliberalen vorge nommen worden wären, seien bereits sehr beträchtlich. Der Hett- nersche Entwurf mache den Eindruck zu großer Rücksichtnahme auf die Großstädte. Er habe gegen den neuen Vorschlag der Regie rung, den er als Zweiklass nsystem bezeichne, das schlim mer als das jetzige Wahlrecht sei, in allen Einzelheiten schon den entschiedensten Widerspruch geäußert. Die dissentierende Stellung einiger nationalliberalen Abgeordneter habe der Partei ge schadet; nur Einheitlichkeit und Geschlossenheit könne fördern. Er sei so liberal gebieben wie bisher. Abg. Pflug-Zittau schil dert die Situation vom Standpunkt der dissentierenden Abge ordneten. Die nationalliberale Fraktion sei zuerst in der glück lichen Lage einer starken Geschlossenheit gewesen. Mit dem Kompromiß habe sie aber die konservative Partei, die erst zer fahren gewesen sei, in den Sattel gehoben. Im Gegensatz zum Vorredner betrachtete er auch jetzt noch die Wahllreiseinteilung als wesentlichen Teil der ganzen Reform, Eine gerechte Wahlkreiseinteilung sei die vornehmste Forde rung, durch politische Arbeit würde die Partei schon die wün schenswerte Zahl von Wahlkreisen erhalten. Professor Dr. Brandenburg- Leipzig: Die Fraktion habe sich in den Kon servativen und der Regierung beim Kompromißabschluß ge täuscht, sie müsse in Einigkeit ihre Forderungen vertreten. Er beantragte unter allgemeiner lebhafter Zustimmung die Annahme folgender Resolution: Der Landesausschuß billigt die letzte Erklärung der Fraktion gegenüber den neuesten Wahlrechtsgrundsätzen der Regierung und ersucht die Fraktion, auf dem damit eingeschla genen Wege einmütig zu verharren. Der Landesausschuß erkennt an, daß nach dem Vorschläge der Regierung der zwei jährige Wohnsitz, die Drittelerneuerung und der 30 Mark-- Zensus beseitigt werden sollen. Aber die schroffe Scheidung der Wenn die Früchte reifen. Novellette von Paul Hermann. Nachdurck verböten. „Du läßt nicht nach, Jupp, und so willige ich denn ein, und werde dein Weib. Aber ich will nicht mit einer Lüge in dein Haus kommen. Ich bin dir von Herzen gut gewesen, all die Zeit, aber ich liebe dich nicht — das Gefühl ist wohl für im mer tot. Dein rechtsäMffenes Weib will ich sein — ist dir das genug?" Der große Mann hielt den Kopf ein wenig gesenkt, nun hob er ihn; er hatte das Ja aus ihrer Rede heransgehört. „Lis, Lis —" „Jupp, du mußt wissen, was du tust. Wir sind an das Städtchen gebunden, und was mir anhängt, weiß jedermann. Ich Lin nicht mehr die blonde Lisbeth, von der du vor zwölf Jahren das Jawort gewollt. An mir hat das Leben genagt und das Gerede der Leute und mein großer Kummer — was geschehen ist, kann nie ausgelöscht werden." „Es gibt nichts das ausgelöscht werden muß, und bist du das Weib des Jupp Voges, soll dich nur einer schief ansehen! Ich bin ja auch ramponiert, seit ich das Unglück mit dem Fuß gehabt, du bekommst nur 'n halben Mann, meine Lisbeth." „Das Unglück war Leine Ehre — du hast drei Jungen aus dem Rhein gezogen, als er mit Eis ging — ich aber —" „Davon soll nie mehr die Rede' sein. Ich weiß, was ich will, und der Platz in meinem Haus gehört dir." Sie streckte ihm die Hand hin. „Also, ja — und was ich versprochen hab' halt ich — darauf kannst du dich verlassen." Leidenschaftlich zog er das Weib an sich — sie aber schauteZhn mit ruhigem, klarem Blick an. Da ließ er sie frei. Ehrlich erwiderte sie seinen Kuß und Händedruck, als er ging. Nun war Elisabeth Werbel des Jupp Voges Verlobte. Vor zwölf Jahren hatte es die Stadt schon gewußt, und jetzt erst be kamen die Leute recht. Lisbeth Werbel, die blonde Lis vom Stein, nannten sie die Burschen, war einmal Rhein aus, Rhein ab das schönste Mädel gew.sen; aus ihren blonden Zöpfen leuch tete Gold, aus ihren blauen Augen lachte es wie Sommcrhimmel, und gewachsen war sie tannenschlank. Sie trug ihre Schönheit bescheiden und doch stolz wie eine Königin ihre Krone. E goldig Mädchen, nannten sie die Leute, aber keinem Bewerber war der Goldschatz zu eigen. Sie wohnte mit ihrer alten Mutter im Häuschen am roten Stein, legte nicht etwa auf Grund ihrer Schönheit die Hände in den Schoß, sondern