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Wochenblatt für MsW Tharandt, NoD. Sikbenlehn und die UmMudeu. Imlsöluft Dienstag, den 15. Dezember No. 10«. 1891. Inserate werden Montags und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. Jnsertionspreis 10 Pf. pro dreigespaltene Corpuszeile. für die Agl. Amtshauxtmannschaft Meißen, für das Agl. Amtsgericht und den ^tadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Agl. Lorstrentamt zu Tharandt. Erscheint wöchentlich zweimal u.zwarDienstags und Freitags. — Abonnementspreis ' vierteljährlich 1 Mk., durch die Post bezogen 1 Mk. 25 Pf. — Einzelne I Nummern 10 Pf. Bekanntmachung. Freitag,^ven 18. DezemberMSl, Bormittags UV- Uhr, findet im hiesigen Verhandlungssaale öffentliche Sitzung des Bezirksausschusses Statt. Die Tagesordnung ist aus dem Anschläge in hiesiger Hausflur zu ersehen. Meißen, am 11. Dezember 1891. Königliche Amtshauptmannschaft. Tagesgeschichte. Nach menschlichem Ermessen werden wir mit dem Ablaufe des Jahres 1891 das größte wirthschaftliche Ereigniß dieses Jahrhunderts zu verzeichnen haben : die Schaffung eines w i r t h- schaftlichen Bundes, der Deutschland, Österreich-Ungarn, Italien, Belgien und die Schweiz, das sind Gebiete mit einer gesammten Einwohnerzahl von 130 Mill. Menschen, umfaßt. Niemand wird verkennen, daß zwingende Gründe vorhanden waren, die dem deutschen Reiche die Nothwendigkeit auferlegten, mit dem uns befreundeten Nachbarreiche Oesterreich-Ungarn, dann mit Italien eine starke und breite Basis zu schaffen, auf welche weitere wirthschaftliche Vereinbarungen mit Belgien und der Schwei; nach einheitlichen Gesichtspunkten zu Abschluß ge langten. Die gemeinsame Abwehr gegen wirthschaftliche An griffe anderer Länder, wie Frankreich, Rußland und die Verei nigten Staaten, bildet das charakteristische Merkmal des nun mehr zur Verhandlung gelangenden Wirthschaftsbundes, und von diesem Gesichtspunkte aus müssen die gesammten Vortheile und Nachthelle, die den gemeinsamen Interessen unserer Industrie und Landwirthschaft sich aufdrängen, beurtheilt werden. Die Freihandelspartei hat die Thatsache des Abschlusses der Han delsverträge mit Zollbindungen als einen Triumph ihrer Dok trinen ausposaunt. Wir meinen vollkommen mit Unrecht, da einestheils Handelsverträge solcher Art auch unter der von uns vertretenen Aera des Schutzes der nationalen Arbeit abgeschlossen worden sind, andererseits aber ausdrücklich betont worden ist, die erste und unerläßliche Voraussetzung des bevorstehenden großen Wirthschaftsbundes sei die Erhaltung eines gemäßigten Schutzes der nationalen, industriellen und landwirthschaftlichen Arbeit. Die vorliegenden Handelsverträge tragen aber die Merk male des Freihandels um so weniger an sich, als die in denselben enthaltenen Konzessionen keineswegs ohne weiteres auch anderen Staaten zugute kommen sollen. Auch dieser Gesichtspunkt, gleichzeitig aber die Nothwendigkeit der Solidarität zwischen In dustrie und Landwirthschaft sind wohl im Auge zu behalten. Die gesammte deutsche Industrie wird voll warmen Dankes und mit freudiger Genngthuung die für eine längere Reihe von Jahren erfolgte Bindung unserer Zolltarife begrüßen, weil sie in einer solchen über einen größeren Zeitraum sich erstreckenden Tarifbindung die Grundbedingung einer gedeihlichen Entwickel ung des vaterländischen Gewerbfleißes erkennt. Daß die An nahme der Verträge m den Parlamenten mit großer Mehrheit