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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Neffen, Ticbeulchn und die Umgegenden. Umtsölatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und de» Stadtrath daselbst. H' 27. 187«. Dienstag den 5. Mril Tagesgeschichte. . . Der König von Sachsen und noch ein anderer Bundesfürst, m °essm Lande die Todesstrafe abgeschafft ist, sollen an den König von Preußen eigenhändige Schreiben gerichtet haben, in denen sie für das Majoritätsvotum des Reichstages plaidiren. Im Jahre 1869 sind in der königlich sächsischen Münze auSge- 'Nünzt worden 1,812,153 Thalerstücke, in Sechstellhalern 104,358 Thlr., in Zweineugroschenstücken 39,920 Thlr., insgesammt 1,985,569 Thaler. In Dresden wollen die Maurer und Zimmerer die Arbeit cin- stellcn, um günstigere Lohnverhältniffe herbeizuführen. In der Schwurgerichtssitzung in Dresden am 31. März war, wie die „C. Z." berichtet, ein Mord von Interesse, dessen die un- vcrehel. Glauch aus Dittersbach angeklagt war. Dieselbe hatte am 6. Mai v. I. ihren am 26. April im Entbindungs-Institute gebore nen Knaben aus dem Wege nach Pretzschendorf, wo ihre Mutter Wohnte, im Colmnitzer Walde ausgesetzt; „er sollte entweder ver hungern oder erfrieren, es möchte werden, was da wolle." Sie faßte dm Gedanken plötzlich, weil sie das Kind als Hinderniß ihres Fort- konnuens betrachtete. Merkwürdigerweise weiß man übrigens nicht, wohin das Kind gekommen, da an dein betreffenden Orte weder Körpcrreste noch Kleidungsstücke aufgcfunden wurden. Die Geschwor- ncn nahmen deshalb auch nur vollendeten Versuch des TodtschlagS lohne Ücberlegung) an. Das Nrtheil lautete auf 6 Jahr Zuchthaus. Aus Zwickau vom 31. März schreibt man den Chemnitzer Nach richten: „Wir erleben in unserem Kohlenbezirke ein Ercigniß, welches Unsers Wissens nach noch nicht dagcwcsen ist. Während sonst mit dem I. April die Kohlenpreisc zu fallen pflegten, steigen sie dieses Jahr, eine Thatsache, die durch das vergrößerte Absatzgebiet Erklä rung findet; das letztere dehnt sich besonders nach Westen und Sü den "Deutschlands aus." In Mitteloderwitz bei Zittau wird seit dem 16. März die 36 Jahre alte Ehefrau des dortigen Gartenbesitzers Menschel vermißt. Dieselbe ist am Morgen dieses Tages mit einem Korbe voll Butter ec. nach Zittau gegangen und wird vermuthet, daß sie unterwegs er mordet, der Leichnam aber beseitigt worden ist. Auf Auffindung des Leichnams, event. auf Ermittlung des etwaigen Verbrechers, ist eine Belohnung von 50 Thlr. ausgesetzt. Nach einer Mitthcilnng des weimarischen Staatsministeriums werden die früher bereits für werthlos erklärten dortigen Kassenan weisungen von 1—5 Thlr. nunmehr noch bis zum 31. Mai d. I. bei der Hauptstaatskasse in Weimar gegen den Werthbetrag umge tauscht, dann aber endgiltig werthlos werden. Man mag sich also vor Nachtheil sichern. Berlin, 1. April. Wie in unterrichteten Kreisen verlautet, soll man aus Anlaß der vielen in letzter Zeit unterm Militär vorge kommenen Selbstmorde die Absicht haben, die in der für das nord deutsche Bundesgebiet geltenden Verordnungen über die Disciplinar- bestrafung im Heere enthaltene Bestimmung, wonach die Militärbe fehlshaber bei Disciplinarmaßregeln, durch welche ihre Untergebenen in der Selbstbestimmung beschränkt werden, nicht weiter gehen dür fen, als dies zur Sicherung der Erhaltung der Disciplin erforderlich ist, bestimmter zu fassen. So z. B. galt bisher als Disciplinarmaß- regel die Auferlegung besonderer Dienstleistungen, welche Maßregel den Disciplinar-Strafgewalt habenden Offizieren leicht zum Mißbrauch Veranlassung geben kann und gar zu gern von den Unteroffizieren, denen überhaupt keine Disciplinargewalt zusteht, angewendet wird. Diplomatische Geheimnisse müssen für viele Leute einen besonderen Reiz haben. Im Reichstage versicherte Bismark, er müsse alle Depeschen, die nicht unbefugten Leuten zu Gesicht kommen dürf ten, durch Courire befördern und zwar in neuester Zeit noch mehr als früher; es lägen warnende Excmpel vor. Mit der Post könne ins Ausland nur solche Depeschen fcnden, die nöthigenfalls Jeder mann lesen dürfe. Zum Glück kosten die Courire jetzt weniger Geld als sonst; denn sie fahren nicht mehr in Extrapost, sondern mit der Eisenbahn. Der „M. Z." schreibt ein Correspondent aus Berlin vom 30. -u arz: Fährt der Reichstag fort, in so spärlicher Anzahl wie gestern und die letztenmale Beschlüsse zu fassen, so hat diese Gleichgültigkeit "an beinahe anderthalb hundert