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Nr. 149 — 91. Jahrgang Wilsdrufs-DreSden Dienstag, den 28. Juni 1932. Postscheck: Dresden 2640 Telegr.-Adr.: „Amtsblatt" Zar MW Ick" ist LWm europäischen Räum in den großen wirtschaftlichen Wiederaufbauplan einzubeziehen. Die Franzosen glauben, daß, wenn den in Frage kommenden Staaten Südost europas der A bsatz für Getreide und andere landwirtschaftlicheErzeugnissebiszu einem gewissen Grade gewährleistet wird, ein großer Teil der von ihnen dort angelegten Gelder wieder flüssig werden kann. Es ist möglich, daß der Rerchskanzlcr den Franzosen in dieser Frage bestimmte Angebote machen wird. Sollte es nicht möglich sein, ein Abkommen über die wirt schaftliche Gemeinschaftsarbeit zu erzielen, das selbstverständlich den ausdrücklichen französischen Verzicht aus jede weitere Tributzahlung zur Voraussetzung haben müßte, so ist, darüber darf man sich keinem Zweifel hingeben, noch in dieser Woche mit dem Zusammenbruch der Lausanner Verhandlungen zu rechnen. Nein äußerlich dürfte diese Tatsache durch einen Vertagungsbeschluß verschleiert werden. Voraus sichtlich wird man sich dann einigen, nach einer bestimmten Zeit, jedenfalls vor dem 15. Dezember, nämlich dem Tage, an dem die französischen Zahlungen an Amerika fällig werden, wieder zusammenzutreten. Verschleierier Zusammenbruch? Festgefahrene Verhandlungen und eingefrorene Kredite. In Berliner politischen Kreisen ist man hinsichtlich des weiteren Verlaufs der Lausanner Vorhand- lungen nicht übermäßig optimistisch. Der Reichskanzler wird den Franzosen die wirtschaftliche Ge meinschaftsarbeit, so wie sie in den Besprechungen der ver gangenen Woche deutscherseits bereits angedeutet worden ist, näher präzisieren. Dabei dürfte auch die Lage im südo st europäischen Raum eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Es ist bekannt, daß die Franzosen in mehreren Staaten Südosteuropas große Kapitalien ange legt haben, die angesichts der schlechten Wirtschaftslage in diesen Ländern völlig sestgesroren sind. Diese Länder sind heute weder zahlungssähig, noch in der Lage, Waren in größerem Ausmaß einguführen. Aus diesem Grund streben sowohl die Franzosen als auch die Engländer danach, insbesondere auch den sü dost- geschlossener fester Wille den neuen Zielenzuwenden, und mit der Kraft eines geeinten Volkes müssen wir für die Beseitigung der Kriegsschuld lüge, für unsere Gleichberechtigung in der Ausgestaltung der Wehrmacht und schließlich für die Beseitigung des Un rechts in der Grenzziehung kämpfen. Jie delltsch-sMzöfischen VesprechuWn Die amtliche Mitteilung über die Verhandlungen in Lausanne. Die dritte deutsch-französische Sitzung, die am Mon tag in Lausanne hinter strengverschlossenen Türen begann, wurde kurz vor 20 Uhr abgeschlossen. Über den Verlauf der Sitzung wurde folgende amtliche Mitteilung veröffent licht und von dem französischen Staatssekretär Paganon der Presse verlesen: „Die deutschen und französischen Delegierten sind von neuem zusammengetreten. Der deutsche Reichsfinanz minister habe die Gründe auseinandergefetzt, die nach seiner Ansicht für die Annullierung der Repara tionen sprechen, sowie die ersten Maßnahmen dargclcgt, die er zum Wiederaufbau Europas vorschlägt. Der deutsche Reichskanzler hat diese Erklärung des Reichs» finanzministcrs vom allgemeinen Standpunkt aus er weitert und vervollständigt. Der französische Ministerprä sident Herriot hat im Namen Frankreichs die Vorbehalte angemeldet, die er für notwendig erachtet. Die Verhandlungen werden Mittwoch fortgesetzt werden." Aus dieser amtlichen Mitteilung ist zu schließen, dast die französische Regierung zu der Erklärung