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WM« ßr Mmß WrM Uojstn, Menlchn md die Umgegendk«. Imlsblalt für die Rgl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Rgl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Rgl. Forstrentamt zu Tharandt. Erscheint wöchentlich dreimal und zwar Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. — Bezugspreis vierteljährlich 1 Mk. 30 Pf., durch die Post bezogen 1 Mk. 55 Pf. Inserate werden Montags, Mittwochs und Freitags bis spätestens Mittags 12 Uhr angenommen. — Jnsertionspreis 10 Pfg. pro dreigespaltene Corpuszeile. Druck und Verlag von Martin Berger in Wilsdruff. — Verantwortlich für die Redaktion Martin Berger daselbst. Ro. 132. j Dienstag, den S. November j 1897. WWWDWWWW>WWWWWWWWWMWWWWWW>WWWWWMWMW>WWWWMWWMMMWMMWW»MMWWWM>WM^!LLW>MMWWWWWWW>MWMWWWWWWMWIV»^»vM««M«LE Die sittliche Erziehung im Berufs- und Wirtschaftsleben der Neuzeit. Elternhaus und Schule legen Gott sei Dank bei den meisten jungen Leuten den Grund zur sittlichen Vorbe reitung für das ernste Berufs- und Wirthschaftsleben. Aber wenn heutzutage mit allen möglichen Mitteln daran gearbeitet wird, die wirthschaftliche Lage der Handwerker und Gewerbetreibenden zu heben, so sollte doch auch daran gedacht werden, für die sittliche Erziehung der Lehrlinge und jüngeren Gehilfen im Berufs- und Erwerbsleben mehr zu thun als meistens geschieht. Jeder, der die Verhältnisse im Lehrlings- und Gehilfenwesen kennt, wird wissen, wie lückenhaft die sittliche Erziehung für junge Berufsgenossen ist und wie schwierig und werthvoll es erscheint, hier eine Reform durchzusetzen. Wenn nun durch gesetzliche Bestimmungen, wie solche in der jüngsten Novelle zur Gewerbe-Ordnung vom 26. Juli d. I. enthalten sind, einer tüchtigen praktischen und theoretischen Ausbildung des gewerblichen Nachwuchses möglichst Rechnung getragen ist, so dürfte eine sittliche Erziehung der Lehrlinge ebenso wichtig sein und wesentlich dazu beitragen, brave recht schaffene Gesellen heranzubilden, aus deren ehrenfester Charaktergrundlage tüchtige Meister und Bürger her vorgehen. Zunächst erscheint die sittliche Zucht bei solchen Knaben am allernothwendigsten die ihre Lehrzeit in einer Fabrik durchmachen. In der Regel gelangen solche junge Leute sofort nach der Konfirmation zu einer gewissen Selbstständigkeit, entbehren sehr oft — und vielfach zu ihrem Unglück — selbst der elterlichen Zucht, und wie die Erfahrung lehrt, führt diese Bewegungsfreiheit in den seltesten Fällen zum Guten, sondern wird meist schlecht angewendet. Unstreitig bietet jene familiäre Zucht im Hause des Meisters und von diesem selbst ausaeübt die beste Gewähr, das sittliche Ich und die sittliche Erziehung der Lehrlinge zu heben und zu fördern. Ein Herz und Gemüth erquickendes Verhältniß ist es, wenn der Meister mäst allem der strenge Gebieter in der Werkstatt ist, sondern seine Lehrlinge häufig in seine Nähe zieht, ihnen von seinen Arbeiten, seinen eigenen Lehr- und Wander jahren erzählt, ihnen das vor Kurzem verlassene Eltern haus zu ersetzen und den sich entwickelnden Charakter zu beobachten sucht. Sicher wird ein solcher Meister sich treue Mitarbeiter heranbilden, die an ihm und seinem Geschäfte mit mehr Liebe hängen, als dies in unserer Zeit leider sehr oft der Fall ist. Obwohl eine derartige familiäre Lehrlingserziehung in großen industriellen