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Montag, 14. September 1SV8. vilt «er 3800 rttlmtt Itmnsti! Nr. 214 Dritter Jahrgang. ttuer Tageblatt und Anzeiger Mr das Erzgebirge v°r°".w°r,,.cher hakten wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. l)^».'^ä"o-^^.«.!.!ii»-.n Für die Inserate verantwortlich: m. b. H. Ulalttr siranr Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Sonntage nachmittags von -t—5 Uhr. — Telegramm-Adresse: Tageblatt Aue. — Fernsprecher in Aue i. Lrzgeb. beide in Aue i. Lrzgeb. FUr unverlangt eingesandte Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Bezug-preis: Durch unsere Boten frei ins Haus monatlich so pfg. Bei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich 90 pfg. und wöchentlich >o pfg. — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich >.so Mk. — Durch den Briefträger frei ins Haus vierteljährlich 1.92 Mk. — Einzelne Nummer >0 pfg. — Deutscher Postzeitungs katalog. — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. 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Am gestrigen Sonntag wurde in N ü rnberg der sozial demokratische Parteitag durch Singer offiziell e r- öffnet. Die Lage des dklitschen Arveitsmarktes. Die Lage Les Arbeitsmarktes hat im August eine bedenk liche Verschlechterung ausznweisen. Wenn die Herbst saison nicht noch unvermittelt lebhafter wird, so müssen die Ar beiter mit einem an Arbeitsgelegenheit sehr knappen Winter rechnen. Während im Vorjahr von Juli auf August der An drang auf hundert offene Stellen noch um 12,6 Arbeitsuchende zurückging, obwohl auch damals schon die gewerbliche Beschäfti gung abnahm, ist er dieses Jahr nur um 4,3 gesunken. Es kamen nämlich im August 1908 an den öffentlichen Arbeitsnachweisen, soweit sie an die Berichterstatung des Arbeitsmarktes angeschlossen sind, auf je 100 offene Stellen 153,3 Arbeitsuchende gegen 107,1 im Vorjahre. Nur rm Mai und April war der Grad der Ver schlechterung des Arbeitsmarktes gegenüber dem Vorjahre höher als im August. Der Andrang von Arbeitsuchenden stellte sich während der einzelnen Monate auf je 100 offene Stel len wie folgt: 1907 1908 Zunahme des Andranges gegen 1907 Januar 127,9 158.9 31,0 Februar 120,7 151,7 31,0 März 95,5 130,5 35,0 April 92,8 141,8 49,0 Eine seltsame Eheftifterin. Novellette von Else Seeger. Die erste Gesellschaft im eigenen Heim! Wer von den älteren, verheirateten Leserinnen hätte nicht schon an sich selber erfahren, was das im Leben eines jungen Ehepaares bedeutet, oder zum mindesten von andern gehört, welch enorme Wichtig keit solch ein Tag besitzt! Ist es da wohl der jungen, frisch gebackenen Frau Assessor von Ohlen zu verdenken, wenn sie am Spätnachmittag des festlichen Tages mit rotem Köpfchen umher läuft, bald im Salon zum dritten Male staubwischend, bald in der Küche die mit stoischer Ruhe und Gelassenheit ein Huhn ausnehmende Kochfrau inniglich bittend, doch ja das Frikassee recht pikant zu machen und die Bratensauce recht braun, weil das der Herr Präsident so liebt' Zu Bitten, sage ich, denn welche Ehre widerfährt nicht dem Hause, in dem diese allmäch tige Beherrscherin der Küche ihre Kunst zu zeigen sich herabläßt! — Und dann den Lohndiener, den vielbegehrten Herrn Müller, ersuchend, doch ja nicht, wie bei Rechtsanwalts neulich, die ver kehrten Obertassen auf die Untertassen zu stellen . . . Aber wo nur ihr Mann bleibt! Ob die Sitzung heute gerade so extra lange dauert? Ach, dn lieber Himmel, ob er den kleinen Streit heute morgen wegen der Tischordnung noch nicht vergessen hatte? Den ersten Streit in ihrer jungen Ehe? Ach Gott, so schlimm war's doch eigentlich gar nicht gewesen, aber sie hatte sich's doch nun einmal so nett ausgedacht, welche Damen die Herren führen sollten, und