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MM««ilsk«!! Tharandt, Motten, Siebentehn und die Mmgegenden. Amtsblatt für die Agl. Amlshauptmannschaft Meißen, für das Agl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruffs sowie für das Agl. Forstrentamt zu Tharandt. Lokalblatt für Wilsdruff, Alttanneberg, Birkenhain, Blankenstein, Braunsdorf, Burkhardtswalde, Groitzsch, Grumbach, Grund bei Mohorn, Helbigsdorf, Herzogswalde mit Landberg, Hühndorf, Kaufbach, Kesselsdorf, Kleinschönberg, Klipphausen, Lampersdorf, Limbach, Lotzen, Mohorn, Miltitz-Roitzschen, Munzig, Neukirchen, Neutanneberg, Niederwartha, Oberhermsdorf, Bohre dorf, Röhrsdorf bei Wilsdruff, Roitzsch, Rothschönberg mit Perne, Sachsdorf, Schmiedewalde, Sora, Steinbach bei Kesselsdorf, Steinbach bei Mohorn, Seeligstadt, Spechtshauscn, Taubenheim, Unkersdorf, Weistropp, Wildberg. Erscheint wöchentlich dreimal und zwar Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. — Bezugspreis vierteljährlich 1Mk. 30 Pf., durch die Post bezogen 1Mk.54 Pf. Inserate werden Montags, Mittwochs und Freitags bis spätestens Mittags 12 Uhr angenommen. — Jnsertionspreis 15 Pfg. pro viergespaltene Lorpuszeile. Dnick und Verlag von Martin Berger in Wilsdruff. — Verantwortlich sür die Redaktion Martin Berger daselbst. No 123. Sonnabend, den 23. Oktober 1M2. 61. Jahrg« politische Rundschau. Der Kaiser, der am heutigen Freitag zur Jagd riach Blankenburg am Harz führt, hört« am Donnerstag im Neuen Palais bei Potsdam militärische Vorträge, worauf er den Kommandeur der Schutztruppe von Kamerun Oberst Pawel empfing. Abends fand ein Tanzfest bei . Len Majestäten statt. Tags vorher war der Geburtstag der Kaiserin gefeiert worden. — Zum Besuche des Kaiser- Vaares trifft der Kronprinz von Dänemark im Laufe der kommenden Woche in Potsdam ein. — Dem von Berlin scheidenden dänischen Gesandten v. Bind verlieh der Kaiser das Großkreuz des Rothen Adlerordens. — Es bieß, der Kaiser werde bei seinem bevorstehenden Besuch in England ein sein Dragonerregiment, das vor wenigen Wochen aas -Südafrika zurückkehrte, Küegsmedaillen vertheileu. In Wirklichkeit besteht diese Absicht nicht- Die große Redeschlacht im Reichstage über die neuen Zölle ist zwar noch im vollsten Gange und wird voraussichtlich auch noch längere Zeit andauern, aber doch steht der Sieger in ihr schon jetzt fest. Es ist dies die Zolltarifkommission, deren Beschlüsse zunächst betreffs der Zölle für Roggen und Weizen — des eigentlichen Kern- vunktcs der gesammtcn Vorlage — am Dienstag vom Reichstag mit einer durchschnittlichen Mehrheit von «twa 45 Stimmen genehmigt worden find. Inzwischen dürften zur Stunde im weiteren Verlaufe der Zolltarif debatte auch die Zölle für Gerste und Hafer in der Kom- rnissionsfassung die Zustimmung der Mehrheit des Hauses erhalten haben, und auch hinsichtlich der Vieh- und Fleisch zölle gilt es als gewiß, daß sie nach den Commissions anträgen die Genehmigung des Plenums finden werden. Demnach wäre die Zolltarifvorlage der verbündeten Re gierungen bereits in ihrem Haupttheile als vorläufig ge scheitert zu betrachten, indessen scheint es nicht, als ob man regierungsseitig aus dieser parlamentarischen Niederlage irgendwelche Consrqueuzen ziehen wolle. Von verschiedenen weiten wird übereinstimmend versichert, daß die verbündeten