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»««Mil Rr. Sl« Dritter Jahrgan«. Mittwoch, 16. September 1S68. Vitt ttri 3800 r fluer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge v..-n.^,.ch°-^d.s.-.u wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. 7'^^ F°-di. Inserate °e-cmtw°rttich: Hü.r »kN» »« v«k,.„.«.,E.N Malttr Prall» Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Sonntage nachmittags von 4—5 Uhr. — Telegramm.Adresse-. Tageblatt Aue. — Fernsprecher in Aue i. Lrzgeb. beide in Aue i. Erzzeb. Mr unverlangt eingesandte Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Bezugspreis: Durch unsere Boten frei in» Haus monatlich »0 Pfg. Bei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich bo psg. und wöchentlich >o pfg. — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich l.so Mk. — Durch den vnesrräger frei ins Baus vierteljährlich ,.-2 Mk. — Einzelne Nummer <o pfg. — Deutscher Postzeitungs katalog. — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. 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Kanzlergedankeu. Fürst Bülow hat sich in den letzten Tagen, wie wir schon kurz meldeten, über wichtige Probleme der inneren und der äußeren Politik ausgesprochen. Die deutsch-englischen Beziehun gen und die Marokkofrage waren der Gegenstand von Besprech ungen zwischen ihm und dem Korrespondenten des konservativen Londoner Blattes Standard, Syndnay Whitman, der nach Norderney fuhr und drei Tage als Gast des Kanzlers auf der Insel weilte. Der Reichskanzler erklärte, so berichtet Herr Whitman im Standard, das Publikum schreibe den Aeußerungen hoher Persönlichkeiten viel zu viel Bedeutung zu, ohne zu wissen, unter welchen Um ständen und in welcher Eemütsstimmung die Worte der hohen Persönlichkeit gefallen find. Der Reichskanzler bezeichnet« die Mißverhältnisse, die so entstehen, als eine der größten Gefahren der heutigen Zeit. Er sagte, alle Leute reden jetzt mehr in der Oeffentlichkeit als früher, aber die Mehr zahl der Aeußerungen ist nicht so aufzufassen, wie sie nach dem Wortlaut klingen. Der englische Journalist hatte dem deutschen Reichskanzler vorher einen von Angriffen auf Deutschland strotzenden Artikel der englischen Zeitschrift Quarterly Review zugesandt. Fürst Bülow hatte diesen Artikel, der sich Die deutsche Gefahr betitelt, sorgfältig durchgelesen und ihn mit 128 Randbemerkungen versehen. Er erklärte Herrn Whit- man das Ganze als ein Lügengewebe und «in Chaos von Blödsinn und ging die Angriffe dann mündlich Punkt für Punkt durch. Das Deutsche Reich, so betonte der Kanzler, ist die einziger der Großmächte, die in den letzten 37 Jahren keinen Krieg geführt hat. Und doch die Angst der Engländer vor Deutschlands Wachstum? Deutschland habe viel eher Grund, einen Angriff seitens Englands zu befürchten. Die englische Jnvasionsfurcht entspringe einer Art politischen Massenwahns. Es sei unwahr, daß neue Flottenprogramme, eins ausgedehnter als das andere, begünstigt würden. In der Herabsetzung der Lebens dauer der Schlachtschiffe folge Deutschland nur den Beispielen anderer Nationen. Dem Deutschen Flottenverein schreibe das englische Publikum zu viel Bedeutung zu. Auch lege man den Auslassungen gewisser Professoren, die angeblich höfische und sonstige Verbindungen hätten, zu viel Wert bei. Er, Fürst Bülow, selbst lese die Auslassungen eines dieser Professoren (Prof. Schieman von der Kreuzzeitung scheint gemeint zu sein. Red.) höchstens einmal in sechs Monaten. Fürst Bülow sprach auch über die deutsch-französischen Beziehungen. Es müßte schwer sein, so erklärte er, in Deutschland heute einen Menschen zu