da stiess er ihre schöne, mühsam gebaute Tischord nung wieder um! Das konnte st: doch unmöglich ruhig mit an hören, und ein paar Tränchen flössen — eigentlich mehr pro forma, denn im Grunde ihres Herzens musste sie ihm recht geben, dass er, der Mann, schon aus dienstlichen Gründen das besser verstehen müsse, als sie! — Da war er denn in die Sitzung ge gangen, ohne den üblichen Abschiedskuh, nur zu einem flüchtigen: Adieu, Schah, besinne dich 'mal hübsch, ob ich recht habe — hatte es gelangt. Und nun liess er solange auf sich warten! Der Lohndiener deckt inzwischen die Tafel, sie aber treibt die Unruhe immer wieder ans Fenster! Wo nur Harald so lange bleibt! Es klingelt: Gott sei Dank! — O weh, eine Absage? Richtig: Herr Justizrat Becker lässt sich entschuldigen — herzlich leid — stark erkältet — auch das noch! Nun sind es dreizehn! Sie ist Mai 103.7 161,5 57,8 Juni 109,5 144,3 34,8 Juli 119,7 157,6 37,9 August 107,1 153,3 46,2 Der Andrang im August war sogar höher als im Februar. Die starke Differenz gegenüber dem Vorjahre ist nicht etwa durch eine besonders starke Zunahme des Andranges, sondern vielmehr durch den Rückgang der offenen Stellen, die gegen August 1907 um 24 Prozent zurückgegangen sind, veran lasst. Wäre die Verschlechterung gegenüber dem Vorjahre nur auf die Steigerung der Arbeitsuchenden zurückzuführen, so könnte man annehmen, dass infolge der früheren Erntearbeiten im laufenden Jahre der Zuzug nach den gewerblichen Zentren im Laufe des August schon wieder eingesetzt hätte. Die Bewegung der Nachfrage im Monat August widerspricht aber dieser An nahme; es muß vielmehr «ine Abnahme der gewerblichen Be schäftigung im Vergleich zum Vorjahre stattgefunden haben. Die Anzeichen eine: herbstlichenBelebung, soweit sie sich im August schon äußerten, beschränkten sich fast gänzlich auf den Marktverkehr und beeinflussten die Warenherstellung fast noch gar nicht. Teilweise machre sich sogar im August noch eine erneute Senkung des Beschäftigungsgrades bemerkbar. Die Hoffnungen einer herbstlichen Belebung der Bautätigkeit blieben unerfüllt, da die Lage des Geldmarktes die Unter nehmungslust noch nicht begünstig!. In den Städten war nicht nur die spekulative Bautätigkeit matt; es war auch sonst relativ wenig zu tun. Aus zahlreichen Städten wurde über einen starken Ueberfluss an Bauarbeitern aller Art berichtet; die Lage wurde dadurch noch verschärft, dass vereinzelt sogar von Kommunen weniger Arbeiter eingestellt wurden; in Dresden, wo im August 1907 allein für städtische Betriebe 200 Arbeiter ver mittelt worden waren, wurde im Berichtsmonat nicht ein Arbei ter verlangt. Nur aus wenigen Orten wird über eine leichte Belebung der Bautätigkeit berichtet. Die Ungunst in der Eisenindustrie nahm im August sogar verschiedentlich noch zu. So wird aus Bielefeld gemeldet, daß in fast allen Fabriken der Eisenindustrie Arbeiter wegen Arbeitsmangels entlassen wurden. Ueberall bestand an Schlos sern, Mechanikern usw. Ueberfluss. Svas für Baugewerbe und Eisenindustrie gesagt ist, gilt auch sür die Textilindustrie. Gewöhnlich bringt der Monat August schon eine flottere Tätig keit, da die Herbstsaison beginnt. In diesem Jahre wurde auch wohl in einzelnen Betrieben die stark reduzierte Arbeitszeit wie der ein wenig ausgedehnt, aber in der Mehrzahl der Betriebe wurden die umfangreichen Betriebseinschränkungen noch in un gekürztem Grade aufrcchterhalten. Besonders knapp war die Arbeitsgelegenheit im Seidengewerbe. Auch in der Beklei dungsindustrie war die Ungunst noch unverändert. Nicht ganz so unbefriedigend wie die Lage der bisher er wähnten Gewerbe war die des B e r g ba u e s im August. Zwar nahmen auch hier Feierschichten zu, ohne dass indessen die Ver dienstgelegenheit so stark