Fabrikanlagen kaum als durchführbar erscheint, indem der Einzelne hinter der Gesammtheit zurücktritt, auch der Erziehung der in Frage kommenden jungen Leute nach dieser Richtung in vielen Großbetrieben leider nicht die nöthige Beachtung geschenkt wird, so hat man doch, wenn auch in einer verhältnißmäßig geringen Zahl derselben, die charakterbildende und sittliche Erziehung der Fabrik- lehrlinge und zwar mit gutem Erfolge in die Hand ge nommen. Sowohl für Handwerk wie für Großindustrie dürfte die sittliche Erziehung der Heranwachsenden gewerb lichen Jugend als eine ernste soziale Pflicht anzusehen sein. Die Opfer, welche diese Pflicht bedingt, werden nicht nur dem Erwerbsleben und den arbeitenden Klassen, sondern der gesammten Volkswohlfahrt gebracht. Tagesgeschichte. Der Kaiser gedenkt an diesem Montag seinen an gekündigten Jagsausflug nach Groß-Strehlitz und Kuchelna in Oberschlesien anzutreten und hierbei auf der Hinreise das Ueberschwemmungsgebiet bei Hirschberg u. s. w. zu besichtige». Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes v. Bülow, welcher anläßlich der Beisetzung seines Bruders, des Generalmajors v. Bülow, aus Rom in Berlin eingetroffen war, hat sich am Freitag Abend nochmals nach Rom zurückbegeben, um seinen dortigen Haushalt aufzulösen und die unterbrochenen Abschiedsbesuche zu Ende zu führen. Vor seiner erneuten Abreise von Berlin hatte Herr v. -oulow längere Audienz beim Kaiser im Neuen Palais zu Potsdam, sowie eine Unterredung mit dem Neichs- kanzler Fürsten Hohenlohe im Auswärtigen Amte. Als muthmaßücher Tag des Zusammentrittes des Reichstages wird jetzt in der „Nat. Ztg." der 30. Nov. bezeichnet. — Dem Bundesrathe sind die Gesetzentwürfe, betr. die Abänderungen des Gerichtsverfaffnngsgesetzes, der Strasprozeßordnuug und der Zivilprozeßordnung, zu gegangen. Der Bundesrath hat in seiner gewöhnlichen Wochen plenarsitzung vom 4. d. M., wie von offiziöser Berliner Seite gemeldet wird, Ausschußanträgen in verschiedenen Fragen von keinem allgemeineren Interesse zugestimmt. Daneben sind Beschlüsse über einen dem Kaiser zu unter breitenden Vorschlag wegen Neubesetzung der Stelle eines Vortragenden Rathes beim Rechnungshöfe und über eine Reihe von Eingaben gefaßt worden. Nach einer privaten Nachricht wäre aber in der gedachten Bundesrathssitzung auch der Entwurf der neuen Militärstrafprozeßord nung in zweistündiger Debatte berathen und schließlich in der vom Ausschüsse beantragten Fassung mit großer Mehr heit angenommen worden, wobei die Frage des bayerischen Reservatrechts (eigener oberster Militärgerichtshof) noch offen geblieben fein soll. Von diesem angeblichen wichtigen Beschlusse des Bundesrathes sagt die erwähnte offiziöse Meldung allerdings nichts, sollte die Sache aber doch ihre Richtigkeit haben, so wäre dies nur mit hoher Genug- thnung zu begrüßen, die endliche Erledigung der Vorlage über die Militärstrafprozeßreform im Bundesrathe wäre ein entschiedener Schritt nach vorwärts in dieser bedeutsamen Frage. Der Marinestaatssekretär Tirpitz wurde am Sonnabend in München vom Prinz-Regenten Luitpold und am Sonn tag in Darmstadt vom Großherzog von Hessen empfangen. Hiermit hat Herr Tirpitz seine „Antrittsbesuche" an den größeren deutschen Höfen beendigt. Der neue General-Postmeister räumt kräftig unter dem im Postwesen herrschenden Bureaukratismus auf: Ein