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Montag, 8. Oktober 1W6. Rr. 32. Erster Jahrgang. fluer Tageblatt und Anzeiger Mr das Erzgebirge DeianIworNicher Nrdaklcnr: Fritz Arn hold: FNr die Inserate oerantworNich: Albert Fach sei, beide in Ane. nnt -er wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes ^onntagsblatt. Sprechstunde der Redaktion mit Anrnahme der Sonntage nachmittags von 4—5, Uhr. — Telegramm.Adresse: Tageblatt Aue. — Fernsprecher 202. Für unverlangt eingesandte Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Druck und Verlag: Gebrüder Beuthner <Jnh.: Paul Beuthner) in Aue. Bezugspreis: Durch unsere Boten frei ins Haus monatlich sn pfg. Bei der Geschäftsstelle abgcholt monatlich 40 psg. und wöchentlich l» pfg. — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich j.so Ulk. — Durch den Briefträger frei ins Hau; vierteljährlich ,.g2 Mk. - Einzelne Bummer ,o Pfg. — Deutscher postzeitnngs- kalalog Br. — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. Annahme von Anzeigen bis spätestens g>s, Uhr vormittags. Für Aufnahme von größeren Anzeigen an bestimmten Stellen kann nur dann gebürgt werden, wenn sie am Tag« vorher bei uns eingehen. Jnsertionspreis: Die siebengespaltene Korpuszeile oder deren Raum zo Psg., Reklamen 2S pfg Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Vies» rrunrnrev rrinfatzt 6 Seiten Das Wichtigste vom Tage. Der Kongress der russischen Kadcttenvartei Hut in Helfingsorv seinen Anfang genommen. * Die nennzehnte Generalversammlung des evange lischen Bundes wnrdc gestern in Graudcnz eröffnet. In Mobil« hat abermals eine Negcrjagd mit Lynch- ge richt stattgcfnnden. * Der gestern beendete na > ionalliberale Parteitag in Goslar nahm eine Resolution an, oie als Hauptaufgabe der Partei die positive Mitarbeit an den politischen Aufgaben bezeichnet. * Ans Fez wird gemeldet, das, der deutsche Gesandte Rosen am Dienstag nachmittag dort eingetrofsen ist. Der Norddeutsche Lloyd hat die Zm ischendeckpreise im Postverkchr nach New ?)ork aus 140 Mk. ermässigt. Die Stadt Bern hat die bei ihr beantragte Subvention für die Loctschbergbahn durch Uebcrnahme von Aktien im Betrage von 1000000 Francs bewilligt. Der spanische Finanzminister Hal die von mehreren Ministerien geforderte Erhöhung der Ausgaben um 40 Mil lionen abgelehnt. * Näheres stehe unten. Rosa oder Schwarz? Die Schwarzseher-Rede des Kaisers in Brcölan soll nach der „Zukunft" des Herr» Maximilian Harden durch die unmittelbar vorher aus Paris cingclausene Meldung veranlasst sein, der eng lische General Fr euch habe mit srai zösischcn Kameraden die Mobilmachungsplane ausgetanscht. England habe sich ver- vslichtet, in fünf französischen Häfen seine besten Truppen, Reiter und Hochschvlten, zu landen. Ob im Hinblick aus solche Meldungen der Kaiser aller Schwarzseherei den Krieg erklärt hat, wissen wir nicht; als erfreulich für uns würden wir aber selbst dann nicht eine englisch-französische Militärkonvcntion ansehen können, wenn das der Fall sein sollte Man braucht sich keiner Mutlosigkeit hinzu- gcbeu, das ist gewiss: noch viel schlimmer aber wäre cS, wollten wir die englisch-französischen Abmachungen, zu denen auch Nuss- land hinzugezogen werden soll, als ein Geschehnis betrachten, das uns gar nicht berührt. Tast die englisch-französische Militär konvention ihre Spitze gegen Deutschland richtet, gesteht selbst die Post zn, die in einem Aussatz „Die Politik der Bündnisse" den jüngsten Vorgängen ans dem Gebiete der hohen Politik die besten Seiten abzugewinncn trachtet. Die Post tröstet sich mit dem Fortbestehen des Dreibundes, nur jedoch halten es lieber mit unserer eigenen soliden Macht, und wir meinen, das, im Hinblick darauf Frankreich und England, selbst wenn Nusstand biuzutreten sollte, es nicht wagen werden, Deutschland anzugrciseu. Etwas anderes ist es aber