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WiMmsserNaeblatt Sonnabend, den 23. Mai 1931 Wilsdrusf-Dresden Telegr.-Adr.: „Amtsblatt' Nr. 118 — 90. Jahrgang. Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meißen, des Amts gerichts und des Stadtrats zu Wiisdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt. für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter. Anzeigenpreis: die 8aefp^tene Raumzeile 20Rpfg., die 1 gespaltene Zeile der amtliche« Vebnnn'machungen 40 Reichs« Pfennig, die 3 gespaltene Rcklamezeile im textlichen Teile I Reichsmark. Nachweisungs^.cti dr 20 Aeichspsennige. Vor- geschriebene Lrscbcinungs- - . rage und PlatzvUrschriften werden nach Möglichkeit Fernsprecher: Amr Wilsdruff Nr. 6 bcrücksichtigt. Anzeigen- annabme bis oorm.lO Ubr. Für die Richtigkeit der durch Fernruf übermitteltenAnzeigen übernehmen wir keine Garantie. I"der Rabat ^ansprvch erlischt, wenn der Betrag durch Klage eingezogen werden muß oder der Auftraggeber in Konkurs gerät. Anzeigen nehmen alle VcrmiMmgsstcllen entgegen. Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, Das »Wilsdruffer Tageblatt" erscheint an allen Werktagen nachmittags 5 Uhr. Bezugspreis: ^ei Abholung in der ubeichästsstcile und den Ausgabestellen 2 AM. im Monat, bei gustellung durch die Bote» 2,3V AM., bei Bostbeite-.ung -> «W. zuzüglich Abtrag- .. . gebühr. Ernzelnummcrn 15Apfg.All-Postanstalten Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend Postboten und unjereAus. trag er und Geschäftsstellen —: — zu i cder Zen-ue- stellungen entgegen. Im Falle höherer Gewalt, Krieg oder sonstiger Betriebsstörungen besteht kein Anspruch auf Lieferung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. — Rücksendung eingesandter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Porto bettregt. Postscheck: Dresden L640 Wir wollen leben! Eine politische Pfingstbctrachtung. Wie vielen, vielen Deutschen wird in diesem Jahre ein Erinnern an das Goethesche „Pfingsten, das lieb liche Fest, war gekommen" nicht ein bitteres Lächeln, ein von wenig grünender und blühender Hoffnung zeugendes Achselzucken, zum mindesten ein griesgrämig protestieren des Schweigen abnötigen! Mit grauen, Schleiern verhüllt es unseren Augen die Not, daß mit neuem, festlichem Ge wände die Natur sich geschmückt hat. Aber dieser graue Schleier liegt über den Seelen von uns allen. Vergeblich ist die heimliche Predigt der Natur. Wir hören sie nicht. Mehr aber noch als nur ein Fest der Natur ist Pfingsten. Ein Fest des G e i st e s ist es, — s o l l 1 e es sein!. Aber ganz „nnlieblich" ist dieser Tag geworden, da über die geistige Freiheit und das aus ihr empor blühende Sich-freuen die materielle Not mit ihrer Un- geistigkeit zu triumphieren vermag. Wohin wir auch blicken —, überall herrscht dieses Wrdergeistige, das Ungeistige des rein Materiellen, der erbitterte Kampf mittels der Ellenbogen. Oder mit Schlimmerem. Die Angst vor dem Kommenden, die Sorge um das Morgen, die eine Freude am Festestag nicht aufblühen läßt oder diefe auch gleich wieder in das grob Materielle hinein treibt. Wie eine Gewitterwolke steht ein Schicksal über uns und verdunkelt die Sonne des Pfingsttages. Die Erbitterung gegen jenes unerbittliche Schicksal droben am Himmel über Deutschland steht als eisern gepanzerte Schildwache vor dem Herzen. Sie sorgt dafür, daß kein Strahl der Pfingstsonne hineindringt, kein Pfingstlüft lein hineinweht. Und wir harren auf „das Wunder". Auf das Kommen eines neuen Geistes. Darauf, daß an die Stelle des Ungeistes überhaupt wieder Geist trete. Auf — das Pfingstwunder. Aber Wunder sind selten geworden in der Welt. Und sie verlangen zum mindesten ein aufnahmebereites Herz. Aber selbst der Geist, der am ersten Pfingstfest hernieder- kam auf die Apostel und die Jünger, der sie mit dem Geist des Kämpfen- und Ringcnwollens für etwas Neues, etwas Weltumstürzendes erfüllte —, er