finden, von dem behauptet werden könne, er hasse Frankreich. Der Reichskanzler streift dann die Marok ko-Affäre, indem er sagte, es sei kein Grund vorhanden, zu bezweifeln, daß Frankreich die Akte von Algeciras respektieren werde, und fügte hinzu: Früher glaubten die Franzosen, Deutsch land wolle sie um jeden Preis angreisen. Jetzt scheinen viele Franzosen zu glauben, daß Deutschland unter gar keinen Um ständen Krieg führen würde, sondern, daß die Deutschen den Frieden um jeden Preis erhalten wollen. Das ist ein Irrtum und es ist in einem gewissen Sinne gefährlich, wenn die Franzosen solche irreführenden Ansichten hegten. — Im Laufe fernerer Gespräche sagte Fürst Bülow, falls Deutsch land angegriffen werden sollte, würde die Welt sehen, mit welcher Größe das Deutsche Reich sich verteidigen würde. Deutsch land sei immer im Unglück am größten gewesen. So weit Bülow über die Weltpolitik. Ein interessantes Gegenstück zu diesen Auslastungen bildet der Bericht eines öster reichischen Journalisten über eine Unterhaltung des Reichs kanzlers mit dem rumänischen Ministerpräsidenten von Sturdza, die das rumänische Tabaksmonopol zum Gegenstände hatte. Herr Sigmund Münz, Mitarbeiter der Neuen Freien Presse, war mit zur Tafel in Norderney geladen und erzählt: Der Fürst fragt Herrn Sturdza, wieviel das Tabakmono pol in Rumänien für den Staat abwerfe, und dieser erwidert: Dreißig Millionen. Der Kanzler macht darauf die Bemerkung: Man muß es tief bedauern, daß Fürst Bismarck, der es so gern gewollt hätte, nicht imstande war, das Tabaksmono pol durchzusetzen. Sicher wäre in Deutschland dem Staate Hervststürme. Novelette von N. Hinze. Brausnd kommt der Sturm daher; ächzend biegen die Bäume ihre entlaubten Wipfel. Die lcssten dürren Blätter lösen sich und werden vom Sturm im Wirbeltanz fortgesührt. Am Horizont jagen die Wolken dahin; prasselnd schlägt der Regen gegen die Fensterscheiben. Im Zimmer liegt die frühe Dämme rung des Herbsttages. Wo am Kamin Flammen lodern, be- glänzt ein magischer Schein das Dämmerlicht; im Umkreis des Pianos ist es hell, dort brennen die Kerzen. Der Meister sitzt am Instrument und begleitet den Gesang seiner Schülerin, die neben ihm steht. Es sind die letzten Augenblicke der letzten Ge sangsstunde. Der fremdländische Vogel mit der Silberkxhle soll darauf den Flug nehmen in die Konzertsäle der Wett. Die Uhr schlägt — mit gewohnter Pünktlichkeit verhallen Ton und Akkord. Allein die Hände des Meisters bleiben wie zögernd auf den Lasten ruhen — zögernd auch verharrt das Mädchen. Und dann — ja, hat die Sängerin, hat der Spieler zuerst den Ton angegeben? Kein Wort ist gefallen, kein Blick getauscht worden und doch scheinen beide plötzlich nur «ine Seele zu haben — die wild-romantische Melodik eines ungarischen Volksliedes schwebt empor; durch die herzliche Mädchenstimme zittern die Töne der Leidenschaft, wilder Sehnsucht —: In der Schenke den Esardas Spielen Zigeunergeigen. Klingt wie Jauchzen sder wilden Vögel in Waldeszweigen. Klingt wie schlu^end Weinen Aus verwundeter Seele, Klinget, als wollt' der Zigeuner Seine Geschichte erzählen. »ei der letzten Note bricht der Gesang mit einer Dissonanz ab; da» Tuch gegen die Lippen gepreßt, eilt das Mädchen fort in» Nebenzimmer. Es ist ja wie zu Hause in dem Junggesellen heim de« großen Meister», des väterlichen Gönners. Dessen Blick haftet an der Portier«, hinter der die Sängerin verschwunden ist. Er hört den Sturm an den Fenstern rütteln, und er denkt an das wildschöne Kind dort drinnen und an den Sturm, mit dem es jetzt ringt. Seine Stirne brennt, seine Hand ist kalt, dieselbe Hand, in die es gegeben, dem