sichtlich, was die beiden Westmächte beabsichtigen: sie arbeiten aus eine Lösung der orientalischen Frage in ihrem Sinne hin. England beabsichtigt augenscheinlich, unterstützt von Frankreich, den persisch-arabischen Meerbusen zn besetzen, und zwar das ganze Nordende des Busens, svdas, die Bagdadbahn nicht ans Meer kann ohne englische Zustimmung. Allein kann England diese Aktion nicht unternehmen, weil es der Türkei zu Laude nicht gewachsen ist; also braucht es Frankreich. Die französische Unter stützung der Aktion könnte Deutschland aber durch eine Bedrohung der französischen Ostgrenze verhindern. Geschähe das, dann würde England wieder drohen, und wenn Deutschland trotzdem bedeuten würde, dost eine Entsendung sranzösischer Truppen nach dem Orient mit einer Kriegserklärung würde beantwortet werden, dann wäre der Angriff auch auf das mit Frankreich verbündete England da, der Japan verpflichten würde, die Kolonien der England an greifenden Macht in diesem Falle Deutschland, zn be setzen. In dem System der englischen Bündnisse spielt nämlich auch Japan eine Rolle. So ist Englano dabei, durch eine sehr geschickt angelegte Verkettung von Interessen Deutschland für den Zeitpunkt festzulegen, da es an die HerauSarbeitung seiner Ziele im Orient gehen wird. Nicht soll an uns der Krieg erklärt werde», wen« wir schliesslich auch davor nicht einmal sicher sind: wir sollen nur verhindert werden, Frankreich die Entsendung von Truppen nach dem Orient unmöglich zu machen. Sind nur voll ständig gebunden, dann werden die Westmachte nicht zögern, die orientalische Frage ein- für allemal so zn lösen, dass weder Deutsch land, noch Russland, noch die Türkei je in die Lage kommen werden, die englischen Bestrebungen an der Ecke, wo die drei alten Kontinente Zusammenstössen, zu stören. Jetzt, da Russland ohnmächtig ist, glaubt England seine Gelegenheit gekommen und wird sic wahrnehmen. Die Russen werden init einem kleinen Bissen abgcfunden werden und sind vielleicht noch dumm genug, de» Weltmächten Schmiere zu stehen; Italien und Oesterreich- Ungarn haben in Persien und am persischen Meerbusen gar keine Interessen. In der „Post" werden wir belehrt, dass auch Deutsch land keine Interessen in Persien habe; hoffentlich heisst das nicht, dass unsere Diplomatie gegen die westmächtlichen Absichten garnichts zu tun gedenkt. Man darf nicht so rosenrot sehen, um zu be haupten, dass eine Besetzung des Nordrandes des persischen Meer busens durch England uns nicht berühren würde. Die Türken wissen sehr wohl, dass mir mit ihnen das gemeinsame Interesse haben, die Bagdadbahn aus türkischem Gebiete enden zu sehen. Sind wir nicht imstande, ihnen bei der Verteidigung dieses Interesses Dienste zu leisten, was werden wir dann den mohammedanischen Völkern noch gelten? Es liegt gewiss kein Anlass vor, schwarz zu sehe», ebensowenig aber ist unsere Lage rosenrot oder befriedigend. Nur grösste Wachsamkeit und ernste Entschlossenheit im gegebenen Moment können uns ungefährdet durch die zahllosen Klippen bringen. Politische Tagesschau. Verrtfatze» Aeieh. Aue, 8. Oktober ISO«. Die Braunschweigische Throusrag». Die Braunschw. Landcszeitung schreibt: Zu der durch den amtlichen Briefwechsel geschaffenen Lage für Braunschweig kann die Person des Herzogs von Cumberland nicht mehr in Frage kom men, und die Folge davon wird für alle logisch Denkenden sein, dass sic an die Anhänger des Herzogs die ernste Forderung stellen, von einer den Frieden der Bevölkerung untergrabenden, völlig zwecklosen Agitation nunmehr Abstand zu nehmen und sich der unabweislichcn Gestaltung der Dinge zu fügen, zn fügen in wür diger Resignation, die keine Erniedrigung zu bedeuten braucht. Das hiesse verständig und patriotisch handeln. Die Rechte des Hauses der jüngeren Linie ungeschmälert zu wahren, hat auch der Landtag in seiner Resolution sich