Volltext Seite (XML)
Zweites Blatt ThiilM Nossen, Menlthn und dir UllMgendkN. Imtsölall für die Agl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Agl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Rgl. Forstrentamt zu Tharandt. Erscheint wöchentlich dreimal und zwar Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. — Bezugspreis vierteljährlich 1 Mk. 30 Ps., durch die Post bezogen 1 Mk. 55 Pf. Inserate werden Montags, Mittwochs und Freitags bis spätestens Mittags 12 Uhr angenommen. — Jnsertionspreis 10 Pfg. pro dreigespaltene Corpuszeile. Druck und Verlag von Martin Berger in Wilsdruff. — Verantwortlich für die-Redaktion Martin Berger daselbst. No. 137. Sonnabend, den 20. November 18S7. Totenfest. Den Gedenktag der Verstorbenen feiert am heutigen Tage die evangelische Kirche. Das Kirchenjahr neigt sich seinem Ende zu; die Evangelien der letzten Sonntage handeln von den letzten Dingen, von Tod und Gericht; die Statur in ihrem Welken und Vergehen mahnt uns an unser eigenes Ende. Da ist es denn wohl zu verstehen, daß die Kirche, der nichts wahrhaft Menschliches fremd ist, einen Sonntag eingesetzt hat — nicht als Allerseelen tag — sondern als einen Tag, an dem wir in Andacht nnd Gebet das Gedächtniß unserer dahingegangenen Lieben feiern sollen. Es ist ein schmerzlich wehmüthiger Tag und viel tiefes, tiefes Weh und manch alter und neuer Schmerz wird hinausgetrageu auf die Friedhöfe, au die Stätte, da sie die irdische Hülle unserer lieben Entschlafe nen zur Verwesung hingelcgt haben. Und das soll auch so sein. Die Wunden, die Gottes Hand uns durch den Tod hat schlagen lassen, sollen lange, lange nachblnten. Der Tod ist ein gar ernstes schreckliches Ding; denn er ist der Sünde elender Sold; darum soll niemand leichtsinnig an ihm vorübergehen, darum soll jeder sein Haupt diesem furchtbaren Bußprediger beugen, und hören, was er uns zu sagen hat. Heut am Totenfest soll es einem jeden Christen klar werden, daß so schmerzlich die Trennung von unseren Lieben durch den Tod auch an und für fick ist, das bitterste herbste Weh doch darin liegt, daß wir Menschen dieses tiefe Leid selbst verschuldet haben und es hätten vermeiden können, wenn wir uns von Sünden freigehalten hätten. Aber das ist doch nicht das einzige, was dieser Tag uns zu sagen hat; wäre es so, dann würden wir ihn schwerlich als einen besonders festlichen Tag begehen. Der Tod hat eben, Gott sei Dank, noch eine andere Seite. Schließt er gleich hier die Thür des irdischen Lebens zu, so öffnet er doch zu gleicher Zeit den gläubigen Christen den Zugang zu der seligen Ewigkeit. Darum wenn wir heute auf die Friedhöfe gehen und uns umsehen unter den Inschriften, welche die Grabdenkmäler tragen, so werden wir finden, daß diese Stätte des Todes gar laut und deutlich vom Leben redet. „Ich bin die Auferstehung und das Leben, wer an mich glaubet, der wird leben, ob er gleich stürbe, und wer da lebet und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben." „Der Tod ist verschlungen in den Sieg, Tod, wo ist nun dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg? „Christus der ist mein Leben, Sterben ist mein Gewinn". „Das Loos ist mir gefallen auf's liebliche, mir ist ein schön Erbtheil worden." So leuchtet es uns entgegen von den Kreuzen der Gräbern; denn Kreuze