Regierungen nicht daran denken, auf eine Weiterderathung der Tarifvorlage zu verzichten, daß sie dieselbe also nicht zurückzuziehen beabsichtigen, ebensowenig scheinen sie eine Auflösung des Reichstages ernstlich zu erwägen. Auch die Mehrheitsparteien sollen entschlossen sein, die begonnene zweite Lesung des Tarifs vollständig zu Ende zu führen, trotz der nochmaligen offiziellen Erklärung des Reichs kanzlers, daß die verbündeten Regierungen an ihren Zoll sätzen unbedingt fcsthalten müßten. Eine solche Weiter führung der parlamentarischen Erörterung der Zolltarif. Vorlage könnte aber doch dann nur einen praktischen Zweck haben, wenn die Mehrheitsparteien auch jetzt noch auf eine Verständigung mit der Reichsregierung rechneten, welche Verständigung indessen angesichts der consequent ablehnenden Haltung der Regierung gegenüber den Commissionsbe schlüssen doch nur durch ein nachträgliches Eingehen der gegenwärtigen Reichstagsmehrheit auf die Auffassung der Regierungsseite zu ermöglichen wäre; einstweilen freilich muß eine derartige Schwenkung der Mehrheit als höchst fraglich bezeichnet werden. Der Reichstag trat am Mittwoch nach Erledigung des von den Roggen- und Weizenzöllen handelnden Theiles des Zolltarifgesetzes im Sinne der Kommissionsanträge in die Berathung der Mindestzölle für Gerste und Hafer ein. Da dies die 200. Plenarsitzung des Reichs tages war, so prangte der Präsidialsitz im Schmucke eines Blumenarrangements, der Präsident Graf Ballestrem wies, indem er diesen Blumenschmuck Hervorbob, in humoristischer Wendung darauf hin, wie trotz des Spätherbstes noch so prächtige Blumen gediehen seien und knüpfte hieran mit deutlicher Anspielung auf den Zolltarif den Wunsch, daß auch der Spätherbst der Reichstagssession noch gute und segensreiche Früchte zeitigen möge. — Die Regierungsvor lage setzt als Mindestzoll für Gerste 3 M. (bisher 2 M), für Hafer 5 M. (bisher 2,80 M.) fest, die Kommissions beschlüsse lauten auf 5,50 M. für beide Getreidcartcn, Abg. Dr. Heim (bsyr. Ctr.) beantragt 6 M. für dieselben, referenten Abgeordneten Graf Schwerin und Speck ein- geleitet, worauf zunächst der Sozialdemokrat Südekum als Redner folgte, er befürwortete im Sinne des sozialdemo kratischen Antrages die gänzliche Zollfreiheit der Gerste. Dann sprach der Reichsparteiler v. Kardorff, er trat für die Kommisstonsbeschlüsie ein, wobei er das Lächerliche der sozialdemokratischen Forderung völliger Zollfreiheit be leuchtete, im klebrigen aber gegen die Haltung des Reichs kanzlers polemisirte. In theilweise satirisch-humoristisch gehaltenen Redewendungen griff hierauf der freisinnige Abgeordnete Dr. Müller-Meiningen hauptsächlich den vom Abgeordneten Dr. Heim beantragten 6 Mark-Zoll für Gerste an, wobei er namentlich die einschlägigen bayerischen Verhältnisse erörterte. Der Nationalliberale Dr. Hieber empfahl die Regierungssätze, der bayerische Bauernbündler Gilpert stimmte in erster Linie dem Anträge Heim zu, der wild-liberale Abgeordnete Rösicke-Dessau wies vom Standpunkte des erfahrenen Fachmannes das Bedenkliche einer Erhöhung des Gerstenzollcs nach, auch Abg.Gothein von der freisinnigen Vereinigung wandte sich mit Entschieden heit gegen jede Erhöhung des Gerstenzolles, während der bayerische Centrumsabgeordnete Gerstenberger lebhaft den 6 Mark-Zoll-Antrag seines Fraktionsgenossen