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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Sicbcnlch» und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. 82. Freitag den 18. October 1872. Die Nathsexpedition befindet sich von heute an in dem Stadtkämmerei gebäude. Expeditionsstunden: Vormittags 9 bis 12 Uhr, Nachmittags 2 bis 4 Uhr. Wilsdruff, am 18. October 1872. Kretzschmar, Brgrmstr. Der Verstand der Thiere, fälschlich Instinkt genannt. (Schluß.) . Neben solchen mindestens ausfallenden Erscheinungen treffen wir aber m der Thierwelt — bei der einen Gattung mehr, bei der andern weniger — selbstständige Handlungen, denen wenigstens ein gewisser Grad von Ueberlegung und von Nach denken nicht abgesprochen werden kann. Der Fuchs und der Hund, das Pferd, der Elephant, der Papagei und der Kanarienvogel sind als besonders kluge Thiere be kannt und von ihnen werden manche Geschichten erzählt, die uns über ihr Geistes leben, oder wenigstens über das Vorhandensein des Denkvermögens nicht mehr zwei feln lassen können. Dasselbe ist der Fall mit dem Hunde, dessen Battie erwähnt, Welcher seinen Herrn, der in der dringendsten Lebensgefahr war, zuerst zu retten suchte, und als alle seine Anstrengungen vergeblich waren, in das nächstliegende Dorf eilte, durch sein auffälliges Benehmen endlich einen Mann veranlaßte, ihm zu folgen, und auf diese Art seinen Herrn rettete. — Die Wespe, von welcher Darwin er zählt, wurde durch ihren Instinkt angetrieben, sich einer großen Fliege zu bemächtigen. Als sie mit ihrer Beute davonflog, erhob sich ein sanfter Wind, der die Flügel der Fliege faßte und sic sammt der Wespe berumdrehte. Die Erfahrung belehrte nun die Wespe, daß sie auf diese Art ihren Zweck nicht erreichen könne. Sie entschloß sich daher, die Flügel der Fliege abzubeißen und flog nun, ungestört von dem Winde, mit ihrer Beute davon. Diese Wahl war aber schon Ausfluß des Verstandes, der in dieser außergewöhnlichen Lage das beste Mittel wählte; denn ohne den hin dernden Wind wäre ohne Zweifel die Wespe immerhin leicht mit der Fliege davon- geflogcn. Es ist bloßer Instinkt, wenn die Schwalbe ihr Nest baut, aber Wirkung des Verstandes ist es, wenn die Schwalbe einen in ihr Nest eingedrungenen Sper ling einmauert. — Durneau de la Motte, in einer Abhandlung über den Einfluß des Gezähmtseins auf die Thiere, erzählt von einem Hunde, welcher den Klopfer an der Thür benutzen wollte, als er ausgeschlossen war und von einer Angorakatze, welche jedesmal, so oft sie das Zimmer verlassen wollte, mit einem Satze auf den Drücker der Thierschnelle sprang, bis sich die Thüre öffnete. Sie wiederholte nothi- genfalls dieses Manöver, bis sie ihren Zweck erreicht hatte. Ebenderselbe Verfasser berichtet von einem klugen Hunde, welcher dazu benutzt wurde, den Briefwechsel zwischen zwei Herren zu besorgen und nie seinen Auftrag verfehlte. Zuerst gab er den Brief ab, welcher an sein Halsband befestigt war, und ging dann in die Küche, wo er etwas zu fressen bekam. Dann begab er sich an die Zimmerthüre und bellte, um dem Herrn anzuzeigen, er sei bereit, die Antwort zurückzubringcn. Ferner erzählt Frcnchs von einem Hunde, welcher seinem Herrn das Leben dadurch rettete, daß er sich unter das Bett desselben legte und dort liegen blieb, was er sonst nie zu thun gewohnt war. Nach Pluta rch sollte ein Elephant nebst anderen seines Geschlechts zu künstlichen Tänzen und Stellungen abgerichtet werden, was ihm viel saurer wurde als seinen Kameraden, weshalb er viele Scheltworte und Schläge auszuhalten hatte. Wie nun ein fleißiger Schüler die Nacht zu