des deutschen Finanzministers und Reichskanzlers über die Unmöglichkeit weiterer deutscher Tributzahlungen noch keine end- gültigeStellungnahmeeingenommenhat. Nach französischen Mitteilungen haben der Reichskanzler und der Reichsfinanzministcr übereinstim mend erklärt, daß weitere deutsche Tributleistungen unmög lich seien. Herriot hat daraufhin zum Ausdruck gebracht, daß die französische Regierung die Erklärung nicht anz, nehmen könne. Sie MsjWWU von Wen; Lausanne, 27. Juni, lieber den Verlauf der deutsch französischen Besprechung am Montag wird bekannt, daß der Reichskanzler v. Papen nach den Ausführungen 'des deutschen Finanzministers erklärte, diese Konferenz habe die außerordent- liche Möglichkeit, die Irrtümer der Nachkriegszeit zu beseiti gen und die Welt wieder gesünderen Verhältnissen zuzuführen. Das System der Tribute müße unter allen Umständen fallen. Jede Fortsetzung dieses Systems bedeute 'den völligen Ruin der gesamten Weltwirtschaft und des Vertrauens, das die Grundlage eines allgemeinen Wiederaufstiegs sei. Die deuhchs Regierung würde keine Unterschrift leisten, von der sie schon heute überzeugt sei. daß sie nicht gehalten werden könne, weil sie eine völlige Unmöglichkeit sei. Die deutsche Negierung sei durchaus bereit, an einem konstruktiven Aufbauprogramm für Europa mitzuarbeiten. In den ' Ausführungen des Reichs» finanzministers seien dahingehende konkrete Vorschläge vor handen. Das deutsch-französische Problem werde in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen. In der außerordentlich ernsten Stunde, in der wir uns befänden, müsse die Wiederherstellung des Vertrauens in der Welt gefordert werden. Diese histori sche Aufgabe falle den Siegermächten, nicht aber Deutschland zu. — Die französischen Minister erklärten nach den Darle gungen des Neichsfinanzministers, daß sie auf die eingehenden Ausführungen der Vertreter Deutschlands gleichfalls ausführ lich antworten wollten. Die Fortsetzung der Verhandlungen sek aus diesem Grunde auf Mittwoch verschoben worden. Herriot hat dann nach deutschen Mitteilungen zum Schluß lediglich erklärt, daß er Vorbehalte zu dem deutschen Standpunkt mache- In der Mittwoch-Sitzung werden somit wichtige Ausführungen durch die Franzosen gemacht werden. Die Brücke. Die Lausanner Konferenz tritt jetzt in das Stadium endgültiger Entscheidungen ein. Der Reichs- kanzler ebenso wie der französische Ministerpräsident haben über Sonntag bei ihren Kabinetten und Präsi denten die letzten Informationen auf Grund ihrer Vor- träge über den bisherigen Verlauf der Verhandlungen cingeholt und jetzt muß es sich zeigen, ob nach Gegen überstellung der deutschen und französischen Vorschläge eine Brücke herüber und hinüber ge- schlagen werden kann. Die Reichsregierung hat zum hundertsten Male erklärt, daß weitere Tributzahlungen vollständig unmöglich sind, zum soundsovielsten Male die Gründe dafür auseinandergesetzt unch darauf hingewiescn, daß in der Weltwirtschaftskrise und europäischen Notlage weitere Tributzahlungen Deutschlands verhängnisvoll wären. Es ist Frankreich bekannt, daß Deutschland grundsätzlich bereit ist, mit allen -Kräften gemein sam mit den übrigen Mächten unverzüglich das Werk des europäischen Aufbaues in Angriff zu nehmen, und daß die deutsche Regierung über die Mitarbeit an dem gesamteuropäischen Wiederaufbau hinaus bereit ist, mit der französischen Negierung über eine wirtschaft liche Verständigung, besonders auf dem Gebiet der zoll- und handelspolitischen Fragen, der industriellen Zusammenarbeit, der Beseitigung der Aus- und Einfuhr hemmnisse, zu verhandeln, über den ersten Punkt, die Tribut sireichung, kann mit Deutschland