müßte in unseren Herzen erst noch den Kampf mit dem Materiellen, dem Ungeist des Hasses, des rohen Fanatismus führen. Denn mit parteipolitischem Haß, mtt Milder Kmnpfbegier der einen wider die anderen i st unser Polk Ourchtränkt. Wir sprechen in vielen Sprachen "und Zungen, aber so, daß — anders wie bei jenem ersten Pfingstfest — wir einander nicht mehr ver stehen. „Man gehört auch zum Pöbel, solange man immer auf andere die Schuld schiebt, aber man ist auf der Bahn der Weisheit, wenn man nur sich selbst verantwortlich macht," — das ist nicht eine „Kapuzinerpredigt" des griechi schen Philosophen, der dies Wort sprach,- sondern eine Weisheit, die zu erkennen und zu befolgen gerade jetzt mehr denn je eine Ari Pfingstwunder wäre. Vorläufig aber suchen wir die Schuld der anderen mittels Pistole, Schlagring oder Zaunlatten zu quittieren. Und dieser Lärm würde selbst das Brausen übertönen, mit dem sich das Kommen eines neuen Geistes verkündigen müßte. Un geistige parteipolitische Selbstgefälligkeit, krachende Schlag worte, hinter denen, ach, meist nur herzlich wenig Geist sich fast unauffindbar verbirgt, grobe materielle Verheißungen für eine Zukunft, deren Gestaltung ja doch nicht von uns allein abhängt, und immer wieder jenes Abschieden der Schuld auf „die anderen", — das ist nicht ein Vorwärts kommen auf der „Bahn der Weisheit", ist nicht ein auf- nahmcbereites Harren und Hoffen auf einen neuen, einen „heiligen" Geist. Der kann nur dort eindringen, wo das Bewußtsein der eigenen „Schuldhaftigkeit", die Erkenntnis der eigensten Verantwortungspflicht den Boden durch pflügt hat und nicht ungeistiges Erstarrtsein die Aufnahme der Saat unmöglich macht. Dieses Erstarrtsein haben wir ja auch wieder fast überall in Europa gesehen rings um Deutschland. In Genf war auch nichts zu hören von dem Brausen eines sich auf die Vertreter der Völker herniedersenkenden neuen Geistes. Wav da mit harter, schroffer, griesgrämiger, immer nur Nein! sagender Stimme zu den Deutschen sprach, war der alte U n g e i st der Friedens- d i k 1 a 1 e. Es waren die Pharisäer, die im Besitz der Macht sind und alles daran setzen, die Tore fest zu ver schließen, an die ein neuer Geist vergeblich pocht. Auch dort war man in einem saale versammelt, aber nur Streit und Hader, Drohungen und brutales Fordern erfüllte ihn ob wohl auch hier oben am Himmel die schwarzen Wolken all gemeiner Not hängen. Man redete in vielen Zungen aber die Zuhörenden verstanden einander nicht. Hier kam die Natur, die Entwicklung nicht zu neuem Schaffen hier herrscht das Widergeistige, der Ungeist eines Welten'hasies von gestern und vorgestern, der uns Deutsche auf den Leidensweg zwang und ihn bis auf unabsehbare Weite hinaus sortzusetzen heißt. Aber noch und trotzdem: Wir leben. Und wir w o l l e n leben. Können aber nur leben, wie es das Schicksal über uns und die nachfolgenden Geschlechter ver hängt hat. Es gibt keine „Psingstwunder" mehr, sondern nur das eine, das zugleich Mahnung und Ziel ist, das vom Geist befohlen wird gegenüber dem Starrsinn des Ungeistes, der Verzweifelung und der Hoffnungslosigkeit: ^Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, Der täglich ste e r o b e r n muß . . . !" vor neuen Steuererhöhungen? Stärkere Belastung der höheren Einkommen. Gerüchte und Dementis. Die Folge der Geheimnistuerei um die Maßnahmen in der angekündigten Notverordnung sind Gerüchte und wachsende Beunruhigung, und aus die Gerüchte folgen Proteste und auf die Proteste Gegenerklärun gen aus den Ministerbureaus. Dieses Spiel geht nun schon seit Tagen. Immer neue Gerüchte tauchen auf und immer neue Dementis folgen. Aber wer glaubt heute noch an Dementis? Ist doch s» manches eingetroffen, was zunächst als unmöglich bezeichnet worden ist. Es ist höchste Zeit, daß mit diesem Spiel endlich Schluß gemacht wird, und daß die Öffentlichkeit erfährt, was ihr bevorsteht. Die wachsende Beunruhigung