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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Sievenlehn und die Umgegenden. MmtsölatL für „die Königliche Amtshauptmannschaft zu Meißen", das Königliche Gerichtsamt zu Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. Dieses Blatt erscheint wöchentlich zwei nial, Dienstags u. Freitags und kostet pro Quartal 1 Mark.— Jnscratenannahme bis Montag resp. Donnerstag Mittags 12 Uhr. ^7 8V. Freitag, den 13. October 1876. Nachruf! Unserem theueren, unvergeßlichen Kämmerer und Sparcasseneassirer Herrn Julius Fischer, gestorben am 8. dieses Monats, einem biederen und ehrenwerthen Charakter, sehr befähigten und kenntniß- reichen Beamten und edlen Menschenfreund, welcher Seine gedachten Aemter fast volle 23 Jahre mit seltener Treue und Gewissenhaftigkeit zum Wohle der hiesigen Stadt verwaltete und dadurch sowie durch Sein be sonnenes, freundliches, liebevolles, leutseliges und bescheidenes Auftreten Sich die Liebe und das Vertrauen der ganzen hiesigen Bürgerschaft, sowie auch der Bewohner der umliegenden Ortschaften erworben hat, rufen wir in tiefer Trauer über Sein Scheiden aus unserem Kreise den wärmsten und tiefgefühltesten Dank in das Jenseits nach. Sein Andenken wird immerdar in hiesiger Stadt in Ehren stehen. Wilsdruff, am 10. October 1876. Dcr Stadtgcmcindcrath. Die wahre Lage der Dinge. Die orientalische Krists ist jetzt an einem Punkt angelangt, wo es allen, die Rußlands bisheriges Fischen im Trüben begünstigt haben, gar leicht wird, die unbefangenen Geister zu verwirren. Wir halten es deshalb für Pflicht, die gegenwärtige Lage dcr Dinge möglichst klar darzustellcn, wie sie ungefärbt von Parteiintercsse in Wirklichkeit ist. Der Ausstand in den türkischen Provinzen aus dcr Balkan-Halb insel ist faktisch niedergeschlagen. Dcr Versuch Serbiens, demselben zu Hilfe zu kommen, ist trotz aller Zuzüge der Russen völlig miß glückt. Bliebe hierbei jeder kriegerische Eingriff dcr europäischen Mächte bei Seite, so könnte man mit Sicherheit darauf rechnen, daß in kurzem die Ruhe wieder hergestcllt würde; der diplomatische Ein fluß der europäischen Mächte würde hinreichen, Serbien wieder in die Stellung zu bringen, welche es vor dem Kriege einnahm und den aufständischen Provinzen die Reformen zu sichern, welche ihren gerechten Beschwerden abhclfcn würden. Auf einen solchen Ausgang der Krisis zielen auch in der That die Vorschläge, welche England im Einverständniß mit den europäi schen Mächten an die Türkei gelangen ließ. Die Entscheidung, welche die Türkei nunmehr hierauf ertheilt hat, ist nicht abweisend, aber auch nicht völlig befriedigend. In Betreff Serbiens gicbt sie zwar vollständig nach; in Betreff der aufständischen Provinzen jedoch will sie die geforderten Reformen denselben nicht als ein eignes und ausschließliches Zugcständniß gewähren, sondern sic im Verein mit dem ganzen türkischen Reich ausführen, welchem sie dieselben Reformen verheißt. — Wir nennen dieses Zugcständniß unbefriedigend, weil es nicht abzusehen ist, wie lange cs daucrn wird, bevor das ganze türkische Reich für solche Reformen reif sein wird, und weil, - Falle, in einer Volksvertretung, worin hundert türkische Mitglieder Sitz und Stimme haben, die wenigen Stimmen, welche den christlichen Provinzen zustehcn, majorisirt und unwirksam gemacht wurden. Der Ausweg zu einem günstigen Resultate ist indessen keines wegs verschlossen. Er liegt nahe genug in dem Projekt, vorläufig die geforderten Reformen in den belegten Provinzen sofort auszu- führcn und es der Türkei anheim zu geben, wann und in welcher Weise sie auch das ganze Reich mit denselben erfreuen wolle und könne. Allem Anschein nach wäre dies Projekt auch erreichbar und hiermit wäre, die Krisis zu Ende. Solch' ein Ausgang aber paßt natürlich dcr russischen „Friedens liebe" nicht. Rußland will durchaus Reform-Exekutor spielen und hierzu möchte cs gern von Europa ermächtigt sein, damit es ihm nicht so geht wie vor zwanzig Jahren, wo cs anstatt eines Krieges gegen die Türkei einen Krieg gegen die Großmächte zu kosten bekam. Da jedoch die europäischen Mächte ihm solch ein Mandat nicht geben wollen, weil man nicht gern den Bock zum Reform-Gärtner machen will, so forderte cs Oesterreich znr Bcthciligung an dieser Exekutions- Nolle auf. In Oesterreich hatte man natürlich keinen sonderlichen Appetit nach einer Thcilhaberschaft, bei dcr es eben so gehen könnte, wie bei der Theilhabcrschast in Schleswig-Holstein. Viel natürlicher wäre ihm schon ein Krieg gegen Rußland zu Gunsten des Beistan des dcr Türkei, als ein Krieg an dcr Seile Rußland zum Besten der Slaven, die Deutschösterreich und Ungarn an den Leib gehen wollen. Allein den Vorschlag Rußlands kann man doch nicht ganz abweisen, so lange man nicht weiß, wo man einen Verbündeten findet, wenn Rußland als siegreicher Exekutor nachher sich gegen Oesterreich wendet. Die Türkei im Stich lassen, sich mit den benach barten Slaven obenein verfeinden und ganz still sitzen, um in die Zukunft mit blöden Augen zu blicken, ist auch keine angenehme Situation. Da sagt denn Oesterreich: gut, ich will mitgchcn, aber nur dann, wenn mir die europäischen Mächte hierzu ein Mandat ertheilen. Dieses Mandat würde natürlich dahin lauten, daß der Krieg gegen die Türkei nur so weit getrieben werden soll, wie die geforderten Reformen es erheischen. Gesteht dann die Türkei diese Reformen völlig zu, so müßte Oesterreich sowie Rußland Kehrt machen und heimziehen und die Gefahr eines Krieges wäre vorüber. Bekäme dann etwa Rußland Appetit nach Constantinopcl, so würde Oester reich im Cinverständniß Europas den Spieß umkchren und nach Her zenslust zum Beschützer dcr Türkei werden können. Dies ist der augenblickliche Stand dcr Dinge, dessen Verlauf in den nächsten Zeiten sich erst entwickeln muß, weil vorläufig die euro päischen Mächte weder über das letzte Ziel noch über die Ertheilung eines Mandats einig sind.