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Sonnabend, SS. Dezember 1SW. Nr. SS. Erster Jahrgang. 5luer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge Veiannvorilicher Ncöukienr: Fritz Arnhold. Für die Inserate verautworllich: ZIrthur Kupfer beide in Zlue. fnil der wöchentlichen Unterhallmrgsbeilage: Illustriertes ^onntagsblatt. Sprechstunde der Redaktion niit Zlnsnalpne der Sonntage nachmittags von 4—L Utzr. — Tclcgrainm-Adreffe: Tageblatt ZIne. — Fernsprecher 2112. Für unverlangt eingesandte Manuskripte kau» Gewähr nicht geleistet werden. Druck und Verlag Gebrüder Leuth» er (Inh.: Paul Beuthner) in Zlue. Bezu gs preis: Durch unsere Loten srci ins l)a«r monatlich so psg. Lei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich 40 pfg. und wscheullich 10 psg. — Lei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich (.so Mk. — Durch den Lriesträgcr frei ins kfans vierteljährlich (.->2 Mk. - Einzelne Nummer (o pfg. — Deutscher Postzcitungs- katalog — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. 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Das Weihnachtssest in verhallt, und die Tagespolitik tritt wieder in ihre Zitechte. "Natürlich ist es nach wie vor die Wahl bewegung, die im Vordergründe des Interesses sicht, ja augen blicklich haben wir überhaupt leine andere innerpolitische Frage, die uns irgend wie interessieren würde. Aber vorläufig ist die Zukunft noch in Dnnkel gehüllt, und wer vermag es heute voraus jn sagen, welchen Ausgang die Neuwahlen nehmen werden. ES gilt säst keinen "Wahlkreis, in dem nicht eine ganze Anzahl von Kandidaten ausgestellt wird, und ganz vergebens sucht man nach einer Wahlparole, die ans die bürgerlichen Parteien eine g r öst e r e Anziehungskraft auSzuüben vermochte. Dazu kommt noch, dast die R o l o n i a l p v l i t i k der Neichsregiernng. nm derentwillen der Reichstag auseinander gejagt wurde, ein neues Fiasko erlitten hat und zwar diesmal nicht durcheilte Hiobsbotschaft, sondern durch eine Freu den künde aus Denisch- Liidweslasrila. Niemand kann Henle mehr leugnen, das; die frei willige Unterwerfung er Bondelzwacks mit dem starren Festhalten an den Nachtragsetat der Kolonialvcrwaltnng nicht gut in Einklang zu bringen ist, und die Mehrheit des Reichstages in ihrem ablehnenden Verhallen nunmehr gerechtfertigt erscheint. Lo erfreut man in der Wilhclmstraste über die Weihnachtsbolschast aus Sndwestasrika noch vor einem Monate gewesen wäre, so ungelegen kommt sie jetzt, wo man Himmel und Holle in Bewegung gesetzt hat, um die Reichstagsauslösung zu rechtfertigen. Es ist deshalb gewis; kein leeres Gerede, wenn man in politischen Beeisen die Position des Fürsten B u l o w sowie des Bolonialdircktvrs Der »bürg als gerade keine sehr angenehme betrachtet, und vielfach der Meinung Ausdruck gibt, dast die Tage der beiden gezählt sind, falls cs nicht gelingen sollte, eine Ienlrumssreic Bolonialsmchrheit zu schassen. Aber die Hoffnungen aus ein solches. Wunder sind wahrlich herzlich gering, und sie erscheinen umso schwächer, als die Konservativen und das Zentrum einander schnell wieder gefunden und die al'c Freundschaft erneuert haben. Es mnstte denn auch schon einer ein politischer Phantast sein, um sich der Illusion hinzugeben, das; die konservativen Arm in Arm mit den liberalen Elementen das Zentrum in die Schranken fordern würden! Das Zentrum und dir Konservativen haben bisher so schön an e i n e m Strange gezogen, und so einträchtig dem selben Ziele zugeslrebt, das; sie wahrlich keine Luft haben können, diese erfolgreiche Waffenbrüderschaft den schönen Augen des Fürsten Bülow zuliebe auszugcben. Uebrigens war cs ja niemand anders als der gegenwärtige Reichskanzler selbst, der