nicht mehr verhandelt werden. Hier gibt es keineKonzessio- n e n. Die Befreiung von der Fessel ist die Voraussetzung, daß Deutschland Mitarbeiter, und diese seine Mitarbeit ist die Voraussetzung für eine wirtschaftliche Genesung der Welt. Wird Frankreich diese Zusammenhänge erkennen, oder wird es weiter fortfahren auf dem Wege der Macht gier und des Eigennutzes? Noch scheint wenig Hoffnung zu bestehen für ein Einlenken Frankreichs, und man hat den Eindruck, daß die französische Regierung auf die deut schen Vorschläge zunächst nicht ein gehen und ihre Forderungen auf W e i t e r f ü h r u n g der Tribut zahlungen aufrechterhalten wird. In diesem Falle würden die deutsch-französischen unmittelbaren Verhandlungen nicht mehr weitergeführt werden können, und das Mandat würde dem Präsidenten der Reparationskonferenz, Mac donald, zurückgegeben werden müssen. Bei diesem würde es dann liegen, durch neue praktische Vorschläge eine Weiterführung der Konferenz zu ermöglichen. Auf dem Gebiet der europäischen Zusammenarbeit zeichnet sich jetzt immer stärker ein Plan ab, der auch die deutsche Unterstützung finden könnte, nach dem ein Fonds, eine aus Beiträgen sämtlicher Großmächte und auch der Neutralen zusammengesetzte gemein same Kasse, geschaffen werden soll, der unverzüglich für die Stützung der kreditsuchenden und notleidenden Länder sowie die Währungsstützung verwandt werden soll. Vielleicht geht der Weg einer deutsch-französischen Einigung über die Tributstreichung über diesen Fonds für den europäischen Aufbau, wenn auch nicht verkannt werden darf, daß auch auf diesem Wege Ge fahren für Deutschlands nationale Selb ständigkeit und eigener wirtschaftlicher Gesundung lauern, die eine geschickte deutsche Verhandlungspolitik wird zu umgehen wissen müssen. 43 Jahre. Am 28. Juni 1919 haben die Vertreter der damaligen Neichsregierung, der Sozialdemokrat Hermann Müller als Außenminister und das Mitglied des Zentrums Dr. Bell als Verkehrsminister, in Versailles den Vertrag unter schrieben, den uns Frankreich, von England, Amerika, Belgien und Italien unterstützt, als „Friedensvertrag" ausgezwungen hat. Dreizehn Jahre sind heute seit jenem Tag der Schmach und der tiefsten Erniedrigung für das deutsche Volk vergangen. Dreizehn Jahre voller Leid und voller Tränen, voller Kämpfe und Haß und Bitterkeit. Dreizehn Jahre Friede von Versailles! Es hat Wohl kaum je einen Friedensvertrag in der Welt gegeben, der so wenig mit dem wahren Frieden zu tun hatte wie dieser Vertrag von Versailles. Das ist ein Friede, der Völker mordet und die Menschen zur Verzweiflung treibt. Des halb wird der Tag kommen, wo seine eigenen Urheber den Vertrag verfluchen werden. Was uns heute beschäftigen soll, ist vor allem die Frage: welche Wandlungen hat dieser Vertrag in dreizehn Jahren im politischen Leben des deutschen Volkes hervorgerufen? Als der Vertrag unterzeichnet war, ent stand ein Niß im deutschen Volke, es hat sich in zwei Lager gespalten. In dem einen standen die, die glaub ten für die Erfüllung dieses furchtbaren Vertrages kämpfen Su müssen, im anderen jene, die sich der Erfüllung ent gegenwarfen, weil sie von Anfang an die furchtbaren Aus wirkungen der Erfüllung ahnten. Die Anhänger der Er füllung bekamen jedoch eine Volksmehrheit hinter sich und damit auch, nach dem Willen der neuen Verfassung, d i e Macht im Staate. Mit dem Tag der Unterzeichnung wurden sie vor die Aufgabe gestellt, zum mindesten den Versuch zu machen, den mörderischen Vertrag zu erfüllen. Dabei stand im Augenblick der Unterzeichnung der Wich tigste Teil noch gar nicht fest: die Höhe der Tribut- sümme. Sie sollte uns erst genannt werden. Die Er füllung des Vertrages nahm bekanntlich mit der völligen A u s r a u b u n g der deutschen Wirtschaft durch die Naub- kommissionen der Entente ihren Anfang. Gleichzeitig mußte die völlige Entwaffnung und Zerstörung aller Verteidigungsmittel durchgeführt werden. Bald aber be gann das grausamste Spiel um die Reparationen oder richtiger gesagt, um die Kriegstribute. 