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Ottendorfer Zeitung. Vie „Vttendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners- tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich , Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Annahme »»n Inserat« bi» vermtttag ,« Uhr.^ Inserat» werden mit,o p fLr di« Spaltzetl« berechn« Labellartscher^Satz nach drsondrrem Laris Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Leid und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode." Lokalzeitung für die Ortschaften Gttendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Okrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Gkrilla No. 36. Mittwoch, den 27. Mär; 1907. 6. Jahrgang. Schule zu Gttendorf-Okrilla. Obwohl die Verteilung von Luvkertüten beim Eintritt der Kleinen in die Schule nicht mehr rtzUzemkiss ist, so soll diese Sitte dennoch beibehalten werden. Die Größe der Tüten soll 50 Zentimeter, von der Spitze bis zum Rande gemessen, betragen. Tüten von anderer Größe werden zurückgewiesen. Otttzlläork, den 26. März 1907. Schuldirektor Endler. Oertliches und Sächsisches. Gttcndorf-Vkrilla, den 26. März igor. r. Die sogen. „Weltverbesserer" haben am Sonnabend in unserem Orte wieder eine Vorstellung gegeben, die den bekannten „würdigen" Verlauf nahm. Wer der Meinung war. daß sich mit Sozialdemokraten ruhig und sachlich debattieren läßt, wodurch allein nur eine Klärung der Ansichten herbeigesührt werden kann, der wurde am Sonnabend eine» anderen bklehrt: wa» den sog. „Zicibewußlen" nicht in den Kram paßte, wurde einfach niedergedrüllt, wodurch bewiesen wurde, daß die Obergenossen die Geister, welche sie riesen, nicht mehr zügeln können. E» erschien in der Arena der Klassen vertreter de» 4. Wahlkreise», Genosse Kaden Auch ein« größere Anzahl national-gesinnter Männer waren anwesend, um etwas über da« Programm und die Tätigkeit de» Herrn Kaden im Reichstag zu hören und eoent. Ansichten und Wünsche zum Ausdruck zu bringen. Aber nichts von alledem I In ca. 2stündiger Rede kein Wort vom Programm, kein Wort über dessen Tätigkeit, sondern nur ein Gemisch von abgelesenen Zeitungsartikeln, Entstellungen, Verdrehungen und »ine Portion Schimpf- und Hetzworte. Nicht rin einziger praktischer, eigener Gedanke kam zum Vorschein und bombensicher ist. daß Herr Kaden sich mit einer derartigen Rede im Reichstag« dem allgemeinen Gelächter und Spott preilgeben würde. Wir wissen nun, warum er sich im Reichstage wohl- weitlich ausschweigt und al» eine Null erscheint. Geradrzu widerwärtig war die Behauptung des Herrn Kaden, der Reich»kanzler kneif» stet«, wenn er über die Verwendung gewisser Gelder angezapst werde. Hier wird unserem obersten RetchSbeamten indirekt uvtirstellt, daß er nichi mit reinen Händen wirtschafte, eine Unter stellung, die an der zweifellosen Ehrenhaftigkeit unsere» Reichskanzler» wirkungslos abprallt. Wir können un» sehr wohl denken, daß der- artige Anzapfungen rin hoher Beamter nur mit Verachtung strafen kann und möchten Herrn Kaden an da« bekannt« Sprichwort erinnern: Keine Antwort ist auch eine Antwort, und solche Infamien verdienen keine Antwort, da rüber ist Fürst Bülow himmelhoch erhaben. Auch die vielgerühmte Redefreiheit zeigte sich wieder in ihrer wahren Gestalt. Es hatten sich 3 Gegner zum Wort gemeldet und um deren Au«sührungen möglichst einzuschränken, wurde sofort verkündet: da Kaden noch eine halbe Stunde lang da» Schlußwort haben Müßte, möchte man sich kurz fassen. Die proklamierte Redefreiheit war somit zur Farce geworden. Noch drastischer wurde die« illustriert durch die fortwährenden Zwischenrufe und Unterbrechungen, mit welchen die Ausführungen von nationaler Seite traktiert wurden. Jeder unbefangene und denkende Mensch mußte un willkürlich zu dem Gedanken kommen: diese Elemente, welche sich so gebärden, wollen unsere Verhältnisse bessern, fühlen sich berufen, nach Anderen mit Steinen zu werfen. O heilige EinfaltI Und nun di» „Versammlungsleitung I" Den Vorsitz führte ein gewisser Lehmann. Während e» sich ganz von selbst versteht, daß der Vorsitzende einer Versammlung völlig objektiv lediglich die parlamentarische Ordnung zu wahren hat, verflieg sich derselbe schon beim trsten