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Sonnabend, 22. Dezember 199«. 300Ü ^iMiistlll Nr. 95. Erster Jahrgang. 5luer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge veranNvoiNichcr Bedakle»r: Fritz Ain hol-. Für die Inserate verantwortlich: Arthur Anpser beide in Aue. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Honntagsblatt. Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Sonntage nachmittags von 4—L llhr. — Telegramm-Adresse: Tageblatt Aue. — Fernsprecher ror. Für unverlangt eingesandte INannskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Druck und Verlag Gebräder Beuthn er (Inh.: Paul Beuthner) in Aue. 8«zu gspreis: Durch unsere Boten srei ins lsaus monatlich so Pfg. Lei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich 40 pfg und wdchcntlich >a pfg. — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich pso Alk. — Durch den Briefträger frei ins lsaus vierteljährlich , 92 lNk. - Einzelne Nummer to pfg. — Deutscher postzeitungs- katalog — Erscheint täglich in -en Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. 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Januar wird das deutsche Volk an die Wahlurne treten. Mächtig regt es sich daher auch schon jetzt in allen Parteilagern und die Wahlausruse der einzelnen Parteien sind bereits erlassen. Dkiv grotze Interesse, das durch die Aus lösung des Reichstages allgemein erregt worden ist, hat natur gemäß manchen anderen wichtigen Geheimnissen nicht die ge bührende Aufmerksamkeit zukommcn lasse», so dem Manifeste des Herzogs von Cumberland. In diesem gab, wie wir mitteilten, er bekannt, daß er die Verwirklichung seiner Rechtsansprüche aus die Krone von Hannover nur und allein durch eine freie Tat des Deutschen Kaisers und des Deutschen Reiches erstrebe, daß er wünsche, daß der braunschweigische Regentschaftsrat und die Lan- dcsversammlung sich entschließen, die streitige Rechssrage ob sein jüngster Sohn bei Durchführung der Vorschläge des Herzogs die rechtlichen Voraussetzungen erfülle,die sich aus der Reichs- und der Landesverfassung für seine Thronbesteigung im Herzogtum Braunschweig ergeben, der Entscheidung des Reichsgerichts als Schiedsgericht zu unterbeiten. Daraufhin ist der braunschweigische Regentschaftsrat aber nunmehr zu dem Entschluß gelangt, den herzoglichen Antrag aus Anrufung des Reichsgerichts abzu lehnen. Auch dem Besuche des Königspaares von Norwegen am deutschen Kaiserhose ist keine allzugroße Beachtung zuteil gewor den. König Haakon betonte in seinem Trinkspruch besonders, daß er wie sein norwegisches Volk die aufrichtigste Freude an dem guten Einverständnis empfinden, daß zwischen Deutschland und Norwegen existiert. Man kann gerade nicht sagen, daß dies eine recht bedeutungsvolle Erklärung war. Für Frankreich wurde der 13. Dezember ebenfalls zu einem wichtigen Tage. Am 11. Dezember um Mitternacht hat das Konkordat das am 15. August 1801 nach langwierigen Verhandlungen zwischen Papst Pius VII. und der ersten französische» Republik geschlossen worden war, aufgehört zu bestehen und am 13. Dezember ist das Sepa- rationsgcsetz vom 9. Dezember 1905 in Kraft getreten. Wie zu erwarten war, ist es bei der Ausführung dieses Gesetzes schon zu mehrfachen Ruhestörungen gekommen. In Lyon, Nantes, Montpellier, Arras erhoben sich Volksmassen zu Gunsten ihrer Bischöfe. Berechtigtes Aussehen erregte die Ausweisung des Msrg. M 0 ntagnini aus Paris. Diese Ausweisung hat auch zu einer Verstimmung zwischen dem Vatikan und Spanienge führt. Am Tage der Ausweisung wurde