erfolgen wird, steht außer Zweifel. Veränderungen im Ein zelnen können nicht vorgenommen werden; dies wird der ganzen Verhandlung von vorn herein den Charakter des praktisch Un fruchtbaren aufdrücken und auf alle Fälle, auch wenn man die Sache nicht überstürzt, sehr zur Beschleunigung der Erledigung beitragen, ganz im Gegensatz zu den autonomen Zolltarifen, bei denen wochen- und monatelang um jede einzelne Position ge kämpft wurde. Es ist nun einmal mit solchen internationalen Verträgen unvermeidlich verbunden, daß die Volksvertretung in ihrem Rechte der Mitwirkung an der Zollgesetzgebung we sentlich beschränkt wird. Würden die in den Verträgen ent haltenen Vorschläge in autonomer Gestalt anftreten, so würden viele derselben ohne Zweifel harten Anfechtungen unterliegen; so aber befinden sich die Parlamente in einer Zwangslage, die weitgehende Beschränkungen auferlegt. Die vorgeschlagenen Er mäßigungen halten sich noch immer in solchen Grenzen, daß sie sich mit dem Programm des Schutzes der nationalen Ar beit vereinigen lassen. Indessen wäre es allerdings wünschens- werth, daß die Sicherheit, die jetzt auf eine Reihe von Jahren gegen Zollerhöhungen geboten wird, auch gegen weitere Zoll herabsetzungen, namentlich auf dem landwirthschaftlichen Ge biete, gewährt würde. Unter dieser Voraussetzung wird sich Mancher mit den Verträgen befreunden, der an und für sich die Zollherabsetzungen nicht zu billigen vermag. Ob im Ein zelnen der Ausgleich richtig getroffen ist, muß die Erfahrung lehren. Allgemein war man überrascht durch die große Zahl von Abänderungen, die sich fast auf den gesammten Zolltarif erstrecken, allerdings häufig nur sehr geringfügiger Natur find. Ain meisten in die Äugen fallend sind die Opfer, welche die Landwirthschaft, der Getreide- und Weinbau, zu bringen hat. Sie vor allem darf beanspruchen, dafür nun auch in dem ver bleibenden Maß von Schutz dauernd gesichert zu werden. Die erzielten Vortheile für die deutsche Industrie sind außerhalb der Fachkreise in ihrer Bedeutung und ihrem Werth schwer zu beurtheilen; die Stimmen hierüber lauten widersprechend und man inuß mit seinem Urtheil zurückhalten. Mag aber auch im einzelnen mancher Wunsch unbefriedigt geblieben sein: die Thatsache des engeren wirthschaftlichen Zusammenschlusses des größten Theils von Mitteleuropa mit ihrer unvermeidlichen An- ziehungs- und Ausdehnungskraft auf andere Länder ist ein hoch bedeutsames Ereigniß, das nicht nur vom wirthschaftlichen, sondern auch vom politischen Standpunkte zu würdigen ist. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß der Kreis di r jetzt zoll verbündeten Länder sich bald noch erweitern wird, und dadurch werden auch die Bestrebungen zur Sicherung des friedlichen Schaffens Förderung erfahren. Möge manche Mißstimmung, die bei einem so schwierigen Ausgleich der materiellen Inter essen unvermeidlich ist, im Hinblick auf höhere Ziele und das Gesammtwohl der Nation überwunden werden! Ueber die neuen Handelsverträge liegen eine Anzahl von Preßstimmen vor: Die ,,Berl. Pol. Nachr." sagen, die ganze deutsche Industrie sehe die Bindung unserer Zolltarife für eine längere Reihe von Jahren als Grundbedingung einer gedeih lichen Entwickelung des vaterländischen Gewerbefleißes an. — Der „Nat.