und Lands mannes Dr. Heim vertheidigte und besonders gegen den Abgeordneten Dr. Müller-Meiningen wegen dessen Aus führungen zum Gerstenzoll loszog^ Von der Regierungs seite ergriff lediglich der bayerische Ministerialdirektor v. Geiger das Wort und zwar, um wiederholt darzulegen, daß die bayerische Regierung mit dem Gerstenzollsatz des Entwurfes einverstanden sei. Donnerstag Mittag 1 Uhr wurde diese Debatte fortgesetzt. In derselben wies Abg. Franken (ntl.) eine Behauptung zurück, die Industrie nehme keine Rücksicht auf die Landwirthschaft. Seine Freunde würden alle in der Regierungsvorlage enthaltenen land- wirthschaftlichen Zölle bewilligen, aber allerdings nicht einen Pfennig mehr. Abg. Lucke (Bd. d. Laudw.) meinte, wenn es der Linken glücken sollte, den Freihandel durch zusetzen, dann werde nach 3 Jahren keiner von ihr mehr im Reichstage sein. (Lachen links.) Das Verhalten der Regierung werde in bäuerlichen Kreisen nicht verstanden. Redner hoffte doch noch auf ein Entgegenkommen der Re gierung. Abg. Echinger (Ctr.) befürwortete den Antrag Heim, also 6 Mk. Zoll. Abg. Stolle (Soz.) bestritt, daß eine wirkliche Nothlage der Landwirthschaft bestehe. Die Vorlage sei, soweit die Regierung in Betracht komme, zweifellos auch durch finanzielle Beweggründe veranlaßt, denn sie brauche wieder Geld für Heer und Flotte. Nach einer Rede des Abg. Heim (Ctr.) kam es zu Abstimm ungen. Ein Schlußantrag wurde mit 209 gegen 104 Stimmen angenommen, der Antrag Heim mit 242 gegen 83 Stimmen abgelehnt, der Antrag der Kommission (MindJtzoll von 5'/z Mark auf Gerste) mit 183 gegen 133 Stimmen genehmigt, desgleichen der Kommissions antrag 5^2 Mk. Mindestzoll für Hafer, und zwar dieser mit 180 gegen 139 Stimmen. Weiterderathung Freitag. In den Differenzen zwischen Deutschland und Amerika wegen Samoas hat König Oskar von Schweden als Schiedsrichter zu Gunsten der deutschen Ansprüche entschieden. In Frankreich steht der Bergarbeiterstreik fort- dauernd im Mittelpunkt der öffentlichen Angelegenheiten. In den anderen Arbeiterkategorien des Landes wächst die Neigung, ihrerseits durch Arbeitseinstellungen den Streik der Bergleute zu unterstützen, namentlich beginnen zu diesem Zweck die Hafenarbeiter vielfach zu streiken. In Dünkirchen haben die ausständigen Hafenarbeiter be reits ziemlich ernste Ausschreitungen verübt; auch Ge- waltthätigkeiten seitens der feiernden Bergleute werden immer wieder gemeldet. In der Deputirtenkammer ist eine große Debatte über den Bergarbeiterstreik im Gange. — Das Gerücht von einem beabsichtigten Mordanschlag eines angeblichen gefährlichen Anarchisten gegen den Präsidenten Loubet bestätigt sich nicht; der von der die Sozialdemokraten beantragen wiederum Zollfreiheit. I Pariser Polizei unter diesem Verdacht im Garten des Die Debatte wurde durch die Berichte der Kommisstons-! Elysäepalastes Verhaftete ist ein aus dem Hospital ent lassener Geistesgestörter. -- Die radikale Regierung des Herrn Combes scheint mit vollen Segeln auf einen wirk ¬ lichen „Kulturkampf" lossteuern zu wollen, wenigstens heißt es, sie gedenke die 72 Mitglieder des französischen Episkopats, welche das gemeinsame Protestschreiben betreffs der antiklerikalen Politik der Regierung unterzeichnet haben, vor den Staatsrath zu stellen. Die drei Boerengeneralesind nochmals inLondon