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Die „Vttendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich , Mark. Durch die j)ost bezogen 1,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme von Inseraten bis vormittag io Uhr. Inserate werden mit w Pf. für die Spaltzeile berechnet Tabellarischer Satz nach be sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühls in Groß-Okrilla. Mr die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Okrilla. Nr. 152. Mittwoch, den 21. Dezember 1904. 3. Jahrgang. Oertliches und Sächsisches. Vttendorf-Vkrilla, 20. Dezember lyoq. — Auch in den neuesten Verzeichnisse der bei dem Reichstage eingegangenen Petitionen ist Sachsen recht zahlreich vertreten. Der Verband Sächsischer Bäcker-Innungen Saxonia in Dresden bittet u. a. um Aenderung des Kinderschutzgesetzes. Die Beseitigung des Sonntagsdienstes in den Standesamts verwaltungen strebt Arthur Adam, Standes beamter in Dresden, im Auftrage der deutschen Standesbeamten an, Beschränkung der Sanntagsarbeit in den Kontoren des Groß handels der Verband deutscher tzandluugs- gehilfen in Leipzig, der überdies noch um Ein richtung von Handelsinspektionen nach Art der Gewerbeinspektionen bittet. Eine Broschüre über Aenderungen der Zivilprozeßordnung in betreff des Rechtmittcls der Revision überreicht Jusiizrat Beyens, Rechtsanwalt beim Reichs gericht. — Der Landwirtschaftliche Kreisverein Leipzig hatte an das Königliche Finanzministerium eine Eingabe gerichtet, in der darum gebeten wurde, die ermäßigten Fuitertarife auch auf die Kartoffen auszudehnen, die für Brennerei und Wirtschaftszwecke in der Landwirtschaft ver wendet werden. Das Kgl. Finanzministerium hat diese Eingabe nach Gehör des Landes kulturrates abschläglich beschieden, weil die Kontrolle darüber fehle, ob die Kartoffeln auch wirklich den gedachten Zwecken zugeführt werden. — Die Eibe dehnt sich uun wieder ufervoll in ihrer ganzen majestätischen Breite aus. Für die Schifferbevölkerung find die gegenwärtigen Wasser- und Wetterverhältnisse die denkbar besten. Bei voller Ladung geht die Fahrt talwärts flott von statten, und so läßt sich noch so manche Scharte auswetzen, die der Sommer mit seinem Wassermangel geschlagen. Auch ein Einwintern der Elbe ist bet den niedrigen Temperaturverhültniffen nicht gleich zu erwarten. Weixdorf. Am Freitag abend verstarb kni ihrem Enkel Herrn Bauunternehmer Felchner in dem als Sommerfrische bekannten Orte Weixdorf die Lehrerswitwe Frau Bölhig. Sie ist am 14. Januar 1805 geboren, hätte also in ganz kurzer Zeit ihr 100. Lebensjahr vollendet. Sie war Urgroßmutter und fühlte sich trotz ihres ungewöhnlich hohen Alters ver hältnismäßig geistig und leiblich frisch. Wilschdorf. Montag fand die Einweisung des neuen PfarerS, des Herrn Predigt amtskandidaten Maximilian Bauer, bisherigen wiffentschastlichen Lehrers an dem Real gymnasium zu Chemnitz, durch Herrn Superintendent Kaiser aus Radeberg statt- Dresden. Polizeilich aufgelöst wurde eine Versammlung des hiesigen anarchistischen Lese klubs Liberlö im Volkshause. Der Klub ver anstaltete einen Heinrich-Hemc-Abend, während besten Verlauf der überwachende Beamte sich veranlaßt sah, einem Vortragenden das Wort zu entziehen. Gegen diese Maßnahme protestierten die übrigen Teilnehmer, worauf die Auflösung der Versammlung erfolgte. Weinböhla. Hier ist in den jungen Fichten- bestande mehreren Besitzern vor einigen Tagen ein ganz bedeutender Schaden durch Lhristbaum- diebe verursacht worden. Die Diebe haben U- a. im Walde eines Gewerbetreibenden nicht weniger als 235 Gipfel von den besten jungen Fichten abgesagt. Auch in den fiskalischen Waldungen sind mehrere derartige Frevel ent deckt worden. Der Distrikts-Gendarmerie