nämlich im Auftrage des Staatssekretärs, des Kardinals Merry del Val der spanische Botschafter beim Päpstlichen Stuhle angewiesen, den spanischen Botschafter in Paris darum zu ersuchen, die Obhut über die Ar chive der Nuntiatur zu übernehmen und den Vatikan zu vertre te». Die spanische Regierung ihrerseits aber richtete auf Grund eines außerordentlichen Ministerrates an ihren Pariser Bot schafter die Aufforderung, die Obhut über die Archive nur mit Genehmigung der französischen Regierung zu übernehmen, sich je der Einmischung zwischen Frankreich und dem Vatikan zu ent halten. Die spanische Negierung hat sich also auf Seilen Frank reichs gestellt. Auch in Italien ist man in gewissen Kreisen mit dein Vorgehen der Herren Clemenceau und Briand nur zu sehr ein verstanden. Die fortgeschrittenen liberalen Parteien und Be- völkcrungsgruppen, Demokraten, Sozialisten und Republikaner, Mazzinianer und Freimaurer begrüßen die Kunde von der französisch-vatikanischen Kriegserklärung mit Jubel. In Rom kam cs sogar zu einer antiklerikalen Kundgebung vor der fran zösischen Botschaft, wobei die Ruse: „Es lebe Clemenceau!" „Nie der mit dem Vatikan!" „Nieder mit den Feinden des Vaterlan des!" einander ablösten. Zahllose Glückwünsche gingen aus Rom wie aus ganz Italien an Clemenceau. Immer stärker wird die Stimmung eines großen Teiles des italienischen Volkes zu Gunsten Frankreichs, immer geringer zu Gunsten Deutsch lands. So wies in der Deputiertenkammcr der Sozialist Bisso- lati daraus hin, daß die sozialistische Partei Italiens stets für gute Beziehungen zwischen Italien und Oesterreich-Ungarn ge wirkt habe, daß, da ein herzliches Einvernehmen zwischen Italien und Oesterreich-Ungarn seine natürliche Grundlage in den Tat sachen habe, der Dreibund für Italien ein unnützes Band und eine schwere Verpflichtung ohne genügende Gegenleistung sei. Man sieht hieraus, wie wenig Deutschland noch aus Italien rechnen kann. England hat eben nicht nur Frankreich und Spa nien, sondern auch Italien fest am Gängelbande. Politische Tagesschau. Aue, 22. Dezember 1906. Zum Rücktritt des Kultusministers. Berliner und andere Blätter wollen wissen, daß der Kultus minister gehe» wolle, einige meine», er solle den Wünschen der andere, er werde ohne Herrn Alth 0 f s nicht fertig werden können und ziehe deshalb vor, zu gehen. Letzteres erscheint »ns als das Wahrschei n- lichste. Herr Althosf ist schwer erkrankt, Herr Althosf, das treibende Moment der ganzen Studtschen Politik. Da man aber in Herrn Ztudt doch immer das Haupt und die verantwortliche Stelle für alle Maßnahmen des Ministeriums erblicken muß, so kann es nicht Wunder nehmen, wenn sich Unwille weiter Kreise über den augenblicklichen Kurs im Kul tusministerium gegen die Per son StndtS richtet. Dazu kommt, daß der polnische Schul st reik Herrn Stndt durch aus unbegnem ist Er ist keine lu.an a hmiuNkeilen am liebsten ans dem Wege gehen. Im Vertrauen aus das ocri-stum-le Zen trum hat er den Kamps ansgenommrn, setzt aber, wo auch das Zentrum nolens volens verabschiedet worden ist, siebt er auch gegen dieses im Kamps. Man wird daher aus sein scheiden gefaßt sein können. Die Protestnote des Papstes an die Mächte. Gestern wurde die Protestnote des Papstes an die Mächte- veröffentlicht. Sic beginnt mit einem heftigen Einspruch gegen die Haussuchung bei M o n t a g n i n i und seine Ausweisung. Beides sei eine Abnormität ohne Beispiel in der Kulturwelt. Bisher sei stets auch nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen die Residenz des Vertreters und seine