Gewerbetreibender in Stolp bat um Telephon anschluß, erhielt aber die Antwort, daß er diese Bitte vor vier Monaten hätte stellen sollen, jetzt könne der Anschluß erst am 1. April nächsten Jahres erfolgen. Kurz ent schlossen wandte sich der Gewerbetreibende an Podbielski und dieser verfügte, daß der Anschluß sofort zu erfolgen hätte, und Tags darauf wurden die Abeiten in Angriff genommen. Ein hochbedeutsamer Schritt zur Schaffung einer Gesammtorganisation der Arbeitgeber im Sinne der jüngsten kaiserlichen Aeußerungen ist von einer Reihe nam hafter Industrieller gethan worden. Nach lang andauern den Vorbereitungen ist zu Berlin unter dem Namen „Jndustria" eine Versicherungsgesellschaft ins Leben gerufen worden, welche zum Ziele hat, die Arbeitgeber gegen Ver luste durch Arbeitseinstellungen schadlos zu halten, und auf der anderen Seite hierdurch die arbeitswilligen Arbeiter gegen den terroristrenden Einfluß der streikenden Genossen zu schützen. Der notarielle Gründungsakt ist am 28. Okt. d. I. unter Annahme der Statuten geschehen. Dos Aktien kapital ist vorläufig auf fünf Millionen Mark festgesetzt. An der Spitze des Unternehmens stehen u. A. die Herren Kgl. Kommerzienrath Hermann Wirth-Berlin (in Firma Poppe k Wirth), Fabrikbesitzer N. v. Dreyse-Sömmerda. Fabrikdirektor Ludwig Keyling-Berlin (Eisengießerei A.-G. Keyling L Thomas), Fabrikbesitzer Eugen Grimm (i. F, Sperling L Herzog), Leipzig, Handelsrichter A. Thieme, Leipzig, Fabrikbesitzer O. Weigert-Berlin, Versicherungs direktor Küp-Berlin, Fabrikdirekter Goepfert-Wurzen (Sächsische Bronzewaaren-Fabrik, A.-G.), Fabrikbesitzer Ernst Otto-Berlin (i. F. Ferd. Ziegler L Co.) und Rechts anwalt Dr. Lubszynski-Berlin. Wie wir hören, werden in den nächsten Tagen die Aktien in interefsirten Kreisen zur Zeichnung aufgelegt werde». Da in den Versicherungs bedingungen auf Vorschlag der preußischen Regierung Vorsorge getroffen ist, daß solche Streiks nicht unter die Versicherungspflicht fallen, welche von den Arbeitgebern unberechtigterweise provozirt worden sind, so darf man wohl annehmen, daß mit diesem Werke die Grundlage für einen gerechten Ausgleich der Interessen von Arbeit gebern und Arbeitnehmern auf friedlichem Wege geschaffen ist. Anfragen sind zu richten an die Geschäftsstelle der „Jndustria", Berlin SW, Jerusalemerstraße 7. Der Alldeutsche Verband hat seinen Plan, auf den 12. November eine Versammlung nach Berlin einzu berufen und dieselbe zu einer großen Kundgebung für die Sache des Deutschthiims in Oesterreich zu gestalten, wieder aufgegeben. Letzterer Beschluß ist auf das vom Berliner Polizeipräsidium erlassene motivirte Verbot des Auftretens der österreichischen Reichsrathsabgeordneten Wolf u. s. w. in der geplanten Versammlung hin gefaßt worden; in dem Verbot hatte das Polizeipräsidium mit der eventuellen Aus weisung der österreichischen Herren gedroht. Die betreffende deni Vorstande des Alldeutschen Verbandes gemachte Er öffnung ist direkt auf Anordnung des Ministers des Innern v. d. Recke erfolgt, der hierbei wiederum im Ein vernehmen mit dem Gesammtministerium handelte. Da Herr von der Recke am Sonnabend Vormittag vom Kaiser empfangen worden war, so hat möglicherweise der Minister dem Monarchen bei diesem Anlaß Vortrag über die genannte Angelegenheit gehalten. Ahl wardt ergeht sich wieder in neuen Beschuldig ungen gegen die