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Mittwoch, 1«. August 1S11. liier 4000 »U«ti vnotttn Rr. 18V. Sechster Jahrgang. fluer Tageblatt und Anzeiger Mr das Erzgebirge mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Auer Sonntagsblatt. für die Inserate verantwortlich: — - > , OE* ai.ttir klr»v». Sprechstunde der Redaktion mit Aornahm« der Sonntag« nachmittag» von e—s Uhr. — Telegramm'Ndreff«! Tageblatt Nuerrzgeo.kge Fernst! rech er »s. in Aue t. Lrzgeb. Beide in Rue i. Lrzgeb. Für unverlangt eingesandt« Manuskript« kann Gewähr nicht geleistet werden. Bezugspreis: Durch unsere Boten frei ins Haus monatlich 50 Pfg. Bei der Geschäftsstelle abgeboltmonatlich 40pfg. und wöchentlich I0j)fg.— Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich i.so Mk., monatlich so psg.— Durch den Briefträger frei ins Haus vierteljährlich ,.gr INk., monatlich «4 psg- — Einzelne Nummer t» psg. — Deutscher Postzeitungskatalog. — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn» und Feiertagen. Insertionspreis: Die siebengesvaltene Korpuszeile oder deren Raum für Inserate au» Aue und den Ortschaften der Amtshauxtmannschast Schwarzenberg zo Psg., sonst >s psg. Reklamepetitzeile 2» psg. Bei größeren Abschlüssen ent» sprechender Rabatt. Annahme von Anzeigen bis spätesten, -V» Uhr vormittag». Für Ausnahme von größeren Anzeigen an bestimmten Stellen kann nur dann gebürgt werden, wenn sie am Lage vorher vei uns eingehen. Vies» Nnmer imkiP t Stil«, Da- Wichtigste vom Lage. Der SächsischeLehrerverein macht bemerkenswerte Vor schläge zu einem Normallehrplan der Bolke- schulen. » Der französische Marinemintster DrleassS ist bedenklich in Aix erkrankt. Der Kongreß in Haiti hat General Lec 0 nte einstimmig zum Präsidenten gewählt. Die Wahl des Präsidenten der portugiesischen Republik ist auf kommenden Sonnabend fest gesetzt worden. * Gestern früh erfolgte rin Ausbruch de« japanischen Vulkans Asama. Man befürchtet, daß dreißig Touristen umgekommen sind. » Präsident Taft hat sich e n t s ch l 0 s s en, die Ratifikation der Schiedsgerichtsverträge gegenwärtig nicht in einer außerordentlichen Tagun g de» Kon gresses zu betreiben. IE- Mutmaßliche Witterung am Domttretagr Rordwrst- wtnd, molkig, kühl, zeitweise -legen. -ML Die Marottofrage. Botschafter Tamb 0 n und Staatssekretär v. Kiderlen- Wächter hatten am Sonnabend eine kurze Unterredung. Vor aussichtlich wird eine neue Besprechung im Laufe der Woche statt« finden. Der Austausch der Ansichten vollzieht sich inn 0 rmaler Weise. So meldet die Agence Haoas aus Berlin. Di« Mel dung sieht wie ein Dementi einer Nachricht des Tempo aus, der am Sonnabend an erster Stell« und durch besonderen Druck bervorgehoben, gemeldet hatte: Die deutsch-französischen Unterhandlungen kommen nichtv 0 m Flecke. Die nächste Zusammenkunft zwischen den Herren v. Ktderlen-Wächter und Tambon ist nicht be stimmt. Es liegt kein Grund vor, anzunehmen, daß diese Unterredung zu einer Verständigung führen wird. Es ist schwer, zu glauben, daß hier nicht «in« absichtliche Flau- macherei vorliegit. Die Pflaume am roten Vaud. Eine Schnurre von Max und Alex Fischer!. <N»<hdru<k verioi«».! „Guten Morgen, Herr Leher." „Guten Morgen, Hochwllr- den " „Hören Sie mal, Herr Lehrer, bemerkte der greise Pfar rer mit Würde, tagaus tagein werde ich bestohlen, und Mar, wie ich überzeugt bin, von einem Ihrer Schüler. Im vergange nen Monat bog sich mein prächtiger Pflaumenbaum noch unter der köstlichen Last seiner reisenden Früchte. Nun, da sie völlig reif sind, verschwindet jeden Tag «ine erklecklich« Anzahl. Mein« alte, treue