zurückging wie in anderen Gewerben. Im Verkehrsgswerbe war der Arbeitsmangel steigend, wie aus dem Ueberangebct an Arbeitskräften in Hamburg, Kiel, Flensburg usw. hervorgeht. Relativ am befriedigendsten sind noch immer die Arbeitskräfte in den Nahrungs- undGe- nussmittelge werben beschäftigt. Selbst in der Tabak industrie kann der Geschäftsgang noch zufriedenstellend genannt werden. Im Gegensatz zum gewerblichen Arbeitsmarkt gab es in der Landwirtschaft erfreulicherweise sehr viel zu tun, wenn es auch hier an Schattenseiten vielfach nicht fehlte. In vielen Gegenden Deutschlands war di« Witterung namentlich in der zweiten Hälfte des Monats August so regnerisch, dass die Arbeiten im Freien unterbrochen werden mussten. Da bis An fang September keine Besserung cintrat, so verursachte diese Ver zögerung ziemlich erheblichen, hoffentlich aber nur vorübergehen den Schaden. Politische Tagesschau. Aue, den 14. September. " Der Fall Schücking. Dem Frankfurter Generalanzeiger wird aus bester Quelle gemeldet: Die aussehenerregende Ver tagung der Disziplinarverhandlung gegen den Bürgermeister Schücking in Flensburg ist deshalb erfolgt, weil der Reichs kanzler telegraphisch sämtliche Untersuchungsakten vor der Verhandlung einfordern liess. * Professor Schnitzer. Professor Schnitzer nimmt am 1. Olt. seine Vorlesungen an der Universität München wieder auf. Schnitzer wird, entgegen allen ultramontanen Wünschen, wieder im theologischen Seminar lesen. * Das spanische Königspaar unterwegs. Im Ministerium des Aeusseren wird bestätigt, dass der König und die Königin Ende September von San Sebastian abreisen werden, um sich nach München, Dresden und Pest zu begeben. Für den Aufenthalt in Oesterreich-Ungarn seien zwei Wochen in Aussicht genommen, und die Dauer der Reise würde insgesamt einen Monat in Anspruch nehmen. Der Minister des Aeusseren werde an der Reise teilnehmon, aber nach Erledigung des offi ziellen Besuche sogleich nach Spanien zurückkehren. * Kapitänleutnant Prinz Adalbert von Preußen. Prinz Adalbert von Preußen ist zum Kapitänleutnant befördert worden. Aus diesem Anlass erschien er gestern beim Prinzen Heinrich zur Meldung. * Rücktritt des Ministeriums Christensen. Was seit dem Bekanntwerden der Millionenschwindeleien des früheren dänischen Justizministers Alberti stündlich erwartet wurde, ist cingetreten. Der Minister des Aueßern Graf Raben-L e v e z a u hat Sonn abend dem König sein Entlassungsgcsuch eingereicht. Der König ja selber nicht abergläubisch, Gott bewahre, aber es gibt doch Leute, die . . . Man könnte doch daran Anstoss nehmen, dass . . . also Harald muh schleunigst suchen, einen vierzehnten Gast zu be kommen — wenn er bloss endlich käme! Ja, warum kam denn der Assessor eigentlich nicht? Mir wollen einmal die Allwissenden spielen und seinen Weg ver folgen, nachdem die Sitzung eher, als er vermutet, aus war! Da schlenderte er so gemächlich noch ein bisschen spazieren und dachte bei sich, indem er schadenfroh in sich hineinlachte: Ja, ja, Strafe muss sein, Frauchen, nun will ich dich 'mal ein bisschen zappeln lassen! Desto besser u irst du einsehen, dass ich recht hatte! -- Und so im Schlendern und im Bummeln und im Geniessen einer ruhigen Stunde geistigen und körperlichen Ausruhens an solch herrlichem, sonnengoldigen Frühlingstage war er weit hinaus vors Tor geraten. Da überkam den gesetzten Herrn Assessor mit einem Male so ein recht jungenhaftes Wohlbehagen und hätte ihn jetzt einer zu einem rechten, echten Dummenjungenstreich aufgefordert — wer weiss, ob er die Mittäterschaft standhaft ab gelehnt hätte! Lustig pfeifend liess er sich in der warmen Sonne an einem kleinen Abhang im Grase nieder und fing an, sich eine Zigarette zu drehen. Da raschelt es plötzlich neben