1921 im Frühjahr Wurde der erste Versuch gemacht, die Tributsumme festzu setzen. Bekanntlich wurde damals die phantastische Summe von über zweihundert Milliarden Mark in Gold genannt, an der Deutschland über ein halbes Jahr hundert tragen sollte. Jener ersten Londoner Tributkonferenz folgte bald die zweite, die dritte und eine nach der anderen. Die Ver fechter der Erfüllungspolitik kämpften einen verzweifelten Kampf, nicht nur mit den Gegnern um die Herabsetzung der Tribute, sondern auch nach innen mit dem wachsen den Zweifel, ob der Weg der Erfüllung wie ver sprochen zur Freiheit führen würde. Von Konferenz zu Konferenz erhob sich neue Hoffnung auf Einsicht und Ver nunft bei den Gegnern, aber von Konferenz zu Konfe renz wurde die Enttäuschung größer und größer. Lang sam bereitete sich in der Seele des deutschen Volkes der Umschwung vor. Einige Jahre noch konnte sich das Truggebäude der Erfüllung halten, solange uns das Aus land Geld pumpte, mit dem wir Paris befriedigten. Als aber der ausländische Gläubiger Rückzahlung verlangte, da brach das Truggebäude zusammen, und es wurde allen offenbar, daß jede weitere Erfüllung dem Selbstmord gleichkäme. Der Aoung-Plan war der letzte Versuch der Erfüllung. Als die deutschen Vertreter im Haag unter schrieben, war der Boden unter ihren Füßen schon morsch. Bald darauf brach er zusammen. Wir alle standen am Endpunkt der Erfüllungspolitik vor einem Abgrund. Das war eine Erkenntnis, die zu einem ungeheuren Stimmungswandel führte. Der Riß, den die Erfüllungs politik im deutschen Volke hervorgerufen hatte, schloß sich, von rechts bis links war nur noch eine Parole zu hören: Schluß mit der Erfüllung! Da stehen wir heute. Niemand könnte es heute noch einmal wagen, von Er füllung zu sprechen. Dreizehn Jahre der Not und des Leidens haben diesen Wandel vollbracht, und haben unser politisches Leben inneueBahnengedrängt. Nun, nach dreizehn Jahren, spielt in Lausanne der letzte Aktder furchtbaren Tributpolitik; nicht mehr in der Weise allerdings, daß deutsche Vertreter zur Übernahme neuer Verpflichtungen nach Lausanne gefahren wären, sondern nur um festzustellen, daß weitere Zahlungen von Kriegs tributen nicht mehr erfolgen. Ob es allerdings dazu kommt, daß Frankreich diese Feststellung anerkennt, ist mehr als fraglich. Es klammert sich als einziges Land noch an den Buchstaben des Vertrages und glaubt, sein Wille wäre stärker als der Gang der Geschichte. Aber selbst wenn es gelänge, in Lausanne den Schluß strich unter die Tribute zu ziehen, wäre unser Kamps gegen den Versailler Vertrag noch lange nicht zu Ende. Die Worte „K ri e g s s chu l d l ü g e", „Abrüstung" und „Grenzziehung" zeigen den weiteren Weg, den mr gehen müßen, um zur Freiheit zu kommen. So wie ctz ui dreizehn Jahren unter der Wucht der Tatsachen dem Druck der Not ein einheitlicher deutscher l lle 6egM die Tribute gebildet hat. so muß sich auch ein sen nat. ilsdrufferTageblatt Al für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meisten, des Amts gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt Anzeigenpreis: Lie Sgeipalien» Noumzeil« 20 Npsg., Lie 4geipnllene Zeile Ler amtliche» Bekanntmachung«» 4V Deichs» Pfennige, die Sgespaltene Sieklamezeile im textlichen Teile 1 AMK. 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