setzen wir auf die Gräber der Unseren zuin Andenken an das Kreuz des Herrn, der am Kreuz unsern Tod getötet hat, der, indem er unsere Sünde trug, ihm den bittersten Stachel nahm, so daß wir nun, wenn einst unser letztes Stündlein kommt, getrost unseren Geist in unseres Vaters Hände befehlen und sprechen können: Christus der ist mein Leben, Sterben ist mein Gewinn, Ihm thu' ich mich ergeben, Mtt Freud fahr ich dahin. Schatten der Vergangenheit. Roman von E. Heinrich«. (Nachdruck verboten.) . (Uebersetzungsrecht Vorbehalten.) (Fortsetzung.) Ihre südliche Leidenschaftlichkeit und blendend- Schönheit batten seine Sinne verwirrt, und seine Sinne gefangen ge nommen. Ihre herrschsüchtige Natur konnte aber nur über Sklaven gebieten, keinem Manne sich liebend unterocdnen, mochte er sic an Geist und Adel der Gesinnung auch weit überragen. „Dem Himmel sei Dank, daß ich diesem höllischen Zauber nicht erlag, murmelte er aufathmend, „daß ich al« freier Mann, durch kein Wort gefesselt, von jener Stätte scheiden konnte." Ein träumerisches Lächeln legte sich jetzt wie Sonnen glanz auf seine schönen Züge. „Magda!" flüsterte er, „in diesem Namen birgt sich eine ganze Welt von L'kbc, — von Glück für mich. O, daß ich die Grafenkrone auf dieses schöne unschuldsvolle Haupt setzen könnte. Und weshalb denn nicht!" fuhr er trotzig fort. „Wer kann oder will mich daran hindern? — Soll ich alles was das Leben verschönt und beglückt, dahinwerfen weil die eigene Mutter mich verleugnet um eines Fremden willen? — O, mein geliebter Vater, der Sohn Demes Mörders soll Deinen edlen, unbefleckten Namen niemals schänden, und Deinen Sohn nicht zum zweiten Mal hinauSstoßen. Vergieb, daß ich ver zweifelte, daß ich kleinmüthig das Feld räumen und meine heiligsten Pflichten verletzen konnte." Er wanderte jetzt unruhig im Zimmer umher und gedachte des Mannes, den er heute zum ersten Male gesehen hatte, jenes Mannes, den der sterbende Räuber seines Erbes ihm orüben unter dem Namen „Wolf" als den Mörder seines Vaters bezeichnet hatte, den Bruder seiner Mutter, der sich hier „von Wolfseck" nannte. Er hatte sich offen als seinen Oheim be kannt und ihm die Geschichte jenes furchtbaren Tages erzählt, an welchem er, von der reichgewordenen Schwester abgewiesen, Zeuge jenes Absturzes gewesen war, der Egbert mit dem Vater auch zugleich Heimath und Zukunft geraubt hatte. Und dieser Mensch sprach die Wahrheit, daß wußte er genau, indem der Elende sich selber die allerverächtlichsten Rollen zieh. — Als ser Grafensohn, für den jener trotz seiner Verkommenheit eine seltsame Zuneigung gefaßt, ihm von Entsetzen und Ekel erfüllt, oen Rücken wandte und wie ein verwundetes Edelwild auf- stöhnend das Zimmer verließ, da stand der sonst so brutale Wolfseck wie ein Gerichteter vor dem alten Erlinghausen und wagte nicht das Auge zu ihm zu erheben, bis sich plötzlich eine Tbräne aus seiner Wimper löste und die verwitterte Wange herabrollte. „Zum Henker mit der Sentimentalität!" sprach er, heftig aas verrätherische Zeichen einer inneren Weichheit fortschleudernd. .Ich sehe, daß der junge Herr und auch Sie, natürlich Sie vor allem, Baron Erlinghausen, mich gründlich verachten und das mit Recht. Ja, von Ihnen kanns mich nicht wundern, aber von meinem Neffen, der doch das Leben drüben kennen