eingetroffen, doch heißt es, eine abermalige Unterredung zwischen ihnen und dem Kolonialminister Chamberlain sei ausgeschlossen. Dewet reist von London aus direkt nach Südafrika wegen seiner häuslichen Angelegenheiten zurück. Im Somaliland (Ostafrika) geht es den Eng ländern in ihrem Kriege mit dem „verrückten Mollah" nicht zum besten; es werden daher Hals über Kopf eng lische Verstärkungen nach Somaliland dirigirt. Der Riesenstreik der amerikanischen Bergleute ist wieder bei gelegt, das Weitere soll ein Schiedsgericht besorgen. — Von den verschiedenen Revolutionen auf der westlichen Hemisphäre ist diejenige in Hayti in Folge des definitiven Sieges der Regierungspartei beendigt worden, in Kolumbien und Venezuela aber wird noch immer weitergekämpft. Kmsttnm im WmiWm Wmth. Im österreichischen Abgeordnetenhause drohen Zustände wiederzukehren, wie sie dort zur Zeit der Kabinette Badeni und Thun Heimathsrecht erworben haben. Der Appell des Herrn v. Körber zu friedlicher Verständigung zwischen den Parteien scheint wirkungslos verhallt zu sein, ;a sogar die nationalen Gegensätze vertieft, die Tschechen und die Alldeutschen zu gewaltsamen Ausbrüchen und Protesten angefeuert zu haben. Gestern kam es, anläßlich der fort gesetzten Verhandlungen über den Dringlichkeitsantrag des Tschechen Hruby betreffs der Sprachenverhältnisse in Schlesien zu scharfen Debatten, dann zu Demonstrationen, zu Tumulten, ja fast zum Handgemenge. Es wird hier über geschrieben: Wien, 22. Oktober. Nach den Ausführungen der Generalredner ergriff in der heutigen Sitzung des Ab geordnetenhauses der Tscheche Sehnal das Wort zu einer „thatsächlichen Berichtigung" und sprach längere Zeit tschechisch. Die Alldeutschen Berger und Schönerer fahren aus und beginnen Ermahnungen an das Präsidium zu richten. Der Vicepräsident Kaiser unterbricht den Redner, der aber fortfährt, tschechisch zu sprechen. Abgeordneter Glöckner ruft: „Sakrament, der berichtet nicht ein Wort thatsächlichl" Mehrere deutsche Abgeordnete stürmen auf die Gegner zu. Berger schreit sie an: „Ihr seid's Schwefel bande!" Kasper ruft: „Tschechische Komödianten". Der Vicepräsident Kaiser ersucht Sehnal, sich kürzer zu faffen. Sehnal spricht weiter tschechisch. Berger: „Herr Präsident, machen Sie dem Schwindel doch ein Ende." Sehnal spricht mit starker Stimme tschechisch. Seine Clubgenossen muntern ihn auf. Bei den Alldeutschen wird die Erregung immer größer. „Herr Präsident", apostophirt Schönerer den Vice- Präsidenten, „schmeißen Sie ihn doch hinaus!" Die Tschechen schreien: „Das ist die Culturnation!" „Schönerer soll nicht provociren!" schreit Fresl. — Der Krawall ist immer größer geworden, plötzlich hört man ein deutliches „Töff! Töff!" Einen Moment lang ist es still geworden. Da sieht man, wie der Abgeordnete Berger unter der Bank ein kleines Automobilpfeifchen hervorzieht. Die Tschechen ballen gegen Berger die Fäuste und schreien wüthend: „Das ist ein Skandal! Schmeißen Sie den Kerl hinaus! Herr Präsident, machen Sie Ordnung!" Sobald einige Momente der Ruhe ein treten, setzt Sehnal seine Rede tschechisch fort. Pommer schreit: „Der Kerl will das ganze Haus terrorisiren!" Schönerer brüllt: „Herr Präsident, ist das thatsächliche Berichtigung? Wenn er nicht deutsch versteht, kann er deutsche Reden nicht thatsächlich berichtigen? Das Prä-