Archive geschont wurden. Das Schlimnisie sei, das auch der Aktenkatalog und der (Lhisfreschlüssel in der Hand der Regierung sei, so daß diese mittelst der auf« bewahrten Telegranimkopicn die ganze Korrespondenz des Vatikans mit dem RuntinS Lorcnzclli »achprüfcn könne. Nun folgt der Hauptpunkt: Der Papst beklagt, das Frankreich das Hauptrecht des Pap st e s, ans irgend eine Weise mit den Katholiken zu korrespondieren, angetastct habe. Der Vorwand Frank reichs sei unhaltbar, da Montagnini keinen Kontakt mit d« i drei prozessieiteil Pfarrern gehabt habe. Alle n Vertretern Linksliberalen zum Opfer fallen, nr und moäne wichen Das politische Jahr 1996. (II.) (Nachdruck verboten.) Im Reichstage hatte inzwischen Gras Posadowsty wieder seinen wochenlangen Kampf um sein Gehalt zu führen, wie das ja in jedem Jahre der Fall ist. Wird ihm doch bei dieser Gelegenheit der Wunschzettel über soziale und wirtschaft liche Reformen vorgelegt und zu jedem einzelnen Wunsch muß der geplagte Herr Rede und Antwort stehen. Wahrlich, man staunt darüber, wie dieser Mann der Arbeit auch in die kleinsten Angelegenheiten seines Refforts eingcdrungcn ist, und wundert sich,, daß er nur p<-im»>» pwntn, nicht aber nach Verdienst Poem»«» krutwmmn ist. Im Lause dieser Delmtte kam auch ein sozialdemokraiffcher Antrag auf Einführung des allge meinen d 1 r c t t e n^ W ah l r e ch t s, für die Landtage der Bundesstaaten zur Erörterung. Die gemäßigten Parteien mein ten, die Initiative zu einem solchen Gesetze müsse von den Bun desstaaten selbst ausgehen. Gras Posadowsky aber entgegnete, das allgemeine direkte Wahlrecht habe sich als ein Rcchensehler erwiesen, gleichwohl stehe die Reichsregierung sest aus dem Boden dieses Wahlrechts. Es wäre ja bedauerlich, daß Preußen ein anderes Gesetz habe, aber, wenn die Arbeiter in Preußen mit an der Gesetzgebung arbeiten wollten, müsse es Vorbedingung sein, daß sie sich auch den monarchischen Prinzipien «nterordneten. Im übrigen hatte sich Gras Posadowsky Uber Versiche rungswesen, Rechtsfähigkeit der Arbeitervereine und Arbeiterkammern, Heimarbeiter, Seefischerei, staatliche Weinkontrolle im Anschluß an den Pantscherprozcß Sartorius, Genickstarre, Viehseuche ngesetz, Impfzwang und G e - Heimmittelwesen zu äußern, also eine Blütenlese von allerhand schönen Sachen zu liefern. Inzwischen war in unserem Verhältnis zu den Vereinigten Saaten eine Wendung eingetreten, an die man nicht recht geglaubt hatte. Die Ameri kaner sind trotz aller ihrer Sympathien für uns lediglich Rechner i und Kaufleute. So wollte es nicht gelingen, einen Handels vertrag mit Amerika zustande zu bringen und der Zollkrieg stand I in drohender Aussicht. Um ihn zu vermeiden, beschloß der Reichs tag, einem Handelsprovisorium mit Amerika zuzustimmen, das bis zum 30. Juni 1907 in Geltung bleiben soll und die Möglich keit gewährt, die Sätze der Handelsverträge schon jetzt auch auf Amerika anzuwenden. Voraussetzung ist dabei natürlich das Zustandekommen eines Handelsvertrages. Ob das aber bis Mitte des nächsten Jahres der Fall sein wird, erscheint mehr als frag lich, zumal doch die Amerikaner erst gegen Ende des Jahres Maßnahmen zur Einleitung der erforderlichen Enqueten in Deutschland getroffen haben. Gerade in dieser Zeit hatte mit dem gesamten Deutschen Reich namentlich die Reichshauptstadt Berlin frohe Festtage ge feiert. Hatte es doch gegolten, die Silberne Hochzeit des Kaiserpaarcs zugleich mit der Vermählung des Prinzen Eitel Friedrich festlich zu begehen. Die aus allen Teilen des Reiches in Berlin zusammengeströmten