Wirtschafterin ist über jeden Verdacht erhaben. Bis her vermochte ich d«n Dieb nicht zu entdecken. Da verbarg ich mich gestern abend hinter den Jalousien meiner Schlafzimmers«»- stcr und bemerkte von meinem Versteck au» den Schatten eine» Knaben, der um d«n Pflaum«nbaum hcrumstrich" „Und wem glich dieser Schatten, Hochwürden?" „Ja, mein Lieber, «da» konnte ich in der Dunkelheit nicht unterscheiden, und an eine Verfolgung war nicht zu denken. Der vengel schlüpft« wi« «in Wiesel durch die dicht« Heck« .. . Der greise Pfarrer fordert« wentger «in« eremplartfche Strafe de» Attentäter», al« «in« peinlich« Untersuchung -um Zweck der vb'chreckung, und «» war fast rührend, wie «r -um Schluß erklärte: Bedenken Sie doch, Herr Lehrer, «» handelt sich um den Diebstahl meiner köstlichen Pflaumen, die ich so sehr schätze I Ich habe st« mit Behagen hrranretfen sehen. An di« fünfhundert -ählt« ich auf dem Baum. Heute find — genau I — noch fünfundfünf,ig Stück übrig I " » " während der ganzen Dauer de» Vormittagsunterrichte» dacht, der Lehrer darüber nach, wie «r den Schuldtaen feststen«» könne. Gr winkt« «inen »ach dem andern an fein Katheder -um Etn-elvortrag der Lafontatneschen Fabeln. Ab«, vergebens be müht« fich dm Schulgswaltig«, in dm, Augen seiner Zöglinge den SeelenGteael u^ da- Schrilstsiewichisestr au «Adscks». — Ein« neue Herausforderung der Franc« miltttatre. Die Franc« militaire, da» Blatt de» französischen Kriege minister» und der französischen Armee, höhnt in «tnem Leitartikel unter dem Titel b'urvt teutvulvu»: In der Tat, der Fall ist nicht ruhmreich, wenn man an deren Leuten mit einer Kriegsfanfar« den Eisen handschuh in» Gesicht geworfen hat, um dann Friedenshymnen zu blöken. Sobald man ernstlich bedroht wird, sich schlagen zu müssen, so ist da» ein« mißlich« Lage, und das ist die Lage Deutschland». — Dennoch haben die Deutschen keinen Grund zur Klage; denn anscheinend sollen sie für ihr« freche Herausforderung Lillig genug bezahlen. Frankreich hat die Schwä ch« gehabt, sich auf Unter handlungen einzulassen, und den Deutschen damit Gelegenheit gegeben, sich vor den unvermeidlichen Folgen des Ueberfalle» noch einmal zu retten. Frivoler als dies«» amtliche Organ hat noch kein französische» Blatt zum Kriege gehetzt. Man denke fich, daß etwa unser Mili- tärwochenblatt eine ähnliche Sprache gegen Frankreich führen sollte! Daß die französische Regierung nicht in der Lage oder nicht Willens ist, solchen unverschämten Brandstiftern das Hand werk zu legen, ist sehr bezeichnend. Wir sehen aber darin keinen Grund, daß unsere Regierung derartige Herausforderungen ruhig hinnimmt, und hoffen, daß fle zunächst auf diplomatischem Wege dagegen einschreiten wird. Eine dauernde Verständigung. In einem langen Artikel in der Revue HebdomÄmire hat Delcassös Vorgänger am Quai d' Orsay, dafür plädiert, Frank- reich solle di« Gelegenheit benützen, um auf der Grundlage «ine» billigen afrikanischen Ausgleiche» zu einer dau- ernden, ehrlichen und allgemein«» Derstän. digung mit Deutschland zu gelangen. Ein angesehenes englisches Provinzblatt, der Manchester Guardian, macht zu dieser Anregung des französischen Staatsmannes und Historikers fol gende interessanten Bemerkungen: M. Honotaux sagt im Verlauf seine» Artikels recht harte Worte über den britischen Standpunkt bezüglich Marokkos; das hat aber wenig Bedeutung. Wirklich wichtig ist, daß es inmit ten des ohrenbetäubenden Lärmes, den die Pariser Finanz- presse schlägt, in Frankreich noch Staatsmänner vom Typus eines Hanotaux und Lancessan gibt, die, ohne im