dieses Bündnis zu stande brachte nnd huldvoll cinscgnctc, und Dankbarkeit ist be kanntlich ein seltenes Gewächs, das am aller schlechtesten auf dem dürren Boden der Tagespolitik gedeiht. Wir sürchten also sehr, dast mit dem neuen Reichstage auch ein neue r M ann i n das B a n z l e r p al a i s einziehen werde, der dort den Faden wieder zusammen knüpsen wird, wo er von seinem Vorgäng r am Ui. Dezember höchst unkluger Weise abgerissen wurde. Wieder einmal taucht der Schatten des grossen weisen Mannes auf, und man erinnert sich, dast Fürst Bismarck einmal bei einer Kritik der Persönlichkeit des Habsburgers Joses II. die Politik mit der Entenjagd verglichen hat: Man dürse niemals den zweiten Schrill tun, bevor man nicht den '.rsten getan hat! Fürst Bülow aber beging diesen Fehler, indem er den Reichstag aus löste, ohne sich vorher die Gewähr zu verschaffen, aus den Neu wahlen eine Zentrumssreie Majorität zu erhalten. Es soll nns srcncn, wenn wir mit unserer Schwarzseherei bereinsallcn, aber wie die Dinge jetzt liegen, wäre es töricht, optimistischer in die Zukunft zu blicken. Das "25jährige Bischofsjubiläum. das am 27. Dezember der Kardinal Dr. Bopp in Breslau feierte findet in ganz Deutsch land ein sympathisches Echo, denn der Kirchenfnest ist ein d e u t- scher Priester im besten Sinne des Wortes, der sein'schwierigcs Ami stets mit ansterordenilichcr Delikatesse zu verwalten gewusst hat. Trotzdem er auch viele P ölen in seinem Bistum zählt, hat er doch niemals die Interessen des Reiches geopfert. Wahr lich, wenn alle katholischen Priester in den gemi s chtspra ch- i g e n Provinzen von dem gleichen Geiste wie dieser Obcrhirte beseelt wären, so wäre nns der polnische Lchulkinderstreik wohl erspart geblieben. In der a u st e r e n Politik ist in der letzten Zeit ein gewisser Stillstand cingelreten, und insbesondere die Marok ko n i s ch e Frage wnrdc nm keinen Schritt ihrer Lösung näher geführt. Es scheint sogar, dast die Energie, die der Sultan mit der Absendung einer verhältnismüstig starken Truvvenmachl nach Tanger bekundete, nm den widerspenstigen Raisnli zur Vernunft zu bringen, den Franzosen nnd Lvanicrn einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Es wäre in der Tat ein gelungener Streich, wenn sich die scherisiscbe Majestät stack genug zeigte, um selber "Trdunng zu schassen, denn dann konnte die französisch spanische Eseasire wieder hcimdampsen mit dem Gefühl der bla mierten Europäer. Diese Lösung wäre Re denkbar einfachste und würde den Interessen der a nder e n europäischen Mächte am besten entsprechen. In E n g land hat die Schnlbill zu einer scharfen Zu spitzung der Gegensätze zwischen dem Ober- nnd Unterhaus geführt und die Position des liberalen Kabinetts nicht unbedenklich er schüttert. Jin Zarenreiche beginnen sich die Bombenwerfer wieder unheimlich zu rrgen, mehrere politische Morde in den letzten Tage» bestätigen das. Was endlich die habsburgische Monarchie betrifft, so segelt die österreichische Reichshälste frischen Mnies in das unbekannte Meer des allgemeinen und direkten Wahlrechtes hinaus nnd hasst, in das langersehnte Fahr wasser einer ruhigen politischen Entwicklung zu geraten. Wenn man sich in Wien in dieser Erwartung nnr nicht täuscht! Politische Tagesschau. Aue, 20. Dezember 1906. Aussicht aH neue Steuern im Reich eröffnet eine dem Reichshaushaltsetat sür l»07 beigegebene Denkschrift, in der ein Fehlbetrag von 57 Millio neu festgestellt wird, der durch die Stundung der Matrikular- beiträge entstanden sein soll, wie sie im Resormgesetz vom 3. Juni 1906 für die über "24 Millionen hinausgehenden Beiträge vorge sehen ist. Die Denkschrift nimmt zu diesem Defizit solgender- masten Stellung: Die verbündeten