Abgeordneten an den Berathungen und Entscheidungen des Hauses keine andre Folge als die, daß man im Volke den Reichstagsvoten kein Gewicht mehr beilegen wird. Interessant wurde die jüngste Kammersitznng in München durch die politische Jungfernrede des neuen Ministerpräsidenten Gra fen Bray. Der Pfad Bayerns, sagte er, sei (wie der der Tugend) ziemlich schmal und steil, er laufe zwischen den bindenden und aus Gegenseitigkeit beruhenden Verträgen mit Preußen und der Selbst ständigkeit des Landes. Ein Trost ist, daß Bayern im Centrum von Europa und Deutschland liege und daß jede ernste Bedrohung Bay erns Verwicklungen Hervorrufen, welche auch die größte Macht zu scheuen habe. Üebcrhaupt geht ein Kernvolk von 5 Millionen mit einer tüchtigen Armee nicht so leicht zu Grunde und dann nur mit eigenem Verschulden. Bayern selber müsse mit allen Nachbarn gute Freundschaft halten, er selber werde eine offene und ehrliche Politik verfolgen und diese haben um so weniger Schwierigkeiten als Bayern keine geheimen Veriräge, Verpflichtungen, Pläne, überhaupt keine politischen Geheimnisse habe. Was wir wollen, schloß er, darf die ganze Welt erfahren: wir wollen Deutsche aber auch Bayern sein. Die Verträge von 1866 sind der einzige Ersatz für die durch den Krieg zerrissenen Bande, sie haben nur den Zweck der Abwehr. Un sern Verbündeten muß daran gelegen sein, daß wir nicht wehrlos sind, aberUns noch vielmal mehr. Sonst sagte man: Erne Frage kostet nichts! Bei den modernen Fragen ist das leider nicht der Fall, die kosten vielmehr sehr viel. Wie viel Geld und Blut hat z. B. die orientalische Frage und in neuester Zeit die deutsche Frage gekostet, obgleich sie beide nur halb beantwortet, d. h. gelöst wurden und die andere böse Hälfte noch im Rückstand ist. Diese Fragen sind so theuer, weil sie hauptsächlich von Soldaten gelöst werden, und je schwerer die Frage ist, desto mehr Soldaten braucht man dazu, die ein ständiges Prüfungs-Colle gium bilden. Neulich sagte der Minister Ollivier in Paris: eine deutsche Frage gibt es jetzt nicht, wir haben im Innern alle Hände voll zu thum Das lautete recht tröstlich, als aber ein Abgeordneter rasch entschlossen sagte: dann wollen wir die theuere Kaiser garde und die Mobilgarde abschaffen! da fiel ihm der Kriegsminister ins Wort und sagte: unmöglich! Wir haben zwar die friedlichsten Absichten, aber unser Nachbar, der norddeutsche Bund, hat über 1 Mill. Soldaten, diesen gegenüber können wir keinen Mann entbeh ren, wir haben ohnehin ihnen nur etwa 800,000 entgcgenzustellen u. s. w. — So macht die Abrüstung immer den alten Kreislauf durch, Keiner will anfangen abznrüsten und Jeder beruft sich auf den bösen Nachbar. Im Concil in Rom mag oft die christliche Liebe ganz eigcn- thümlich zum Durchbruch kommen. Eine heftige Scene hat wieder in der Concilssitzung am 22. März stattgefunden. ES handelte sich um die Verirrungen, zu welchem der Protestantismus Veran lassung gegeben habe, namentlich um die naturalistische Richtung, welche durch denselbenhervorgerufensei. Bischof Stroßmayer aus Kroatien, eines der freisinnigsten Mitglieder des Concils und Gegen stand fortdauernder Anfechtungen der Jesuiten, suchte den Protestan tismus gegen die Behauptung in Schutz zu nehmen, daß alle Pro testanten, Atheisten, Pantheisten und Materialisten seien; viele unter ihnen hielten fest am Glauben einer übernatürlichen Offenbarung, und irrten jedenfalls nur „im guten Glauben" (bona tiäo). Dann wies er darauf hin, daß die Beschlüsse nicht mit bloßer Stimmen- Majorität, sondern mit „moralischer Einstimmigkeit" gefaßt werden müssen. Schon vorher war er oft unterbrochen worden; nun aber riß man ihn beinahe von der Tribüne. „Ketzer! Protestant! Ver- l dämmt ihn! Herunter von dem Rednerstuhl!" ertönte es von allen Seiten und Stroßmayer verließ die Tribüne mit den wiederholten Worten: „Ich protestire!" Strohmayers Leibhusar, der in einem Nebcnraume wartete und die erregte Stimme seines Herrn hörte, wollte mit dem Säbel in der Hand in die Aula cindringen. Es wird nun bald ein Vicrteljahrhundert, daß jene sonderbaren „Heiligen," die Mormonen, ans ihrer Siedelung Nauvoo in Illinois verdrängt wurden und ihre Zelte in dcr damaligen Einöde am Gro ßen Salzsee anfschlugen. Jetzt scheint sie auch dort der lange Arm der Unionsregicrung erreichen zu sollen. Schon ist ein Zug geschehen, um ihnen auch in ihrem fernen Winkel Schach zu bieten. Denn ans Washington meldet das transatlantische Kabel: „Das Repräsentan-