geringsten gegen koloniale Expansion zu sein, und ohne die Wunden zu vergeßen, die Frankreich vor äv Jahren geschlagen wurden, di« Abenteuer doch herzlich satt haben, in die die Republik durch die finanziellen Cliquen beständig verwickelt wird und die «inen dauernden und sicheren Frieden mit Deutschland, wi« mit allen anderen europäischen Mächten hergestellt sehen möch- ten. Leider sind solche vernünftigen Stimmen hüben und drüben zu selten, um praktisch auf die Politik der Entente einwsirken zu können. Die Auffassung de« Gegenseite. Bon einem Tasablancadeutschen wird der Kone- spondenz Uebersee geschrieben: Am Abend des Tage«, an dem das Erscheinen de» Panther vor Agadir telegraphisch gemeldet war, besuchte ich mit meiner Frau eine Gesellschaft. E» waren auch di« Spi tzen drr französischen Beamtenschaft geladen. Die beiden höch sten Vertreter Frankreichs am Platze ließen auf sich warten. Schließlich kamen ihre Damen. Sie entschuldigten ihre Män ner, die noch dienstlich zurückgehalten wären und dann spru- del'e die frisch von ihren Männern bezogene Weisheit au» ihnen heraus: Wir befürchteten, daß ihr Deutschen nach Ra tz a t gehen würdet. Wir fürchteten, daß wir gezwungen wür- den, die Schauja wieder zu räumen. Wir nahmen an, daß ihr die Wssthälst« Mar 0 k 0 » für euch beanspruchen würdet. Und wir find angenehm überrascht: ihr geht nach Aga dir, begnügt euch mit dem bißchen Sus. Den gönnen wir euch gern. In Pari» wird man ein wenig spiegelfechten; und nachdem man so dem voraussichtlichen Geschrei der Preße Rück sicht ««tragen hat, wird man euch Agadir und den Eu» schmunzelnd bewilligen, heilfroh, so billigen Kaufe» davon gekommen zu sein. Angesicht» der mit immer größerer Bestimmtheit austreten den Behauptung, das Deutsche Reich wolle fich au» ganz Marokko zurückziehen, hat diese Mitteilung, die genau die Stimmung der französischen Regierungskreise nach Eintritt der AgadirübeGasch- ung wiedergibt, wohl auck für «in weiteres Publikum Interesse. De, Kaiser und die Marottofrage. Di« Norddeutsch« Allgemeine Zeitung kommt noch einmal auf den Hetzartikel der Berliner Post zurück. Ihre Ausführun gen darüber, di« auch vom Wölfischen Telegraphenbureau ver breitet werden, lauten: Es war ein Rückfall in eine für über wunden gehalten« üble Gewohnheit, daß in demjenigen Teil der deutschen Preße, der fich für besonder» patriotisch hält, ohne je den Grund die Person de» Kaisers in den politischen Tages streit gezerrt worden ist. Der Appell von der deutschen Regie rungspolitik des Monarchen wurde zuerst in der ausländischen Preße laut. Unsere nationalen Blätter konnten diesen kläglichen Versuch, den Kaiser gegen sein« Berater auszuspielen, mit Ver achtung strafen oder ihn ernst zurückweisen. Unerhört aber war es, daß eine unter der Flagg« einer monarchischen Partei segelnde Zeitung, gestützt auf ausländische Tendenzmärchen, das Signal zu einer neuen Kaiserhetze gab. Die deutsche Preße hat es, auch in Blättern alldeutscher Richtung, abgelehnt, in diese verleum derische Tonart gegen das Oberhaupt des Reiches einzustimmen. Der antimonarchische Hetzartikel versündigte sich Endlich blitzt« «in rettender Gedanke in seinem wütigen Haupte auf: Ein symbolische» Diktat sollte den Attentäter zu reuigem Geständnis führen. ,Zn einem freundlichen kleinen Dorf (Kom ma), da» uns wohlbekannt ist (Komma), lebt «in ungeratener Knabe (Punkt). Er ward zum Dieb (Ausrufungszeichen)! Er dringt in den Garten des Pfarrers ein (Punkt). Er nähert sich einen« prächtigen Pflaumentzaum (Punkt). Er ergreift einen herabhängenden Zweig und pflückt