Hülse nimmt, so machte es auch unser Elephant und er übte sich privatim im Mondscheine, um seiner Aufgabe besser nach kommen zu können. Der Instinkt konnte diesen Elephanten höchstens ausfordern, den Schlägen zu entgehen, aber der Verstand gab ihm das zweckmäßigste Mittel dazu an die Hand- — Endlich als letztes Beispiel: als im ostindischen Aufstande (1857) gegen die Engländer Letztere ihre Feldgeschütze auf den Rücken der Elephanten trunspor- tirten und diese sich nach Abladung der Geschütze neben dieselben postirten, bemerkte ein Elephant, wie der letzte Kanonier, nachdem seine Kameraden theils getödtet, theils Verwundet am Boden lagen, im Begriff, die Lunte an sein Geschütz zu legen, nieder- geschoffen ward und die Eingebornen heranstürmten, um die von Verthcidigern ent blößte Batterie wegzunehmen. Sogleich entriß das kluge Thier mit Hülfe seines Rüssels dem todten Kanonier die Lunte und indem es diesebe auf das Zündloch hielt, das es sich genau gemerkt, geriethen die Stürmenden durch diese unverhoffte Ladung so in Bestürzung, daß sie momentan vom weiteren Sturme abstanden und die Engländer Zeit bekamen, ihre Batterie zu retten. Daß nun dieser Elephant in Zukunft bei dem englischen Heere in großem Ansehen stand, braucht wohl kaum er wähnt zu werden. Und so könnten noch manche Beispiele, die von dem Vorhanden sein eines gewissen Grades von Verstand, namentlich bei den höher ausgebildeten Säugcthieren, Zeugniß ablegen, angeführt werden. Mag es sein, daß die Natur auf uns noch räthselhaste Weise für viele Fälle das entsprechende Verhalten in die Lebensweise des Thieres hineingelegt hat, oder mag z. B. aus der Thatsache, daß ein zum ersten Male mit zur Jagd genommener Hühnerhund reiner Race durch Stehenbleiben das Wild ungelernt anzeigt, auf eine Vererbung besonderer Eigenschaften geschlossen werden: immerhin bleiben noch viele solche Fälle übrig, in denen bei besonderen Fällen eine besondere Ueberlegung erfor derlich ist. Daß ein Eisenbahnzug trotz seines Getöses nicht gefährlich ist, konnte dezmfurchtsamen Hasen nicht instinktmäßig von der Natur bcigebracht werden, da die aNenbahnen erst neuern Ursprungs sind, ebensowenig jener Lerche, welche m der Oschatzer Gegend vor mehreren Jahren ihr Nest an die Eisenbahnschiene baute, und ,, -. sie auf dem Neste saß, vor dem über sic wegrollcnden Zuge schließlich nicht mehr die Flucht ergriff, sondern nur das Köpfchen Etwas nicdcrduckte. — Der Vogel sucht den Knaben, der sich seinen im Fluge noch nicht geübten Jungen nähert, da durch zu täuschen, daß er sich flügellahm stellt, mühsam ein Stück aufflattert und sich faßt ergreifen läßt. Kaum weiß aber das verständige Thier seine Jungen in Sicherheit, so erhebt es sich über die List frohlockend pfeilschnell in die Luft. — Daß zwei Naubthiere (Vierfüßler wie Vögel) sich das Wild gegenseitig zutreiben, be ruht doch wohl auf der Ueberlegung und der Erkcnntniß von der Wirksamkeit des gemeinsamen Handelns, wie wiederum die ausgestellten Wachen der Gemsen, Mur- melthiere, Trappen, u. A. die gemeinsame Sicherheit im Auge haben. Daß endlich selbst kleinere Thiere und namentlich Spinnen und Jnsecten mit ost bewundcrns- werther Ueberlegung handeln, bedarf kaum des Nachweises, da wir bei den Bienen und Ameisen sogar Beispiele eines wohlgeordneten Staatslebens Var uns haben. Das Gefühl der eigenen Schwäche vereinigt viele Jnsecten zu gemeinsamen Handeln und nicht selten ist beobachtet worden, daß auch von solchen Korbthieren, welche für sich allein leben, gelegentlich die Hülfe des Nachbars angerufen wird. Der Lauf käfer, welcher den todten