trägt wahrhaftig nicht dazu bei. das Vertrauen in die allgemeine Lage zu heben. Seit einigen Tagen ist auch das Gerücht im Umlauf, daß die angekündigte Notverordnung neue Steuer er Höhungen bringen werde, trotzdem der Kanzler und der Reichsfinanzminister in den letzten Wochen mehrfach erklärt haben, Steuererhöhungen seien unmöglich, weil wir an der Grenze der Belastung längst angelangt sind. Aber die Gerüchte wollen nicht verstummen, und sie haben auch prompt die erwartete Gegenerklärung ausgelöst. Aber diese Erklärung, die ihrer ganzen Form nach aus unterrichteten Kreisen stammt, ist eigentlich keine Wider legung, sondern nur eine Bestätigung der Gerüchte in sehr vorwichtiger Form. Es wird schließlich zuge standen, daß eine stärkere Belastung der höhe ren Einkommen wohl nicht zu umgehen sei, um einen Ausgleich für die Kürzung der Sozial leistungen zu schaffen. Damit wird auch bestätigt, daß eine Kürzung der Sozialleistungen kommen wird. Lie vigagle Mecoung muiei: Im Hinblick aus die bevorstehenden Kabincttsberatungen über die Sanierung des Reichshaushalts sind neuerdings Meldungen aufgetauchl, wonach die Reichsregierung außer ein schneidenden Ersparnismaßnahmen auch noch die Erhöhung gewisser Steuern plane, da die zu erzielenden Ersparnisse nicht ausrcichtcn, um den Haushalt zum Ausgleich zu bringen. Genannt werden schon seit einiger Zeil die Einkommensteuer für die Einkommen über 841M Marl und die Umsatz steuer. Der Rcichsfinanzministcr hatte vor einem Jahre, als die erste Not verordnung vorbereitet wurde, der Erhöhung der Umsatzsteuer mit dem Bemerken widersprochen, daß hier die letzte Reserve des Reiches liege, die man nicht zu früh angreiscn dürfe. Bis her ist nicht bekannlgeworden. daß Dr Dietrich seinen Stand- punkt einer Revision unterzogen hätte. Insgesamt wird zu den Gerüchten über geplante Steuererhöhungcn erklärt, daß es sich vorläufig um Kombinationen handele. Da das Kabinett sich erst Anfang der nächsten Woche mit den Fragen beschäftigen wird und da man mit einer mehrtägigen Dauer dieser Beratungen rechne, ist einstweilen Sicheres hierzu noch nicht zu sagen. Soviel freilich dürfte fest stehen, daß innerhalb der Reichsregierung selbst Bestrebungen im Gange sind, mindestens die Steuern auf die höheren Einkommen heraufzu setzen, um dadurch den un- vermeidlichen Abbau bei den sozialen Leistungen polt- tisch zu kompensieren In einer andern Meldung aus amtlichen Kreisen wird erklärt, daß die Kommission zum Studium der Arbeits- beschafsungsmöglichkeiten, die sogenannte Brauns- Kommission, ihre Arbeiten an dem zu erwartenden dritten Gutachten noch nicht beendigt habe. Die Arbeiten werden nach Pfingsten fortgeführt. Wann mit der Fertigstellung dieses dritten und letzten Gutachtens zu rechnen ist, wird in der Mitteilung leider nicht gesagt. Henderson nimmt gegen Danzig Partei Ltngenügen-er Oberschtesienberichi. Ein Protest von Dr. Curtius. Die Völkerbundbesprechungen ruhten am Freitag vor mittag, dafür fanden zahlreiche private Besprechungen statt. Reichsaußenminister Dr. Curtius hat in Genf dem Pariser japanischen Botschafter Noschisawa, der im Völker- bundrat Berichterstatter für Oberschlesien ist, einen Besuch abgestattet. Die deutsche Abordnung lehnt die Vor schläge des Völkerbundsekretariats, den Oberschlesien- bericht der polnischen Regierung einfach zur Kenntnis zu nehmen, und damit die Verhandlungen der Oberschlesien fragen vor dem Rai abzuschließen, aufs nachdrücklichste ab. Die deutsche Abordnung hält den Standpunkt aufrecht, daß der Oberschtesienberichi der polnischen Regierung völlig ungenügend ist und daß die von Polen erwähnten Maßnahmen zum Schutze der deutschen Minderheit in keiner Weise eine Ausführung der Polen im Januar vom Rat auferlegten Verpflichtungen darftellt. Die Vertagung der Oberschlesienfrage auf die Septembertagung wird als feststehend angesehen, jedoch wird das deutsche Rats mitglied