-Ztg." wird aus Paris telegraphirt: Die Ver öffentlichung der Handelsverträge zwischen Deutschland und Ita lien hat hier große Sensation erregt und die Franzosen zu der Erkenntniß gebracht, daß sich ein großer Zollverein der Welt oder richtiger gegen Frankreich bilde. Der „Temps" erklärt, Frankreich gehe einem industriellen Sedan entgegen. — Die „Times" führen in einem Leitartikel aus, die neuen Handels verträge seien dazu angethan, die Stellung Frankreichs weiter zu isoliren, umsomehr, da diese internationalen Abmachungen noch weiterer, bisweilen zu weit getriebener Ausdehnung ent gegensehen. Durch seine protektionistische Politik habe Frank reich die Mitglieder des Dreibundes dazu gebracht, diese Rich tung einzuschlagen.— Die „Italia" meldet, Spanien sei mit den Dreibundsmächten in Verhandlungen eingetreten, welche möglicherweise zum Anschluß dieser Nation an die Handels politik des Dreibundes führen können. Der Werth deutscher Ausfuhr, auf welche die Zollermä ßigungen Anwendung finden, beläuft sich für Oesterreich-Ungarn auf 63 Millionen, für Italien auf 23 Millionen Mark. Der Werth der nach Deutschland aus Oesterreich-Ungarn und Jra- lien eingeführten Waaren, die Zollermäßigung genießen, beläuft sich dagegen auf 218 Millionen Mark. Nimmt man an, daß die Zollermäßigungen auf allen deutschen Grenzstrecken Platz greifen, und keine Erhöhung der Einfuhr stattfindet, so würde sich der Zollausfall auf rund 35 Millionen Mark belaufen. Hiervon entfallen allein auf landwirthschaftliche Zölle 33 700 000 Mark. Da aber erfahrungsgemäß mit der Herabsetzung der Zölle die Einfuhr sich steigert, so dürfte der Zollausfall selbst im ersten Jahre des neuen Tarifs kaum 30 Millionen betragen, eine Summe, die die Etats des Reiches und Preußens ange sichts der sonst steigenden Einnahmen in keiner Weise alte- riren kann. Amtlicher Nachricht zufolge ist Mittwoch früh der Bankier Adolf Albert, 32 Jahre alt, aus Görlitz flüchtig geworden und wegen Unterschlagung von 780 000 Mark zu verhaften. Das Aeltestenkolleginm der Berliner Kaufmannschaft hat gestern eine Kommission niedergesetzt mit der Aufgabe, bezüg lich unserer Börsen- und Bankverhältnisse eingehend zu unter suchen, ob und an welcher Stelle Mißstände vorhanden sind, und im Falle solche festgestellt werden, die weitere Frage zu be antworten, ob überhaupt und auf welchem Wege durch gesetz liche Maßregeln Abhülfe zu schaffen sein dürfte. Die Kommission soll dann an das Plenum berichten, und von diesem Berichte wird es abhängen, ob und inwieweit das Aeltestenkollegium seinerzeit veranlaßt sein möchte, Anträge an den Bundesrath und Reichstag zu richten. Wegen der Influenza wurden in Berlin wie in Löwenberg die dortigen Lehrerseminarien geschlossen. Vaterländisches. — Der Vorsitzende des konservativen Landesvereins im Königreich Sachsen, Herr Kammerherr Frhr. v. Friesen-Rötha, hielt am Mittwoch in einer Versammlung des konservativen Vereins zu Dresden einen Vortrag über die von ihm kürzlich aufgestellten Gesichtspunkte für die Revision des konservativen Programms. Besondersinteressant waren die Ausführungen des Redners über die Judenfrage. „Man müsse zugestehen," sagte der Vortragende, „daß diese Frage bestehe und die kon servative Partei müsse Stellung zu derselben nehmen. Seit 1830, als in Paris jüdische Minister ernannt worden seien, datire die veränderte Stellung der Juden in Europa. Redner schilderte die Vorgänge in Frankreich bis zur völligen Emanzi pation der Juden nach 1848 und den Einfluß derselben auf die Entwickelung, ja auf die Entscheidung über Krieg und Frieden eingehender und begründete die Forderung, daß