Regierungen müssen sich eine entsprechende Entlastung durch nachträgliche Ergänzung der jüngst verabschiedeten Steuergesetze Vorbehalten und glauben, hierbei auf das Entgegenkommen des Reichstags um so sicherer rechnen zu dürfen, als er bei der Beratung der Fi- nanzresormvorlagc auch seinerseits anerkannt hat, dast die be willigten neuen Steuern zur Wiederherstellung des Gleichge wichts im Reichshaushalte nicht ausreichen. Es ist uns allerdings nicht bekannt, dast der Reichstag irgend wie eine derartige moralische Verpflichtung auf sich genommen hätte. Dast der neue Reichstag sich gegenüber neuen Steuer projekten der Regierung ebenso willfährig zeigen wird wie der alte, ist zweifelhaft, nachdem die neuen Steuern ihre Urheber mit Recht so unpopulär gemacht haben. Hoffentlich statten jetzt die Wähler diesen S t e u e r k ü n st l e r n den gebührenden Dank ab, so dast sie keine Gelegenheit haben, ihre verhängnisvolle Tä tigkeit von neuem aufzunehmen. Denn es wird nicht so sehr von wirtschaftlichen Zweckmäßigkeitsgründen abhängen, welcher Art die neuen Steuern sein werden, als von der Zusammensetzung der neuen Volksvertretung. Kehrt diejetzigereaktionäre Mehrheit wieder, so darf mit ziemlicher Sicherheit gerech net werden, daß eine neue Belastung der Massenkonsumartikel und eine weitere Vermehrung der indirekten Steuern stattsindct. Die Unterwerfung der Bondelzwarts. Die Bondelzwarts waren es, die vor mehr als drei Jahren die Ausstände begannen. Sie nahmen das Grenzgebiet ein, kann ten die Schlupfwinkel in dem Gebirgslande am besten und hatten fortdauernde Verbindung mit den Hottentotten im britischen Klein-Namalande. Ihnen war der Schmuggel von Mas sen und Munition schon sehr geläufig, so dast sie ihn mit Leichtigkeit fortsetzen konnten. Die Bondelzwarts waren einer der stärksten Hottentottcnstämme, was schon daraus hervorgeht, daß sich jetzt 200 Mann ergeben haben, denen mehr als 120 Ge- Das politische Jahr 1W<>. <v.) (Nachdruck verboten.) Eine Konjerenz der Grubenarbeiterdelcgierten und der Gru- dcnvertreter sand im Arbeitsministerium statt, ohne indessen zu einer Einigung zu führen, hauptsächlich deshalb, weil sich die Ar- beiter selber nicht einig waren. Das sogenannte alte Syndikat unter dem sozialistischen Abgeordneten Basly verlangte einen TagestoM "wn 7,10 Frcs., das neue Syndikat unter dem Arbei terführer VoutMoux 8 Frcs. für achtstündige Arbeitszeit und 2 Frcs. sür jede Ucberstunde. Die Gesellschaften blieben aus ihrem Satz von 0,60 Frcs. stehen, cs kam somit nicht zu einer Einigung und am 2>. März traten 80 000 Arbeiter in den Ausstand. Ein aus acht Tage später eingesetztes Referendum der Arbeiter sprach sich mit 82 520 gegen 18 074 Stimmen sür die Fortdauer des Ausstandes aus. Die Minister Clemenceau und Barthou boten vergebens ihre Vermittelungen an, versprachen aber ande rerseits den Ausständigen, sie würden keine Truppen in das Aus standsgebiet senden, so lange die Ruhe nicht gestört wurde. Wir wollen gleich hier bemerken, daß Ruhestörungen nicht lange aus sich warten ließen. Die Regierung mutzte schlicstlich doch Trup pen senden und am Ende sogar die Haupträdelssührer, darunter Voutchoux, verhaften. Dann erst kam eine Eingang zu stande. Die Niederlage Rouviers hatte in den Nationalisten überschwengliche Hoffnungen auf die im Mai fälligen Kammer wählen hervorgerusen. Unter Franyois Eoppä hatte sich eine c-rLiga des katholischen Widerstandes gegen das Trennungsgesetz gebildet. Alles war vergeblich. Die Wahlen ergaben einen völligen Erfolg des radikalen Bloks. Nationalisten und Konser vative verloren 60 Sitze. Ein Umschlag war also nicht mehr zu erwarten und die D/rchsührung des Trennungsgesetzes nahm rasch ihren Fortgang, ohne