Sturme dort, dem Sturm in der eigenen Brust ein Ende zu machen. Nachgeben dem Taumel des Augenblicks, der auch ihn erfaßt, gegen den er gekämpft hat bis heute, schwach werdend .n der letzten Stunde!? Er reißt das Fenster auf; wild fährt der Wind herein, zerrt an dem dunklen Haar des Manne, an den Silberfäden darin —. Ein gewissen loser Egoist würde er sein, wollte er das Mädchen jetzt an sich reißen und damit heraus aus einer Bahn auf die ihr gott- begnadigtes Talent sie hinweist. Abwendig sie machen der Kunst, ihrer Kunst, die dem wilden Naturkinde das höchste ist?! Nein, das ist ihr der Man-n mit den Silberfäden im Haar —. Der erste Liebesrausch einer Achtzehnjährigen — was weiter? Es ist ja natürlich, daß die liebearme junge Seele sich an etwas klammert, und er ist ja ihr Vater, Freund, Lehrer und Gönner gewesen, alles, seit —. Ein Windstoß bläht Len Fenstervorhang weit, — fauchend geht es draußen durch die Luft. Herbststürme wie damals, als seine Kunstfahrten ihn in die Karpathen, an der mährischen Grenze, geführt hatten. Lebhaftes Interests an den stolzen, gemessenen Ungarn und mehr noch an der wilden Raste, den Zigeunern, die in der Musik Genies sind, und von denen viele sich dort in Städten und Dörfern niedergelassen haben, zog ihn mitten hinein in das Leben und Treiben des braunen Völkchens. Es war Markt gewesen und die Ungarn und Zigeuner in ihren malerischen, aber oft zerlumpten Kleidern, kehrten nach Hause zurück. Mitunter wurde ausruhend sich mit Pferden und Karren gelagert, oder in den Schenken eingekehrt. Dort erklang die ungarische Tymbel; es wurde getanzt und getrunken und ge jubelt. Eljen-Rufe ertönten, wenn der Eymbel-Spieler die melancholischen ungarischen Volkslieder mit aller Leidenschaft erklingen ließ, oder gar den Rakokzymarsch; dann ward mit Händen und Füßen der Takt geschlagen. Ein Glas Tokayer vor sich, ward der schweigende Beobachter gewahr, wie plötzlich unter die wilden Gestalten «in« Veränderung kommt, das Lärmen und Schreien verstummt jäh. Eine braun« Hand, die sich noch mal» gistulierend erhebt, wird niedergeschlagen. Der Täter ist ein junger Zigeuner. Er ist groß und stark gebaut; rabenschwarzes daraus eine Einnahme von vier- bis fünfhundert Millionen er» wachsen. Wie viele gute Sachen hätten sich mit diesem Gelds für Deutschland machen lasten. Aber, fügte er hinzu, gegen Torheit kämpft sogar ein Bismarck vergebens . . ^ch glaub« in der Tat, daß es selten di« Schlechtigkeit, sondern isst immer die T o r h e i t der Menschen ist, die das Gute verhindert. Diese Anschauungen über den wahren Grund des Scheiterns eines deutschen Tabakmonopols sind freilich etwas einseitig und subjektiv im Munde des leitenden Staatsmannes und werden in beteiligten Kreisen lebhafte Erörterungen Hervorrufen. Aber wie sagte doch jüngst Fürst Bülow selbst zu dem englischen Korre spondenten: Man schreibt den Aeußerungen hoher Persönlich keiten viel zu viel Bedeutung zu, ohne zu wissen, unter welchen Umständen, und in welcher Gemütsstimmung die Worte der hohen Persönlichkeit gefallen sind. Dauerfahrt -es Parseval. Gestern morgen um 8^ Uhr stieg der Parsevalballon der Motorluftschifsstudiengesellschaft in Tegel zu einer Dauerfahrt auf. In der Gondel saßen Hauptmann v. Kähler, Ober ingenieur Bas en ach und Hauptmann Georgi vom Lust schifferbataillon, während der Erbauer des Ballons, Major v. Parseval und Oberstleutnant Schmiedecke vom Kriegs ministerium den Aufstieg von unten aus beobachteten. Außer dem wohnte eine große Anzahl von Eeneralstabsoffizieren dem Aufstieg bei. Der Parsevalballon kämpfte gegen den aus Süd west kommenden, acht