öffent liche Posten in der Verwaltung und in der Rechtspflege nicht durch Juden besetzt werden sollten, sowie das Juden nicht zur Rechtsanwaltspraxis zuzulassen seien. In Sachsen habe man es bisher noch vermeiden können, die Richterstellen mit Juden zu besetzen, in Schlesien aber bestehe ein ganzer Disziplinar gerichtshof aus lauter Juden. Man solle sich doch daran er innern, daß die Juden niemals im Volke aufgegangen seien, sie seien geblieben nach der Emanzipation, was sie vor derselben waren; noch aber sei der Deutsche Herr im Hause, die Juden seien unsere Gäste, als solche solle man sie behandeln und gut behandeln, aber in unsere häuslichen Angelegenheiten mit Hinein reden sollten sie nicht. Zu warnen sei vor jeder persönlichen Zuspitzung dieser Frage, es sei nicht angebracht, das Publikum zu mahnen, bei Juden nichts zu kaufen: wenn der jüdische Geschäftsmann ein ehrenwerther Mann sei, so sei nicht einzu sehen, warum man bei ihm nichts kaufen solle, die Juden sollen ungestört unter uns ihre Geschäfte treiben. Gefährlicher als das Judenthum selbst sei aber das verjudete Christenthum. — Das „Vaterland", Organ des konservativen Lan desvereins im Königreich Sachsen, läßt sich über die Handels verträge folgendermaßen aus: „Die Verträge bedeuten, wie schon oft hervorgehoben worden ist, durchaus nicht einen Bruch mit dem bisherigen Schutzzollsystem, ihr Endzweck ist vielmehr nur der, daß ein großes, fast ganz Mitteleuropa umfassendes Wirth- schaftsgebiet den Willen bekundet, ohne Preisgebung der Lebens interessen der eigenen wirthschaftlichen Produktion für längere Zeit eine Grundlage zu schaffen, auf welcher der internationale Güteraustausch nicht durch Absperrung gehindert, sondern ver mittelst der geschlossenen Verträge gefördert zu werden vermag. Es ist wahr, um diesen Zweck zu erreichen, haben auch Zuge ständnisse gemacht und Opfer gebracht werden müssen. Der Schutz, den bisher die deutsche Landwirthschaft genoß, wird hin - fort ein geringerer jein, aber dafür werden Erleichterungen auf anderen Gebieten gewährt, so daß zu hoffen ist, daß im großen und ganzen der Gesammtheit Nutzen daraus erwachsen wird. Das darf in jedem Falle -erwartet werden im Hinblick auf unser Sachsen, das ja doch vorzugsweise ein industrielles Land ist. Und so dürfen wir denn immerhin den Abschluß der Ver träge als ein vorzugsweise erfreuliches Ereigniß betrachten und uns der Hoffnung hingeben, daß derselbe, die Genehmigung durch den Reichstag vorausgesetzt, woran wohl nicht mehr ge zweifelt zu werden braucht, sich als ein, den wirthschaftlichen Interessen der durch die Verträge geeinten Nationen ersprieß liches Moment erweisen werde.' Weil nun aber die politischen und wirthschaftlichen Interessen der Länder oftmals Hand in Hand gehen und sich gegenseitig bedingen, so mögen die Ver träge wohl noch über ihren nächsten Zweck hinauswirken und sich auch dem europäischen Frieden förderlich erweisen. In diesem Sinne sollen Sie uns willkommen sein." — Kritische Tage für das Jahr 1892. Rudolf Falb veröffentlicht wieder eine lange Liste von kritischen Tagen für das Jahr 1892, und zwar sind deren nicht weniger als 24. Es sind folgende: 14. Januar 3. Ordnung, 29. Januar (1.), 12. Februar (2.), 28. Februar (1.), 13. März (2.), 28. März (1Z, 12. April (2.), 26. April (1.), 11. Mai (3.), 26. Mai (1.), 10. Juni (3.), 24. Juni l2.), 1. Juli (3.), 23. Juli, (3.), 8, August (2.), 22 August (2.), 6. September (1.)