ist bereits gelungen, einige Diebe, Frauen aus den umliegenden Ortschaften zu ermitteln. Schwepnitz. Am Sonnabend verunglückte das Söhnchen des Wütschaftsbesitzers Reinhold Kölsche dadurch, daß es durch die Sprossen eines im Gange befindlichen Leiterwagens stürzte und ihm das Hinderrad des Wagens über den Hals ging. Tas Kind war an scheinend schwer verletzt und mußte sofort in ärztliche Behandlung gegeben werden. Der Kleine wollte mit seinem Vater in den Wald fahren. Pulsnitz. Die sieben Opfer des Ober- steinaer Schreckensnacht wurden am Montag nachmittag ^/,4 Uhr aus dem hiesigen Fried- Hofe bestattet. Die auf so tragische und grau same Weise um ihr Leben gekommenen Glieder der Freudenbergschen und Thomschkeschen Familien wurden in sechs Särgen in ein großes gemeinschaftliches Grab gebettet. Mehr als tausend Personen waren Zeuge dieses Mastenbegräbnisses. Pirna. Die Verhandlungen wegen der Erbauung einer neuen großen Artilleriekaserne in Pirna sind nunmehr zum Abschluß ge kommen. Auf Wunsch der Milüärbehörde soll die Kaserne gleich der schon vorhaudenen Reichska,erne in Ziegelrohbau ausgeführt werden, Großhennersdorf. Im 3. ländlichen Wahlkreis ist für die nächsten Landtagswahlen vom Bunde der Landwirte in dem Gutspächter Domsch in Großhennersdorf ein Kanditat aus gestellt worden. Diese agrarische Kandidatur richtet sich gegen den Geheimen Kommerzienrat Preibisch-Reichenau, den langjährigen national liberalen Landtagsabgeordneten für den 3. ländlichen Wahlkreis, der die Amtsgerichts- bezirke Herrnhut, Reichenau und Ostritz umfaßt. Neugersdorf Von der hiesigen Gen darmerie wurde ein raffiniertes Verbrecher paar, ein junges Mädchen mit ihrem Lieb haber, verhaftet und in das Amtsgericht Ebersbach eingeliefert. Die beiden hatten sich aus einem Dresdner Goldwarengeschäü wertvolle Ketten zur Ansicht und Auswahl senden lasten und diese Sachen samt und sonders verpfändet. Das Dresdner Geschäft soll dadurch um etwa 500 Mark betrogen worden sein. Die Betrüger sind eine stellen lose Kellnerin und ein 34 Jahre alter Maler, beide aus Görlitz. Großenhain. Bei der Freitag abend abgehaltenen Bürgermeisterwahl wurde Stadtrat Hotop in Döbeln mit 20 von 24 abgegebenen Stimmen gewählt. Er stand mit Bürger meister Rudolph in Zschopau von 38 Be werbern zur engeren Wahl. Der neue Großenhainer Bürgermeister ist 1874 als Sohn eines Arztes in Geising geboren. Er ist seit zwei Jahren Stadtrat in Döbeln, vorher war er zwei Jahre juristischer Hilfsarbeiter des Stadtrats zu Zittau. Sein Amtsantritt erfolgt am 1. April 1905, mit welchem Tage Bürgermeister Hermann in den Ruhestand tritt. Elsterwerda. Der Häusler Traugott Walther aus Gorden wurde im Jahre 1902 von der Torgauer Strafkammer wegen Sittlichkeitsverbrechens zu 1 Jahr 3 Monate Gefängnis verurteilt. Diese Strafe hat er ver büßt. Walther strengte jedoch später das Wiederaufnahmeverfahren an und wurde in diesem am Mittwoch freigesprochen. Chemnitz. Das bekannte spiritische Medium Anna Rothe ist am Freitag in Berlin gestorben — Ein Barbier- und Friseur streik droht hier auszubrechen. Zweck der Bewegung ist die Abschaffung von Mißständen und Erhöhung des Lohnes. Es haben bereits einige Ver sammlungen der Gehilfen stattgefunden, neuerdings hielten Meister und Gehilfen gemeinsam eine Sitzung ab, in der auch der Jnnungsobermeister Heller schien. Herr Heller wies viele Angriffe gegen die Innung zurück, erkannte jedoch an, daß verschiedene Mißstände beseitigt werden mußten. Allzuhoch dürften jedoch die Gehilfen ihre Forderungen nicht stellen, da sonst die Bedienungpreise erhöht werden müßten. Anfangs verlief die Ver sammlung ruhig, später jedoch wurde sie derart lebhaft, daß der überwachende Beamte sich