Maikäfer allein nicht fortzutragen vermag, holt 2 oder 3 andere Genossen herbei, die sich zunächst über die Richtung verständigen. Die Amei sen führen nicht blos künstliche Bauten aus, sondern sie verwenden auch, sobald ihnen besseres Baumaterial vorkommt, einen andern geeigneten Stoff. Um einen Maikäferflügel als Wand im Innern ihres Baues und für die Zeit der Noth auch als genießbare Mauer /ihres Hauses benutzen zu können, hat man die Ameisen den engen Eingang erweitern, das kostbare Beutestück hineinschaffen, im Innern aufrich ten und befestigen und die Oeffnung wieder zumauern gesehen. Nicht genug, manche Ameisen rauben aus anderen Ameiscnnestern die dort vorhandenen noch nicht ent wickelten Jungen als Larven, ziehen sie auf und lassen sich dann von ihnen, die streng bewacht werden, ernähren und bedienen. Das ist doch kaum etwas anderes, ais ein Sclavcnstaat unter den Thicren. Sticht minder benutzen die Ameisen die Blattläuse als — Milchvieh, insofern sie den süßen Saft derselben absaugen. Schlägt man an den Zweig, auf dem die Blattläuse sitzen, so tragen die Ameisen ihre her- untergcfallenen Milchkühe wieder hinauf, und wenn ein Zweig von den Blattläusen -kahl gefressen ist, so werden sie von den Ameisen auf einen andern transportirt. Auf eine andere recht lehrreiche Thatsache wurde neuerdings in der Zeitschrift „Das Ausland" aufmerksam gemacht. Ein gefürchteter Feind der Bienen ist der (bei uns ziemlich seltene) Todtenkopf-Schmetterling, dessen Pelz und Hornhaut gegen die Bienenstiche fchlltzt, so daß sich der Schmetterling den Honig ungestraft wohl- fchmecken lassen kann. In allen Ländern, wo dieser Schwärmer häufig ist, bemerkt Blanchard, pflegen die Bienen Ende Juni, sobald sich die ersten Todtenköpfe zeigen, die Oeffnung zum Bienenstöcke soweit zu verkleben, daß der dickläbige Räuber nicht eindringen kann. Sowie die Flugzeit des Todtenkopfes vorüber ist, wird die Oeff nung wieder in der alten Gröhe hergestellt. Nun lebt die Raupe dieses großen Nachtschmetterlings vorzugsweise auf dem Kartoffelkraute und ist meist erst seit der Einführung der Kartoffeln häufig geworden, so daß der Instinkt der Bienen nach dieser Richtung hin ganz moderner Natur wäre. Die Aufzählung weiterer Thatsachen, deren es noch unendlich viele giebt, ver bietet (wenigstens für diesmal) der Raum. Wer sich aber sonst die Mühe nehmen will, die Thiere in ihrem Thun und Treiben zu beobachten, dem wird sich mehr und mehr die Ueberzeugung aufdrängen, daß gewisse Functionen, vor allen Dingen Er innerung, Vergleichung und nicht selten Ueberlegung ihnen nicht abzusprechen und deshalb auf ein gewisses mehr oder weniger vorhandenes Seelenleben zu schließen ist. —n. 6l. T. Tagesgcschichte. Am 17. d. M. ereignete sich zwischen Nodewitz und Kirschau bei Schirgiswalde das Unglück, daß eilt junges Mädchen auf offener Straße plötzlich in Flammen stand. Fahrlässiges Gebühren eines Mannes, der dem Mädchen mit einer brennenden Cigarre zu nahe gekommen, soll die Veraulaßuug gewesen sein. Das Mädchen hat bedeutende Brandwunden erlitten. Die Versammlung der deutschen ornithologischen Gesellschaft, welche in diesen Tagen in Berlin stattfand, hat unter Anderm be schlossen, mit allen Kräften gegen den Handel mit Krammetsvögeln, Leipziger Lerchen rc. vorzugehcn und zn diesem Behufs bei den Ne gierungen bez. Landtagen der einzelnen deutschen Staaten um Erlaß von Verboten einzukommen. (Bravo!) Berlin, 14. October. Es steht nun fest, daß zu dem Ehejubi läum des sächsischen Königspaares der Kaiser und die Kaiserin als auch der Kronprinz sich naä) Dresden begeben werden.