ausdrücklich auf den ungenügenden und un befriedigenden Charakter des Berichtes der polnischen Regierung Hinweisen und die Notwendigkeit neuer ver schärfter Forderungen des Rates an die polnische Regie rung zum Schutze der deutschen Minderheit fordern. * Keine besonder« Vorrechie für Polen. Zwischenfall bei Behandlung der Danziger Frage. Im Völkerbundsrat gelangte die Danziger Frage zur Verhandlung, nachdem bis in die letzten Minuten hinein vertrauliche Besprechungen in der Angelegenheit stattgefunden hatten. Der Rat nahm einstimmig einen von Henderson vorgelegten Bericht an, der drei grundsätz liche Feststellungen des Gravina-Berichts übernimmt: 1. Daß die gegenwärtige Krise eine Danzig-polnische Krise, nicht aber eine Krise in den Beziehungen Danzigs zum Völkerbund sei; 2. daß der Rücktritt Straßburgers ledig lich eine innerpolitische Angelegenheit sei und 3. daß keinerlei Veranlassung für Polen vorliegt, einen mili tärischen Schutz für die polnischen Interessen in Dan zig auf Grund der Ratsentscheidung von 1921 zu verlangen. Der Bericht Hendersons spricht Gravina das Vertrauen aus und sieht eine neue Regelung der bisher von Dan ziger Seite scharf umstrittenen Macht des Völkerbunds kommissars vor. Hieran schloß sich eine längere Aussprache, bei der Zaleski erklärte, daß die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Wiederherstellung der Sicherheit in Danzig nicht genüg ten, so daß er sich der Stimme enthalte. Ziehm erklärte, daß der Völkerbundskommissar das volle Vertrauen des Danziger Senats besitze. Graf Gravina betonte, daß die Beziehungen zwischen Danzig und Polen gegen wärtig einen beängstigenden Charakter angenommen hätten. Hierauf kam cs zu einem Zwischenfall, da Hender son plötzlich Danzig für die gegenwärtig gespannten Be ziehungen zu Polen verantwortlich zu machen versuchte. Er richtete den dringenden Appell an den Danziger Senat, im eigensten Interesse alle Möglichkeiten zu vermeiden, aus denen sich Unruhen ergeben könnten. Insbesondere schlössen Demonstrationen nationalistischer Organisationen auf Danziger Gebiet gefährliche Risiken in sich. Das gab Curtius Veranlassung, festzustellen, und zwar im Na men des Völkerbundsrates, daß von beiden Seiten die er forderliche Unparteilichkeit gewahrt werden und dafür Sorge getragen werden müsse, daß es zu keinerlei Provo-^ kationen kommen dürfe. Der hilflose Völkerbund. Auch die Memelfrage soll vor den Haager Gerichtshof. , Im Nat gelangten die Beschwerden der deutschen Re gierung vom September v. I. gegen die litauische Re gierung zur Verhandlung, in denen in verschiedenen Fra gen ein Bruch des Memelstatuts vorgeworfen wird. Der Rat nahm eine Entschließung an, die wegen des strittigen Finanzausgleichs die Entsendung eines unabhängigen Finanzsachverständigen vorsieht. In den beiden weiteren Streitpunkten zwischen Deutschland und Litauen, dem Kriegszustand im Mcmclgcbict und der Frage der Gerichtshoheit, beschloß der Rat, ein Urteil des Internationalen Haager Gerichtshofes herbei zuführen, inwieweit die von der litauischen Negierung eingenommene Haltung den Bestimmungen des Memel statuts entspricht. * Kette poften für Völkerbundbeamte im Goargebiet. Die Völkerbundregterung km Saar» gebiet Hal dem Völkervundrai in Genf ihren Viertel» jahrsbericht vorgelegt Der Bericht enthält auch nähere Angaben über die Finanzlage des SaargebieleS. Es geht daraus hervor, daß die Negicrungskommis- sion im Laufe der vergangenen Jahre aus der Steuer- krask der Saarbevölkerung einen Überschuß von 180 Millionen Frank hcrausgcwirtschaftet hat, aus dem nach den Bestimmungen den französi schen und internationalen Beamten der Völ- kcrbundvcrwaltunq eine hohe Abfindung gezahlt werden soll. Diese Maßnahme steht zu der Notlage im Saargebiet, der wachsenden Arbeitslosigkeit und den von der französischen Grubcnvcrwaltung vorgenommenen erheblichen Lohnkürzungen in krassem Widerspruch.