dazu gezwungen sah, die Versammlung aufzulösen. Grimma. In der vielerörterten Angelegenheit der geplanten Errichtung eines Truppen übungsplatzes des 19 (2. K. S.) Armeekorps bei Torgau-Belgern wird den „Gr. N " von hiesigen Grundstücksbesitzern mitgeteilt, daß der hohe Preis, den der Erwerb des Grund und Bodens in der Grimmaer Gegend angeblich erfordert, nicht auf Forderungen der Grund stücksbesitzer beruhen könne, denn diese seien, von einzelnen Ausnahmen vielleicht abgesehen, überhaupt garnicht gefragt worden, sondern der Preis sei nur im Wege der Schätzung fest- gestellt worden. Wenn man mit den Grund stücksbesitzern direkt verhandeln würde, so sei ein günstigeres Ergebnis nicht ausgeschlossen. Namentlich wenn auch der Forstfiskus mit dem Preise entgegenkomme, werde es noch möglich sein, den Uebungsplatz und damit jährlich Hunderttausende dem Lande zu erhalten und einen Zustand zu vermeiden, der vielen Sacksvn ein ständiges Gefühl des Unbehagens bereiten würde. Leipzig. Die ärztlichen Bezirksveretne Leipzig-Stadt und Leipzig-Land hatten be kanntlich die früheren Distriktsärzte der Orts krankenkasse, weil diese sich in den Dienst des ärztlichen Sanitätsvereins gestellt hatten, zu je 600 M. respektive 1500 M. Geldstrafe und mehrjährigem Wahlrechtsverlust verurteilt. Der Ehreiigsrichttzhof als Berufungsinstanz Hot jetzt die Geldstrafe auf je 300 M. herab gemindert, nur der Vorstand des Vereins der festbesoldeten Krankenkassenärzte wurde wieder zu 600 M. Geldstrafe verurteilt. Mockau. In der Parthe fand man den Leichnam eines jungen Mannes der anscheinend schon seit längerer Zeit im Wasser geh gen hat. Der Leichnam ward behördlich aufgehoben. Tie Hände uud Füße des Toten sind zu sammengebunden, so daß angenommen werden muß, daß ein Verbrechen vorliegt. Die Kgl. Staatsanwaltschaft in Leipzig hat die Unter suchung sofort eingeleitet. Der Entseelte ist uugefähr 17 bis 20 Jahre alt. Schneeberg. Die hiesigen städtischen Kollegien haben für nächstes Jahr den Bau eines Neuen Stadtkrankenhauses beschlossen. Das jetzige Krankenhaus soll für die Zwecke des Hospitals zur Verfügung gestellt werden. Tie Stadtvertretung beschloß auch die Ein führung einer Umsatzsteuer. Reichenbach i. V. Der von hier stammende „Gelegenheitsarbeiter" Gustav Louis Mühlfriedel verübte auf seine 38 jährige von ihm getrennt lebende Ehefrau ein Attentat mittels Schwefelsäure. Aus einem Blechkruge schleuderte er ihr die ätzende Flüssigkeit ins Gesicht. Dann ergriff er die Flucht, während die Frau mit einem gellenden Schrei zu Boden sank- Leider ist wenig Hoffnung vorhanden, der Frau das Augenlicht zu retten. Der Täter konnte bis zur Stunde noch nicht er griffen werden. Plauen i. V. Der Kellner Klemmer aus Plauen stach seine Wirtin, die Ehefrau Schmidt in Hamburg ohne Grund mit einem großen Scklachtmefser ins Genick und gab so dann einen Rsvolverschuß auf die Frau ab, ohne diese jedoch zu treffen. Hierauf richtete er die Waffe gegen sich selbst und verletzte sich lebensgefährlich. Offenbar ist Klemmer plötzlich irrsinnig geworden. Nus der Woche. Das W.sihnachtsfest ist nahe herangerückt und dis Parlamente sind in die Ferien ge gangen. Der russische Kalender geht be kanntlich vierzehn Tage nach und die frohe Engelsbotschaft „Friede auf Erden" verhallt in Ostasien erst in unserer ersten Januarwoche. Die Japaner aber sind Heiden durch und durch und feiern kein Weihnachtsfest. Als England gegen die Buren focht, schickte Königin Viktoria jeden ihrer Soldaten eine Tafel Schokolade und eine Tabakspfeife. Wollte man ähnliches in Rußland wiederholen, so hätte man auf einen argen Mißerfolg zu rechnen. Ehe diese Dinge von Europa bis nach dem fernen Osten kommen, sind sie