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Voigtländischer Anzeiger. 24. Stück. Sonnabends den 17. Iuny 1329. Feldblumen. Lebenswandel. Sieb' den Lebenslauf eines Menschen an, wie einen Brief, worin geschrieben steht, welch Geistes Kind er ist. Glaub' nicht, daß dieser Brief, unv wenn du auch nur dir bekannte Schiffern wähltest, je verloren gehen, daß du vielleicht durch Heuchelei und der Verstellung Künste, andre Worte unterschieben könnest! Nein, so krumm und schief wie du im Leben wandelst, — so schief und krumm fleht auch dein Lebenswandel in jenem Briefe aufgezeich- net. Jede unverschuldete Thräne, die du er pressest; jeder Seufzer, welchen du der leiden den Unschuld abzwingst — sind Flecke, die kei ne Radirkunst wegzuschaffen vermag. Jeder Schritt zum Unrecht ist ein schiefer Zug in dei nem Brief; jedes Projekt, zum Unglück andrer Menschen entworfen, ist eine mißgerathene Pe riode; jede That, die du ohne Vorbedacht be gehst, heißt ohne Sinn, heißt ohne Punkt und Komma schreiben. Wenn nun das Ende Leiner Tage, allmäh- lig wie die Nacht, dir näher schleicht, du über liesest, was du geschrieben hast, du findest hier und dort der Fehler mancherlei in deinem Brie fe, du willst verbessern: so kommt nicht selten schon der Tod, setzt sein Lebewohl darunter, und sendet ihn an die Behörde! Unsterblichkeit. Wenn Jemand eine Stelle aus irgend ei nem, mit Gründlichkeit, geschriebenen »Aufsätze vorlieset, und Hörer auf, wo etwa ein Punkt steht, wo aber der Gegenstand noch nicht er schöpft ist: so merkt ein aufmerksamer Zuhörer es sehr bald, daß noch etwas nachfolgen müsse, und daß vielleicht die schönste Hälfte des Auf satzes noch übrig sey. Und wenn nun der Tod in der Abhandlung unsers Dasepns einen Punkt macht, mir deucht, wir fühlen es, daß wir hier noch nicht das Wort Ende untersetze» dür fen- Denn es bleibt noch so Mancherlei zu ent wickeln übrig, es ist der eigentliche Knoten, um den Alles fich windet, noch nicht ausgelöst, und eben um deswillen dürfen wir hoffen, daß der anziehendste Theil unsers Daseyns erst er folgt. Die verschiedenen Altersstufen find weiter nichts als Doppelpunkte; der Heiraths, tag—rrch, ost ein Fragezeichen; Krankheiten, Gedankenstrich? und jeder mit Glück oder Un glück