Sekundenmeter starken Wind an, manöv rierte einige Minuten über dem Tegeler Schießplatz und ent schwand dann in der Richtung nach Nauen. Um 10 Uhr 10 Mi nuten passierte er Potsdam, ^12 Uhr das Dorf Götz, unweit Brandenburg a. d. H., ^1 Uhr Kleinkreuz und um 4 Uhr Burg bei Magdeburg. Der Ballon machte alsdann eine kurze Wendung und zeigte sich auf dem Rückwege über dem Mamorpalais bei Potsdam. Um 6 Uhr erschien der Ballon wie der über Reinickendorf. Die Insassen teilten durch einen her untergeworfenen Zettel mit, sie beabsichtigten so lange zu fahren, wie das Benzin ausreiche. Eine spätere Meldung besagt: Die Fahrt des Parsevalballons ist in jeder Beziehung sehr gut gelungen. Das Luftschiff, das stets nach dem Wunsche des Führers in Höhen von 200 bis 600 Metern fuhr, landete nach ll^stündiger Fahrt in Tegel, ohne daß irgend ein Teil versagt hätte. : Der Kriegsminister im Militärballom Das deutsche Militärluftschiff unternahm gestern wieder zwei gelungene Fahrten, von denen die erste um 9 Uhr 20 Min. begann. An ihr nahmen der Kriegsminister von Einem mit seinem Adjutanten Major von Bosse, der Ehef der Verkehrs truppen, Generalleutnant von Lyncker, Major Sperling, Leutnant Kirchner, Oberingenieur Vasen ach und Werk meister Möbes teil. Das Luftschiff, das mit beträchtlicher Ge schwindigkeit gegen den Wind anfuhr, stieg allmählich zu einer Höhe von 250 Meter an und nahm seine Fahrtrichtung südlich Haar fällt ihm über das Gesicht; dies ist schön, trägt aber den Stempel der Nichtswürdigkeit. Um den Leib ist ein grober bunter Shawl gegürtet, darin ein zweischneidiges Messer steckt. Brennend hängen seine Augen an der niedrigen Tür, die sich jcsst auftut. Ein Mädchen tritt ein, halb Jungfrau, halb noch Kind, — die verkörperte Lenaufche Mira, denkt der atemlos beobachtende Deutsche. Sie hat sich offenbar herausgeputzt zum Auftreten; sie ist die Tochter des Lymbelspielers und soll jetzt wie üblich den Gästen ihre Lieder singen. Zwar sind die kinder kleinen Füße entblößt, den schlanken Leib aber bedeckt Lis zu den Knöcheln herab ein Röckchen von fadenscheinigem gelben Woll stoff. Es ist mit allerhand Kram verziert, mit schwarzen Sammetfleckchen, mit bunten Elassteinen und silberglänzenden Schnüren. Ein grobes Leinenhemd lose um Len Oberkörper, unter der Brust einen fitzigen roten «Äidenshawl geschlungen, blickt sie aus tiefschwarzen Augen trotzig-scheu vor sich hin, gerade als vermeide sie absichtlich den Blick des jungen Zigeuners, der lodernd an ihr hängt. Ein fast feierliches Schweigen ist in dem niedrigen Raume entstanden. Die Arme aufgestemmt, di« wild kühnen Gesichter auf die braunen Handhöhlen gestützt, verzehren die Zuschauer förmlich mit ihren Blicken Las Mädchen. Selbst der Schenkwirt setzt di« Gläser nieder, die er just trägt, und streicht erwartungsvoll Len langen, zottigen, abwärts gedrehten Schnurrbart — wenn das Vögelchen, die Jlonka, singt, wird ihm stets wie bezaubert, daß er sofort der heiligen Jungfrau ein« armdicke Kerze gelobte! Die schwimmenden Mandelaugen schwer mütig gesenkt, gibt der Eymbelspieler mit zwei kleinen, mit Haut überzogenem Stäbchen die M«lodie an. Und nun singt das Mädchen: In der Schenke den Esardas Spielen Zigeunergeigen. Klingt wie Jauchzen der wilden Vögel in Waldeszweigen. In dem atemlosen Schweigen wird «in« Bewegung laut — der Deutsche ist aufgesprungen. Zornig wenden sich die Köpfe ihm nach. Da dolmetscht er bereit!» mit dem Wirt«. — Ob der Alt« und sein Kind Zigeuner seien? Eigentlich nicht, Herr, da heißt, der Jano» will k«iner sein, obwohl er von Zigeunern ab- stammt. Im Winter lebt «r vom Kesselflicken; In den warmen