verschwunden; überall bleibt etwas kleben. Die unerhörten Vorkomnifse beim „Roten Kreuz" in Rußland, bei denen Millionen spurlos verschwanden, zeigten die Richtigkeit des oben Behaupteten. Aus dem gleichen Grunde kann auch in Rußland keine Verfassung, keine Volksvertretung und keine Staatskontrolle eingeführt werden. Da nähme ja der Skandal im heiligen Rußland kein Ende und das Land wäre nicht reich genug um ge nügend Gefängnisse für die Defraudanten zu bauen. Rußland ist das klassische Land der Unterschlagungen, Bestechungen und Durch stechereien. Ihm am nächsten scheint Spanien zu kommen, das Land der Kazikenwirlschaft. Ein Kazike ist dort ein Mann, etwa wie der Zar, nur nicht für ein so weites Gebiet. Ein Kazike ist kein offizieller Mensch, trotzdem herrscht er in seinem Gebiete unumschränkt; alle Beamten, selbst die Richter gehorchen im blind lings. Zuweilen steht sogar das Militär unter seinem Machtbefehl. Ec veranlaßt oder be einflußt die richterlichen Urteile; Recht ist, was ihm nützt. Samsez Guerra, der kürzlich zurückgetretene Minister des Innern, war auch ein solcher Kazike. Man hat im aber die Maske vom Gesicht gerissen und er ist zurück getreten. In seinen Fall aber hat er das Ministerium Maura mitverwickelt. Der arme junge König würde indessen sehr viel einfluß reiche Freunde verlieren, wenn er der Wirtschaft der Kaziken entgegenträie. Diese Sorte hat starken Korpsgeist und man kann sich zwar an der ungeheuren politischen Korruption Spaniens die Hände besndeln, aber so leicht nichts bessern. Der Hydra wachsen jeden ab geschlagenen Kopfe zehn andre nach. — Schmutz, Schmutz und abermals Schmutz ist auch die Signatur der französischen inneren Politik. Seit sechs Wochen stand dort Syveton im Mittelpunkt des politischen JuteeffeS. Seine Ohrfeigen haben den Kriegsminister Andrö von seinem Sessel verjagt und Syveton wurde von den Nationalisten wie ein besonderer Heros vergöttert. Dann starb Syvetou ganz plötzlich — einen Tag vor derProzeßverhandlung gegen ihn. Natürlich hatte ihn die Regierung ermordet; einer ihrer Agent-n zweifellos hatte den Gummischlauch undicht gemacht, der dem Ofen das Heizgas zuführte. Der große Mann starb wie Emile Zola an Luftvergiftung. Die Nationalisten erhoben sich wie ein Mann gegen die verruchten Mörder und schworen Rache. Im Handumdrehen war eine erkleckliche Summe zu einem Denkmal für den „Ermordeten" ge sammelt. Plötzlich ist man ganz still geworden I Mit erdrückender Beweiskraft wurde festgsstellt, das Syveton ein Elender war, der zwischen, Tod und Schande gestellt, den ersteren gewählt hatte. Frankreich hat einen schrecklicher Hans wurst weniger, aber es kann diesen Verlust er tragen, denn es hat immer noch genug. — Im ungarischen Parlament hat es im Laufe der Woche einen großen Krach gegeben. In durchaus nicht einwandsfreter Weise war eine neue Geschäftsordnung erlassen worden, die der Opposition einen Maulkorb vorband. Die Antwort war, daß die Opposition die Ein richtung des Hauses demolierte. Es ist das ein politisches Mittel von hier zum erstenmal erprobter Brauchbarkeit; es hat die Probe auch teilweise bestanden, denn Herr v. Perczell der Vorsitzende, hat es plötzlich milden „GesundheitS- rüchsichten" begonnen, die selbst den Politiker von festester Konstitution recht verhängnisvoll werden. — Vom Kriege ist nicht viel zu sagen: die russische Port Arthur-Flotte darf als gänzlich vernichtet gelten und Admiral Togo hat nun die Hände frei, um sich zum Empfang der baltisch-russischen Flotte zu rüsten. Deren Kommandeur und seine Offiziere werden Gelegenheit bekommen, wirkliche japanische Torpedoboote kennen zu lernen, deren Kriegs brauchbarkeit der englischen Heringslugger er heblich überlegen sein soll.