gelernt hat und auch nicht auf Rosen gebettet gewesen ist, hält' ichs nicht erwartet. Ein Mensch, der nirgend ein Heim mehr hat und der deswegen den Werth des Geldes doppelt schätzen muß, kann doch nicht verhungern. Wenn meine reiche Schwester mir auf meine Bitte Geld gegeben hätte, dann wäre der Mörder, den ich unbarmherzig gepackt hätte, aufs Schaffst, oder mindestens doch ins Zuchthaus gewandert." „Um's Geld, — nur um's Geld!" seufzte der alte Baron. „Ihre Schuld ist aber deshalb nicht geringer. Vielleicht hätten Sie den Grasen gar retten können." „Nein, das war leider unmöglich, sonst hätte ich« sicher gethan. — Reden wir nicht mehr davon, Herr Baron! — Diesmal mußte meine Schwester mich aufnehmen, das Schick sal mit dem zweiten Gemahl hatte sie schon etwas mürber ge macht. Bei dieser Gelegenheit erlangte ich Kenntniß von Dingen, die mich empörten. Sie mögens mir glauben oder nicht, aber ich hatte, als ich drüben durch den Udo Hallenberg, den das Schicksal mir richtig wieder in den Weg führte, das Schickse^ meines Neff-n erfuhr, die Empfindung, als ob ich die Mit schuld daran trüge —" „Was Sie auL selbstverständlich thun," fiel Erlinghausen ein, „hätten Sie den Verbrecher dem Gerichte übergeben, wie es Ihre Pflicht gewesen, dann konnte er die Wittwe seines Opfers nicht heirathen und Egbert brauchte nicht zu flüchten. Daran tragen Sie die Hauptschuld, die durch nichts in der Welt zu sühnen ist." „Ich habe das seitdem sehr häufig gefühlt und beklagt," erwiderte Wolfseck niedergeschlagen. „Vielleicht kann ich doch eine Kleinigkeit davon sühnen, Herr Baron! Auf einem, wie ich zugebe, etwas ungewöhnlichen Wege gelangte ich heute in den Besitz dieses Schreibens. Wollen Sie es mal ansehen?" Er reichte dem alten Herrn die landesherrliche Bestätigung der Adoptionsfrage. Erlinghausen besah kopfschüttelnd das Siegel und nahm, da es geöffnet war, das Schreiben aus dem Umschlag. „Ach, so ist es also doch wahr," sagte er, als er es durch gelesen hatte, „die Gräfin hat diese ungeheuerliche Adoption be antragt und auch richtig durchgesetzt. Graf Egbert hatte be reits davon erfahren, doch konnten wirs beide nicht glauben. Mit diesem Dokumente, das nur noch einiger Ausführungs- Formalitäten bedarf, hat jener Hallenberg von heute an das Recht erhalten, sich Graf y. Rotenheim zu nennen und das noch vorhandene Erbe in Anspruch zu nehmen. Ich danke Ihnen für diese wichtige Mttheilung. Wir haben nun in der That keine Zeit mehr und müssen schleunigst das Recht des Heimgekehrten beanspruchen." Er steckte das Schreiben in den Umschlag und wollte es Wolfseck zurückgeben. „Es ist an die Gräfin Rotenheim gerichtet," setzte er zögernd hinzu. „Sie wird es Ihnen doch nicht zu diesem Zwecke eingehändigt haben?" „Gewiß nicht," rief WolfSeck lautlachend. „Ich sagte mir aber, als ich den Braten gerochen, daß ich einen solchen räuber ischen Schurkenstreich, dessen Gelingen meine ganz vortreffliche Schwester sicherlich ihrem Geldsack und damit verbundenen krummen Schleichwegen verdanke, uw keinen Preis dulden und zur Ausführung gelangen lasten dürfe. Ergo, verschaffte ich mir auf ähnlichem ungewöhnlichem Wege dieses Schreiben, be vor es in ihre Hände gelangte." „Sie haben es also widerrechtlich an sich genommen?" fragte der alte Edelmann, entsetzt