schasste tüchtig im Garten und auf dem kleinen Weinberg. Sie hätte es gut haben können ,ein reicher Kaufherr aus Rotterdam bemühte sich eifrig, sie zu gewinnen, — vergebens. Sie verschmähte auch den braven Jupp Voges,, der ein Nachbarssohn war und sie schon von Kind auf herzlich geliebt hatte. Sie genoß ihre Jugend mit der Kraft und der Gesundheit eines frohgemuten rheinischen Kindes. Und nicht das geringste war ihr nachzusagen, die schlimmsten Basen mußten schweigen. Jupp Voges war nach ihrer Abweisung über See gegangen. Sie hielt die Trennung für das beste — wußte ja nicht, wie weh sie dem armen Jungen getan. Als sie die Zwanzig überschritten und schon zum vierten Male die Karnevalssreuden mitmachte, packte das Schicksal mit harter Hand das schöne, fröhliche Geschöpf. Ein Mäler, frisch, jung und vergnügt wie sie, hielt sich im alten Städtchen auf, um vergessene Winkel, alte Gitter, gewundene Treppen und närrische Giebel zu zeichnen oder zu malen. As er aber die im Vollglanz ihrer Schönheit prangende Lis sah, sank Staub auf seine Palette, und die weißen Blätter seines Skizzenbuches blieben leer. Jetzt hatten dic Leute zu reden. Das Mädchen gab sich dem neuen Gefühl mit der ganzen Kraft ihrer gesunden Natur hin — sie schaute nicht rechts und links — sie liebte ohne Bedenken und Sorge. Auf den strengen Winter folgte ein Vorfrühling ohnegleichen, der Blüten über die kleinen Hausgärten schüttete. Des Malers rasch entstammte Sinne waren von dem Reiz dieser Mädchenbliite ehrlich berauscht. Als er aber fürchtete, sich endgültig in den lan gen Vlondzöpfen seiner Liebsten zu verstricken, entfloh er; er war eben jung und wollte sich nicht binden. Er schrieb ihr einen ganz verwirrten Abschicdsbries, den sie zuerst nicht verstand. Es dauerte lange, ehe ihre Verzweiflung zur Ruhe kam. Die kleine Stadt, die ihr so wohlgewollt, nahm Rache an ihr für das langbemahrte und nun geschädigte Zutrauen. Am Ende aber ging Lisbeth ge sund aus der Katastrophe hervor. Sie arbeitete und sorgte, ohne zu ermüden, für die kränkliche und grämliche Mutter. Nur ihr Frohsinn war gebrochen, und an lockenden Frühlingstagen schloß sie sich in ihrer Kammer ein. Den Traum jener großen, einzigen Liebe konnte sie nicht aus ihrem Herzen bannen, sie verlernte so gar, dem Ungetreuen zu grollen.. Die Leute beruhigten sich allmählich über Lisbeths Geschick, die nun wieder in Ansehen stand. Da sie sich nie um die Leute gekümmert, nahm sie gelassen hin, was sie ihr Gutes oder Schlim mes taten. Noch immer blühte ihre Schönheit, wenn auch das Strahlen verblaßt war. Ihre Gestalt wurde fraulicher, und die goldenen Zöpfe lagen seit Jahren im Kranz um das Haupt, das sie leicht gesenkt zu tragen pflegte. Die Leute hielten sich nicht weiter darüber auf, als die blonde Lisbeth vom Stein nun doch de mJupp Voges die Hand reichte und in sein hübsches Haus zog. Am Hochzeitsmorgen war die Braut von einer merkwürdigen Angst befallen, als ob sie im Begriff sei, an sich ein Unrecht zu be gehen und den vertrauenden Mann zu täuschen. Das beklem mende Gefühl schwand nach einer Weile, als sie aber die Schwelle des Hauses betrat, stellte es sich wieder ein. Sie wurde bleich wie Leinwand, und Jupp mußte stützend den Arm um sie legen. Von der winkeligen Trepe, die zum Boden und zu den Kammern de» Oberstockes führte, kam di« uralte Muhme Jupps, Jungfer Wen- dula Voges, und gab der jungen Frau die Schlüssel zu Schrän- len und Truhen. „Hast lange Zeit 'braucht, Kind, bis du den Weg gefunden hast — für dich und den Jupp ist's gut so — ich bleibe bei meinen Blumenstöcken und den Vögeln." Die Schlüssel wirkten ermunternd, sie erinnerten Lisbeth daran, was sie dem Hause Voges sein sollte: eine tüchtige, redlich« Versorgerin. Sic besaß eine gute Hand, unter der alles gedieh, und vor der Arbeit hatte sie sich ni« gescheut. Jupp schaute ihr zu, ohne sie in ihrem Tun zu stören. Es war gut, sie dazuhaben, wenn er aber an die blühende, lachende Lis von ehedem dachte, dann furchte sich seine Stirn. O, sie sollte wieder lachen, er wollte sie schon ganz für sich gewinnen, Las gelobte er sich. Als der erste