ihm, und wie er Hinsicht, guckt ihn so recht neugierig aus klugen Aeuglein eine schöne grüne Eidechse an! Hei, wie waren da auf einmal all die alten Knabenpassionen in dem Assessor lebendig! Himmel, wie war es schön gewesen, wenn er als Junge auf den Eidechsen fang ging! Ob er's noch kann? Ob er's 'mal probiert? — Die halbseitige Zigarette fliegt ins Gras, der Assessor sieht sich um — keine Menschenseele, die ihn belauschen könnte! Nun aufgepaßt, ob sie wicderkommt! Da ist sie, vorsichtig äugend — nur Geduld, bis sie dreister wird — die Hand ist schon er hoben — daß auch ja nicht der Schatten sie verrät — nun drauf!! — Aber was ist denn das, ich halte sie doch, denkt der Assessor, ich habe sie ja doch in der Hand gefühlt! Ins Loch geschlüpft ist sie, verschwunden, und kein Marten hilft, sie lässt sich nicht wieder blicken! Na, denn nicht, denkt der Assessor, man ist doch recht ungeschickt geworden, fügt er verdriesslich hinzu und klopft seine schönen, schwarzen Beinkleider säuberlich ab. Aber nun im Trab nach Hause, was wird Frauchen sagen? — Was Frau chen saxfte? Di« flog ihm um den Hals, aller Streit war ver gessen: Harald, Mann, wo bleibst du bloss so lange? Hat denn die Sitzung so lange gedauert? — Ach nein, Mau», ich bin nur noch ein Stündchen spazieren gegangen. — O, du schrecklicher Mensch, lässt dein arnies Weib in Angst und Nöten sitzen — eben hat der Justizrat abgesagt, was nun? — Ja, guck' nur nicht so verwundert, du musst jetzt notwendig einen vierzehnten Gast schaffen, hörst du, du musst! Unmöglich können wir uns so blamieren mit unserer ersten Gesellschaft, dreizehn, nein, das kannst du mir nicht antun! — Ja. Freda, Liebste, ich kann doch auch keinen aus dem Aermel schütteln — jetzt, so kurz vorher — warte 'mal — der einzige, der. mir den Gefallen tun könnte, wäre mein Freund Börner, der Privatdozent! — Ach Gott, der?! Der steife Peter? Der iür nichts Sinn hat, als für seine Bücher und feine Tiere und Greulichkeiten in Spiritus? — Na, meinet wegen, besser wie keiner! — Du .übrigens, ich finde, Anneliese könnte nun auch hier sein, sie hat mir versprochen, zu helfen, aber wahrscheinlich sitzt sie wieder über den neuesten Bölsche oder sonst einem gelehrten Schmöker! — Na, nun lauf aber, dass ich weiß, woran ich bin! - Bald konnte der erfreute Assessor seinem Frauchen sagen, daß der Schulfreund ihm gern aus der Not helfen wollte. Ich habe ihm auch in der Freude meines Herzens die netteste Tisch dame versprochen — was meinst du, setzen wir ihn neben meine Schwester? — Um Himmels willen, Harald, er spricht kaum, und Anneliese sagt so gut wie nichts — das könnte 'ne nette Unterhaltung werden! Nein, Lu bist doch ein zu schlechter Menschenkenner! Die beiden mopsen sich ja entsetzlich! Er muss die kleine Eeheimratstochter führen, die ist furchtbar fidel und lustig, sage ich dir, die wird ihn schon aufmuntern! Und die schwerlebige, stille Anneliese, di« setzen wir neben den Leutnant Schwarz, der steckt voller Schnurren und Schwänke — halbtod habe ich mich neulich gelacht, als er bei Rechtsanwalts nach Tisch neben mir saß! Der wird deinem ernsten Schwesterlein schon das Lachen beibringen, Lu sollst 'mal sehen! — Na, meinet wegen, nun kannst Lu 'mal recht haben, dann sind wir quitt, nicht, kleine Frau? — Ja, ja — aber nun wollen wir Toilette machen — ich gehe dann mit Müller in den Weinkeller! — Da, schön, das Eis für den Wein ist auch schon da! rief ihm Freda noch zu, dann übersah sie prüfend die fertige Tafel, rückte an dem Tafelaufsatz, schob die Blumen etwas mehr nach der Mitt« zu, legte die Tischkarten auf jedes Gedeck, wobei sie ein wenig lächeln musste, als sie die der beiden jungen Paare ordnet«.— Wie fein sie das doch gemacht hatte! Erst neulich hatte der