ein (Komma), Met (Kom ma), drei (Komma), zehn Pflaumen (Punkt). Die Pflaumen munden dem Dieb köstlich (Semikolon); aber am andern Mor gen erwachte er mit gräßlichen Lethschmerzen . . ." Nach die sem scharfsinnig«» Schluß machte der Lehrer eine lange Pause und erwartete «in umfaßende» Geständnis de» Sünder». — Um sonst! Kein einziger seiner achtundfünfzig Schüler zeigte da»' geringste Verständnis für da, Gleichni». Di« einen benutzten die Kunstpause, um Männchen auf den Rand ihrer Hefte zu malen; die anderen fingen Fliegen, die sie in mitgebrachte leere Streichholzschachteln sperrten. Al» der Vormittagsunterricht beendet war, griff der «ver zweifelte Lehrer zu einem Radikalmittel. Er setzte sein« str«ng« Amtsmiene auf und erklärt« feierlich: ./Einer unter euch dessen Namen ich vorläufig nicht nenn«» will — Hat den großen Pflaumenbaum im Pfarrgarten geplündert, wenn der Schul, dige einer harten Strafe entgehen will, so muß «r sich noch heut« vor seinen Kameraden zu der Tat bekennen. Ich rate ihm daher, di« leicht« Straf« freiwillig aus fich -u nehmen, vor Beginn de» Nachmittagsunterricht» geh« der Dieb in des Pfarrer» Garten, nehm« von dem geplünderten Baum« «in« Pflaum», di« er al» Zeichen sein«, Schuld, an einer roten Schnur um den Hals ge hängt, Li» -um Abend tragen mußl" * . ' Die Mlttagmnrus« benutztest»» Lehr« -u der angenehmen EWankenarbeit. sich den Dank de» Pfarre« für dt« Entdeckung de» Pflaumendtete» auszumalen. Der Unterricht hatte um Mn Uhr «teste« «u beginnen, von setaenr Katheder au» sMt» der Herr Magister ungeduldig nach seinen Schülern au». Fünf Mi nuten vor zwei öffnet fich zögernd die Klaßentür und der Nein« Peter schiebr fich Herein. Auf den ersten Blick entdeckt der Lehrer am roten Bändchen die Strafpflaume auf dem Brustlatz seines Schülers baumeln. „Also der Peter ist's gewesen!" denkt der Herr Lehrer lächelnd und beugt sich über seine Korrektur der KlaßenaufsStze . . . Ein zweiter Schüler poltert in» Klaflenztmmer. Der Lehrer blinzelt ihn unter halb gesenkten Lidern an. — Nanu! Auch der trägt den Pflaumenorden?! Doch nein, seine Kurzsichtigkeit täuschte ihn wohl. Peter hat ja da» Zeichen der Schuld! Nun kommt in Gruppen dt« gesamte Schülerschar. Der Lehrer sieht nicht «etter nach, sondern beendet seine Korrekturen. Aber gerade, al» er das letzte Heft -«klappt, erscheint der greise Pfar- rer mit -orngeröteter Stirn in der Kraße. „Da, geht denn doch über den Spaß, Herr Lehrer! Sie wißen, daß ich heute früh noch fünfundsttnfzig Pflaumen an meinem Baum zählte. Al» ich vorhin von einem Gang in» Nachbardorf hetmkehrt«, fand ich nicht «in, einzig« Frucht mehr an den Zweigen!" Nicht ohne ein gemißt» Gefühl der Genugtuung, den Schul- dtgen entdeckt zu haben, blickt» der Lehrer fich suchend nach dem kleinen Peter um. De» Lehrer» Blicke schweiften über dt« amphttheatralisch aufiteigenden «attkrethen hin. Ab« wa» b«. deutet« da»? Unruhig wechselt« er feinen Kneifer gegen «in schärfere» Resewegla» au». Nun war kein Irrtum mehr mög lich. Jeder seiner Schüler trug «in-rote» Band, daran ein« dun kelblaue Pflaume hing. Nur dreien der kleinen Männer fehlt« da» Dt«L»»symbol. Und der Leh,,» rief di» drei auf, um fi, zu laben. Da aber brachen all« drei gleichzeitig in heftige» Schluch. -en au«: „Ach, Herr Lehrer, Herr Lehrer, halten St« un» nicht ür feige, wi, konnten nu, nicht so schnell wie die aderen kau- «n. wir find doch achtundfSnf-i- in der Klaß« Und fückfunst- ünstig Pflaunmn waren nur noch auf dem Bau«» Und «1, Pechvögel kamen al» die letzten an." (AuiimWett, Uebirfchmeg «an A. voaetn»)