dast ihr jetzt noch ernstliche Schwierig keiten in den Weg gelegt wurden. Das Kabinett hatte sich jetzt auch mit andern wichtigen Fragen zu beschäftigen, wie Abschaf fung der Todesstrafe und Durchführung der Alters- und Jnva- liditätsversicherung. Am meisten Aussehen erregte aber die Aus hebung des Renneser Kriegsgcrichtsurtcils gegen Dreyfust durch den Pariser Kassationsches, die am 12. Juli erfolgte. Die Kammer zog bereits am nächsten Tage ihre Konsequenzen da raus: Oberst Picquart wurde als Vrigadegeneral, Major Dreysus als Hauptmann und Eskadronchef wieder in das aktive Heer eingestellt. Royalisten, Legitimisten und Nationa listen tobten, aber es half ihnen nicht mehr. Die Verhältnisse hatten sich gründlich geändert. Erwünschte Ablenkung gaben der Konflikt mit der Türkei wegen der Besetzung der Oase Dschanet im Hinterlandc von Tripolis, noch mehr aber die sich zuspitzenden Verhältnisse in Marokko. Hier hatte ein Stammeshäuptling namens Raisuli sich zum Herrn der Lage in Tanger gemacht und den Sultan genötigt, ihn anzuerkennen. Es war demgemäß ein Zusammenstoß zwischen Raisuli und dem Prätenden Vu H a- mara zu befürchten, der auch das spanische Territorium beein flussen und seine Rückwirkung auf die marokkanischen Stämme überhaupt haben würde. Die Regierung tras daher längs der algerisch-marokkanischen Grenze alle gebotenen Vorsichtsmaß regeln und war dazu umsomehr verpflichtet, als Gerüchte von dem Bevorstehen eines heiligen Krieges der Araber gegen die Meisten im Umlauf waren. Gestützt wurden diese Gerüchte durch zahlreiche Ueberfälle sranzöstscher Patrouillen in den Ge bieten südöstlich von Marokko. Zwei ernste Unfälle ver mochten eine Zeitlang die Aufmerksamkeit von der Politik ab zulenken, die furchtbare durch einen Blitzschlag herbetgeführte Explosion desFortsMontfauyon bei Bösanqons und der Untergang des Unterseeboots „Lutin" bei Bi- serta, aber schon kam eine neue Sensation. Die Demission des Ministerpräsidenten Sarrien angeblich aus Gesundheitsgrün den. Am 23. Dezember vollzog daher Clemenceau die Bildung des neuen Kabinetts, in dem Pichon das Kriegsministerium übernahm. Ob diese Wahl als besonders glücklich zu bezeichne« ist, must die Zukunft lehren. Soviel steht fest, daß Clömenceau selbst alle Fäden der Regierung in der Hand behält. Auch nach der päpstlichen Enzyklika wird demnach in der inneren Politik alles beim alten bleiben. Jn der äußeren wird das Mi nisterium indessen alle Vorsicht walten lassen. Hier wurde näm lich durch Raisuli eine neue Verwicklung geschaffen. Entgegen der allgemeinen Erwartung wandte sich dieser nämlich nicht Vu Hamara entgegen gegen Osten, sondern nach Westen und übersiel die Stadt Arzila, wo französische und spanische Interessen ver treten waren. Die von beiden Mächten alsbald entsandten Schiffe behandelte er als guickck«; nögligoublo, und seine Leute trugen auch keine Bedenken, ihnen in den Weg kommende franzö sische Seeleute durchzuprügeln. Jn der ersten Hitze wollte Frank reich alsbald Truppen landen lassen. Mit Rücksicht auf die Ab machungen von Algeciras indessen, die noch keinem einzigen Par lament Europas bisher vorgelegt waren, überlegte man sich die Sache in Paris. Dazu kam, daß inSpanien eine Minister- krisedie andere ablöste und die spanische Presse den König be schwor, in Marokko sich nicht die Finger zu verbrennen, da man nicht wisse was dabei herauskomme. Die Sachlage ist nun die: Beide Mächte möchten gern in Marokko zufassen, trauen sich aber nicht heran, weil sie vor der Verhandlung der Algeciras-Akte in den Parlamenten noch kein europäisches Mandat dazu haben. Wir find in unseren letzten Worten bereits nach Spanien gelangt und wollen nun auch über dieses Land, dem König