zurückweichend. „Ja, das ist in Ihren Augen natürlich ein entehrendes Verbrechen," erwiderte Wolfseck sarkastisch, „ich war dem Handel, wie ich vorhin bemerkte, auf die Spur gekommen, und entschlossen, das Recht des legitimen Erben, dessen Tod, wie ich wußte, weder bestätigt, noch gesetzlich erklärt werden konnte, nach Kräften zu wahren. Das vermochte ich aber nur durch die Entdeckung amtlicher Schriftstücke. Ich finde von meinem Standpunkte aus kein Verbrechen in dieser Handlung." „Weil Ihr Standpunkt keinen moralischen Halt mehr be sitzt, mein Herr!" rief Erlinghausen voll Unruhe und Trauer, „o. wie trostlos ist mir der Gedanke, daß ein Edelmann, der Sie doch von Haus aus auch wirklich sind, so tief hat sinken können, zumal trotz alledem ein guter Kern in Ihnen steckt. Sie wollten durch eine niedrige Handlung ein schweres Unrecht sühnen, — das darf aber nicht fein, Graf Egberts gutes Recht nicht dadurch befleckt werden. Geben Sie mir das Versprechen, dieses Schriftstück an seine Adresse zurückzusenden." „Das verspreche ich gern, da es seinen Zweck jetzt erfüllt hat," versetzte Wolfseck mit ungewöhnlichem Ernste. „Doch wird es in diesem Falle bester für mich sein, auf einige Tage von hier zu verschwinden, und das Schreiben später zum Exempel von M. aus auf die Post zu geben. Uebrigens scheint der Himmel mit mir im Bunde zu sein, Herr Baron, da er den verschollenen Erben zur rechten Stunde heimgeführt hat. Wäre das aber auch nicht geschehen, so dürfen Sie versichert sein, daß ich feierlichen Protest gegen diese Adoption eingelegt hätte, wenn ich auch selber dafür hätte büßen müssen." „Dieses Wort macht Ihnen Ehre," sprach Erlinghausen, ihm die Hand reichend, „wenn ich Ihre That auch verabscheue. Seien Sie versichert, daß ich für Graf Egbert in die Schranken treten und die Zeit benutzen werde." So waren die beiden Männer von einander geschieden. Der alte Edelmann war in der nächsten Stunde nach der Re sidenz gefahrenem Graf Egberts Recht zu vertreten, während der einstige Freiherr v. Reinfeld, der sich in Amerika „Wolf" und hier v. Wolfseck genannt, am nächsten Frühmorgen ein so jammervolles Ende finden sollte. Im Gartenzimmer des de Bocr'schen Hauses saß Frau Helene vor dem Flügel, leise, mit kunstgeübten Fingern ein Lied präludirend, während Magda ihr zur Seite stand. Der Berg direktor, wie er überall noch genannt wurde, saß nachdenklich in seinem großen Armsessel zurückgelehnt, sein Blick ruhte mit sorgenvollem Ausdruck auf Graf Egbert, der seinen Stuhl in einem Winkel geschoben hatte, um ungestört Magda anschauen zu können. Jetzt begann das junge Mädchen „Frühlingsnacht' von Schumann und ihre Stimme, von der Erzieherin geschult, klang so seelenvoll und bestrickend durch den stillen Raum, daß Eg berts Herz erschauerte und seine Seele sich wie erlist mit empor schwang in dem Jubelruf: „Sie ist Dein, sie ist Dein!" Als sie das kurze Lied noch einmal wiederholte, wurde der Bcrgdirektor hinausgerufen. Egbert erhob sich nach dem Schluß und schritt auf Magda zu, um ihr mit stummen Dank die Hand zu küssen. „Gnädige Frau!" wandte er sich bittend an die Schwägerin, „es ist hier so schwül und — ich möchte nach diesem Liede, das mir im Herzen nachklingt, kein anderes mehr hören. — Darf ich Sie und Fräulein Magda um einen Gang Wt mir