verpflichtet gesehen. Mehr konnte er nicht. Diese Rechte bleiben auch ferner gewahrt, da Bismarcks Sturz. Der dritte Reichskanzler Uber den ersten. Ueber den am 20. März 1800 erfolgten Sturz des Altreichs kanzlers Fürsten Bismarck ist schon viel geschrieben worden, ohne dass die Akten über diese aufregenden geschichtlichen Vorgänge bisher geschlossen werde» konnten. Die Darstellung des Fürsten Bismarck und derjenigen, die von ihm beeinflusst sind, ist begreif licherweise stark persönlich gefärbt. Andererseits hat die königlich preussische Geschichtsschreibung sich bemüht, jene Vorgänge mit den Farben der Loyalität zu versehe». So viel stand jedenfalls schon bisher fest, dass Fürst Bismarck ging und gehen m u sste , weil der Kaiser sein eigener Kanzler sein und sich jedenfalls nicht mit der passiven Rolle begnügen wollte, die Kaiser Wil helm l. seinem Kanzler gegenüber gespielt hatte. Man wusste auch längst, dass der Widerstand des Altreichskanzlers gegen die vom Kaiser berufene internationale Arbciterschutzkonsercnz den Anstoss zu dem Krach gab, der zur Entlassung des Fürsten geführt hatte. Aber schon vorher war der junge Kaiser mit dem alten Kanzler infolge starker Meinungsverschiedenheiten Uber die Fragen der auswärtigen Politik und vor allem infolge der star ken Hinneigung Bismarcks zu Russland heftig aneinandcrgeraten. lieber diese Vorgänge erfährt man jetzt noch Genaueres aus den Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe- S ch i l l i n g s s ü r st, die von Friedrich Curtius in lieber Land und Meer veröffentlicht werden. Wir entnehmen ihnen folgende bedeutsame Auszüge: Berlin, 21. März 1800. Heute früh >^8 llhr kam ich hier an und ging um 0 Uhr zu Viktor (Herzog von Natibor), wo ich das Extrablatt sand, in welchem das Schreiben des Kaisers an Bismarck (das Ent lassungsgesuch vom 20. März 1800) und die Ernennung zum Her zog von Launcnburg abgedruckt waren. Ich hörte nun hier und auch später von anderen, dass ein wirklicher Bruch zwischen dem Kaiser und Bismarck die Ursache des Rücktrittes ist. Die Art, wie Bismarck den Kaiser behandelte, die abfälligen Ur teile, die er Uber den Kaiser in Konversationen mit Diplomaten fällte, andererseits die unfreundliche Art, in der beide mitein ander verkehrten, machten den Bruch unvermeidlich. Da nun der Kaiser schon vor Wochen mit Caprivi über die eventuelle Er nennung zum Reichskanzler verhandelt hat und Bismarck dies er fuhr, so konnte die Sache nicht länger dauer». Hier ist die Stim mung geteilt. Die einen geben dem Kaiser recht, die anderen Bismarck. Die Fürstin soll auch nicht zur Versöhnung mitge wirkt, sondern gehetzt haben, und man glaubt, dass auch Herbert nicht bleiben wird. Man sagt auch, dass Bismarck in letzter Zeit oft seineAnsicht geändert und dadurch Miss trauen bei dem Kaiser erregt habe. Dazu kamen noch Kleinig keiten, die Bismarck irritierten, so die Verleihung des Schwarzen Adelerordens an Bötticher, die Vorträge der Minister bei dem Kaiser ohne Wissen des Reichskanzlers und ähnliches. Verlin, 24. März 1800. Gestern war wieder ein mühsamer Tag. Morgens 11 Uhr mit Amelie (Herzogin von Ratibor) in das Schloss, da Viktor unwohl war und nicht zum Ordenssest gehen tonnte. Der Gottes dienst in der Schlosskapcllc war wie immer sehr feierlich, die Rede Kögels sehr kurz. Um 1><. Uhr Diner, wo ich zwischen Stosch und Kamele fass. Ersterer erzählte mir viel von seinem Zer würfnis mit Bismarck und war froh wie ein Schneekönig, dass er jetzt offen reden konnte und dass der grosse Mann jetzt nicht mehr zu fürchten ist. Dies behagliche Gesiihl ist hier vor herrschend. Es ist auch hier wieder war, dass nur die Sanft mütigen das Erdreich besitze». Wenn in der auswärtigen Politik nur vorsichtig aus Bismarcks Wegen wcitergegangen wird! Beim Cercle drückte mir der Kaiser die Hand, dass mir die Finger krachten, auch