Militärverwaltung. So hat er in einer Versammlung am Montag Abend in Berlin behauptet, daß gegenwärtig täglich ganze Wagenladungen zertrüm merter Loewescher Gewehre in Hörde, Westfalen, einträfen, um dort entweder zu 50 Pf. das Stück verkauft zu werden oder in den Schmelzofen zu wandern. Es fei das der beste Beweiß für seine im Judenflinten-Prozeß aufgestellten Behauptungen. — Hoffentlich wird Herr Ahlwardt diese seine offenbar wiederum aus der Luft gegriffene Behaupt ung auch im Reichstag wahr halten und dann von der Militärverwaltung eine Antwort erhalten, die an Klarheit nichts zu wünschen übrig läßt. Ahlwardt suchte in der selben Versammlung es so darzustellen, als ob der Inhaber der Chocoladenfabrik, von der seine Frau in der Nahrungs- mittel-Ausstellnng Kostproben „entnommen" hat, absichtlich auf einen Reinfall feiner Familie spekulirt habe. Die Firma habe ihm mitgetheilt, daß das vielbesprochene Packet Chocolade, welches seine Fran mitgenommen habe, aus Versehen unter die Jedermann zur Verfügung stehenden Kostproben gerathen sei. Die Mehrheit im österreichischen Abgeordneten hause hat am Freitag einen äußerlichen Sieg davonge tragen : nach einer die ganze Nacht bis zum nächsten Vor mittag währenden Sitzung ist der Abschluß der ersten Lesung des Ausgleichsprovisoriums erzwungen worden. Durch den wüstesten Lärm übertönt, sind freilich die Aus führungen zum Gegenstände der Tagesordnung für die Oeffentlichkeit ungehört verhallt; bei der Art „parlamen tarischer" Thätigkeit, wie sie sich jetzt in Oesterreich ab spielt, begnügte man sich indessen mit der Thatsache, daß zu diesem Gegenstände geredet wurde. Selbstverständlich ist aus diesem „Siege" der Mehrheit über die Obstruktion keinerlei Schluß aus das endgiltige Schicksal der Aus gleichsvorlage möglich. Es hat bei der ersten Lesung keine entscheidende Abstimmung stattgefunden, und erst wenn eine solche erfolgt ist, kann man von einer wirk lichen Besiegung der Abstraktion sprechen. Eine Ab stimmung kann aber unter derartigen Verhältnissen, wie sie in der Nachtsitzung vom Donnerstag zum Freitag sich wieder abgespielt haben, unmöglich vorgcnommen werden. Da die Erbitterung der Opposition auf das Aeußerste gesteigert ist, so lassen die eigentlich entscheidenden Sitz ungen einen Grad von Erregung erwarten, bei dem eine Erledigung der Ausgleichsvorlage einfach undenkbar ist. Für uns Reichsdeutsche ist es überaus schwierig, zu dem Kampfe unserer Stammesbrüder gegen die brutale Unter drückung durch die slawisch-klerikale Koalition unter Führ ung Badems Stellung zu nehmen. Auf welcher Seite unsere Sympathien sind, darüber ist kein Wort zu ver lieren. Es ist aber begreiflich, daß die um ihr nationales Dasein ringenden Deutschen Oesterreichs eine mehr aktive Betheiligung der Reichsdeutschen wünschen, während diese nicht mehr thun können, als das Vorgehen der derzeitigen Wiener Regierung auf das schärfste zu verurtheilen und darzuthun, wie diese Regierung die Grundlagen des österreichischen Staates untergräbt, indem sie das einigende nationale Element zu einem minderwerthigen Bestand theile des österreichischen Völkergemisches herabzudrücken sucht. In dem Zwiespalte unserer Bundestreue Oester reich gegenüber und den Empfindungen, welche der Kampf der Deutschen in uns wachrufen muß, können wir unsere Volksgenossen jenseits der Grenze nur zum Ausharren