Scharen haben es wohl am besten erkennen lassen, daß die Treue zu Kaiser und Reich auch in der Heranwachsenden Generation noch nicht erstorben ist. Die Gesichter der Menschen, die sich in diesen Tagen in B. Unter den Linden drängten, ließen keine Reichsverdrossenheit erken ne». In SUdwestasrika ereignete sich damals eine heitere Ge schichte. Der Bethanierkapitän Kornelius hatte sich mit seinen Leuten ergeben. Diese waren in dem Glauben, sie brauchten bloß ihre Gewehre abzugcben und zu versprechen, nicht mehr Orlog machen zu wollen, dann sei alles gut. Als sie aber er fuhren, daß sie auch ihr Vieh, das sie in ihren Monate langen Raubzügen erbeutet hatten, abliefern müßten, wurden die Gesich ter immer länger und während ihr Kapitän noch weiter ver handelte, verschwanden seine Leute in aller Stille natürlich mit dem Vieh. Da Kornelius sie nicht zurückholen konnte, blieb ihm nichts weiter übrig, als ebenfalls bei ihnen zu bleiben und weiter Orlog zu machen. Glücklicherweise, und wahrscheinlich hatte Kornelius selbst die Sache so geschoben, konnte die ganze Bande gleich daraus, nämlich schon am 3. März, gestellt und dies mal durch Hauptmann Volkmann reell gefangen genommen werden. Am 10. März schloß EugenRichter die Augen zum letzten Schlummer, aufrichtig betrauert von Freund und Gegner, wie er stets im Leben auch ein aufrichtiger Freund und ein auf richtiger Gegner gewesen war. Ein kleines Skandälchen gab da mals der öffentlichen Besprechung vielen Stoss, nämlich die Entmündigung des Herzogs Paul Friedrich zu Meck lenburg wegen Verschwendungssucht. Seine Schulden waren auf fünf Millionen bemessen. Aber diese Momente werden unter dem Sturz des französischen Kabinetts Rouvier von der Oberfläche verdrängt, namentlich aber von den schaurigen Meldungen über das Grubenunglück in Courriöres, wo durch eine entsetzliche Explosion an die tausend Arbeiter in den verwahrlosten Schächten einer französischen Vergwerksgesell- schaft lebend ihr Grab fanden. Regte sich schon infolge dieser Nachrichten das Mitgefühl Deutschlands, so steigerte sich die Sym pathie noch, als bekannt wurde, daß die verantwortlichen In genieure jeden Versuch, noch etwa Lebende zu bergen, als aus sichtslos unterließen. Jetzt machte sich eine deutsche Rettungs mannschaft aus Herne auf und drang mit ihren Apparaten in die ausgebrannten Schächte ein. Dank ihrer Tätigkeit gelang es, noch etwa dreißig bereits als tot erachtete Arbeiter zu retten und den ihren wicderzugebe», ein Verdienst, das die ganze zivilisierte Welt, Frankreich an der Spitze, anerkannte. Auch Kaiser Wilhelm nahm aus Anlaß der Uebersiedelung der Düsseldor fer Husaren nach Krefeld Gelegenheit, die Rettungsmannschaften sich vorstellen zu lassen und sie auszuzeichnen. So erhebend nun diese Angelegenheit für das deutsche Volksbewußtsein gewesen war, so beschämend gestaltete sich zunächst eine andere An gelegenheit, auf die wir bereits zu Anfang dieser Uebersicht hin gewiesen haben. Wir meinen den Kolonialskandal, der um diese Zeit groß zu werden begann. Im vorigen Jahre hatte bereits die Affäre von der famosen Cousine des Gouverneurs v. Puttkamer allgemeines Aussehen erregt und uns hämische Be merkungen von feiten des Auslandes, eingetragen. Von allen den Leuten, die sich damals um die kolonialen Angelegenheiten zu kümmern begonnen hatten, war einer der junge Zentrums- Abgeordnete, Redakteur Erzberger gewesen, der sich die Ko lonien als das Feld ausersehen hatte, wo er seine Sporen als Parlamentarier verdienen wollte. Die angeblich nicht gerecht-