trank er mir bei Tisch zu, wo ich mich dann ehr furchtsvoll verneigte und aus Ehrfurcht beinahe den Champagner verschüttet hätte. Nachher wurde ich von der Kaiserin Friedrich empfangen, die mit der Art, in der Bismarck entlassen worden ist, nicht einverstanden schien. Sie meinte, ich hätte sein Nach folger werden sollen. Als ich ihr aber sagte, ich sei im gleichen Jahr wie ihre Mutter und ihr Pater geboren, gab sic zu, dass cs etwas spät sei, ein solches Werk auszunehmen. In den Fragen der Sozialpolitik ist sie meiner Ansicht und sagt, dass Kaiser Fried rich die Bismarcksche Gesetzgebung stets bekämpft habe. Berlin, 2li. März 1800. Der Grohherzog von Vaden, bei dem ich gestern früh war, weiss sehr viel über die letzte Krisis, aber auch nicht alles. Er behauptet, dass die Ursache des Bruches zwischen dem Kaiser und Bismarck eine Machtfrage sei, und dass alle anderen Mei nungsverschiedenheiten über soziale Gesetzgebung und anderes nebensächlich gewesen seien. Der Hauptgrund war die Frage der Kabinettsordre vom Jahre 02, welche letztere Bismarck den Ministern ohne Wissen des Kaisers einschärfte und ihnen damit die Möglichkeit nahm, dem Kaiser Vortrag zu halten. Der Kaiser wollte, dass diese Kabinettsordre aufgehoben werde, während Bismarck sich dagegen erklärte. Auch die Unterredung mit Windt- horst hat nicht zum Bruch geführt. Bei der Besprechung des Kaisers mit Bismarck soll diesr so heftig geworden sein, dass der Kaiser nachher erzählte: „Dass er mir nicht das Tintenfass an den Kopf geworfen hat, war alles.« Dazu kam das Misstrauen des Kaisers in die auswärtige Politik des Fürsten. Der Kaiser hatte den Verdacht, dass Bis marck die Politik nach seinen, dem Kaiser unbekannten Plänen leiten und es dahin führen wolle, Oe st erreich und dieTri - pelalianz aufzu geben und sich mit Russland zu verstän digen, während der Kaiser dies nicht will, und an der Alianz fest hält. Auch in Wien soll, wie Münster sagt, grosses Misstrau en gegen Herbert Bismarck herrschen. Das musste zum Bruch führen. Ob es wahr ist, dass der Kaiser einen Bries ohne Wissen des Kanzlers an die Königin Viktoria geschrieben habe, der dann in Berlin bekannt geworden ist, konnte ich nicht erfah re». Behauptet wird es. Berlin, 27. März 1800. Heute um 2 Uhr ging ich zu Bismarck, den ich sehr wohl und kräftig sand. Als ich sagte, dass das Ereignis mir sehr uner wartet gekommen sei, meinte er: Mir auch, denn vor drei Wochen hatte er noch nicht gedacht, dass es so endigen würde." „Uebrigens", setzte er hinzu, „muss ich cs erwarten, denn der Kaiser will nun einmal allein regieren." Er erwähnte dann die einzelnen Streitpunkte zwischen ihm und dem Kaiser, das A r b e i t e r s ch u tz g e s e tz, das der Kaiser wolle, und das doch nur ein Arbciterzwanggesetz sei, und kam auf die Frage der Mi nisterpräsidentschaft zu sprechen, indem er es als unzulässig be zeichnete, dass jeder Minister für sich und ohne den Ministerrat oder den Präsidenten zu fragen, mit dem Kaiser verhandle. Ge gen Verdy hat er Misstrauen, und gegen die Minister ist er gereizt, weil sie ihn im Stich gelassen hätten, weil sie mehr den Kaiser als ihn fürchten. Dabei sei seine Autorität nicht zu erhalten gewesen. Auch den Grossherzog von Baden nannte er unter seinen Gegnern. Als ich ihm sagte, es sei wohl denkbar, dass der Kaiser ihn Uber kurz oder lang bitten werde, zurückzukomme», wies er dies zurück: das wolle er nicht, diese drei Wochen noch einmal durchmachen. Hier würde ich ihn, schloss er, nicht Wiedersehen, wenn ich aber nach Varzin oder Friedrichs- ruh kommen wolle, sei ich willkommen. Auch von unserer gemein same» politischen Tätigkeit sprach er und riet mir, dafür zu sor gen, dass sich der Kaiser nicht zu viel um Elsass-Loth ringen bekümmere. Ich möchte ihm aus dem Gesichte bleiben. Das ist leichter gesagt, als getan. Fortsetzung folgt.