nationalen Redner zur dirrkt-n Beleidigung desselben, was lebhafte Protestrufe zur Folge hatte. Selbst der nicht sehr zartfühlende Herr Kaden sprang auf und redete aus den Vor sitzenden ein, ihm da» Ungehörige seines Auf treten» begreiflich machend Unzählige Unter brechungen und Zurufe wehrte der Vorsitzende mit grinsendem Lächeln nur schwach ab, als aber von nationaler Seite ein Zuruf kam, be ging Genosst Lehmann di« Taktlosigkeit, sofort die betr. ziemlich weit entfernte Person fcstzu- stellen und mit seinem Hausrecht zu drohen, mährend er ganz in seiner Nähe sitzende fort während lärmende Genossen mit Stillschweigen — übersah. Da» ist die vielgerühmte sozialistische Freiheit und Gleichheit, die un» einen Vor geschmack gibt, waü von derartigen „Helden" zu erwarten wäre. Die vollständige Unfähigkeit des Versammlungsleiter» war damit dargetan. Also, die Genossen haben wieder einen „Sieg" erfochten, so werden sie ausposaunen; in Wirklichkeit haben sie aber ihre Unfähigkeit zu -der praktischen Betätigung dokumentiert. Mit Schimpfen und Hetzen bessert man die Ver hältnisse nicht, da» müßte der einfachste Arbeiter endlich einsehen lernen. Nicht durch Kimödien, sondern nur durch ernste Arbeit kommen wir vorwärts. —* Reinemachen! Ostern steht hart vor der Tür. Da heißt» erst mal tüchtig reine- machen. WoS noch nicht geschehen ist, da fliegen jetzt die Schrubber und Besen. Tische, Stühle, Sofa», alles wird weggerückt. Der Scheuerhader langt nach den verstecktesten Winkeln. Die Fenster sehen kahl und nüchtern au», denn e» fehlen die Gardinen. Die ganze tägliche Zeiteinteilung ist über den Haufen ge worfen. Ueberall ein buntes, wüstes Durch einander. Aber nur scheinbar. Die Kommando stimme der Hausfrau klingt durch das Chao«. E» hat alle» seinen bestimmten Grund und seinen vorläufigen Platz. Wenn» der brummende Eheherr nicht einsehen will dann versteht erS eben nicht. Ein tüchtiger Wohnungsästhekiker schrieb neulich: Da« ist Voraussetzung einer häuslichen Kultur, daß der Mann sich wieder eingehend für alle Fragen der praktischen und der hohen Kunst interessiert, daß er sich ästhetisch strenge erzieht und die Einrichtung nicht seiner Frau übertäßt, wie e» Sitte geworden ist. Alles schön und gut. An die praktische und hohe Kunst de« Groß reinemachens ist hier nicht mit gedacht. Und in der Tat, diese Seite der häuslichen Kultur wird nun und nimmer zur Mannessache werden. Hier regiert das weibliche Zepter, und wir wollen« nur eingestehen — zum Besten des Mannes und de» ganzen Hause», Wenn hinterher alle» so blink und blank au»schaut, alle Möbel gleichsam verjüngt erscheinen und selbst die Stubentüren des alten Schmutze» ledig sind — o dann zieht sie um so freundlicher und traulicher ein, die schöne Behaglichkeit, bei der nicht bloß der kostspielige Komfort macht. Also, ihr Männer, räsoniert und spottet nicht gleich zu arg über die sehr nützlichen Scheuerfeste. Nehmt die paar vorübergehenden Unbequemlichkeiten ruhig mit in den Kauf und seid euren Frauen dankbar, wenn sie sich um die äußere Reinlichkeit des Hauses fleißig und gründlich kümmern! Dresden. Am Sonntag nachmittag sind Feldherren-, Gneisenau- und Elisenstraße hier Einbruchsdiebstähl« verübt worden. Der Ein brecher ist offenbar mittels Nachschlüssels in die Wohnungen gelangt, nachdem er sich vorher von der Abwesenheit der Bewohner überzeugt hatte. Dem Diebe sind hierbei Beträge von 131,60 M-, 77 M. und 335 M. in die Hände gefallen. Es wird au« Anlaß dieser Vorkommnisie erneut ^darauf hingewiesen, daß es dringend notwendig ist, die Wohnungen bei Abwesenheit aller Bewohner sicher zu ver schließen. An Wohnungen, deren Vorsaaltüren mit Sicherheitsschloß versehen sind, hat der Täter keine Einbruchsoersuche gemacht. Radeberg. In der Dresdner Heide wurde der vollständig verweste Leichnam eines Manne« gefunden. Man ermittelte in dem Toten den früheren Tischlermeister Schurig von hier, der sich im Dickicht erhängt hat. Bautzen. Ausgebrochen au« dem hiesigen Stadtkrankenhause und flüchtig geworden ist der vielmals vorbestrafte und gemeingefährliche 19 Jahre alte Stallschweizer Karl Ernst Strauß, der wegen anscheinender Geisteskrankheit daselbst untergebracht worden war. Der Flüchtling ist aus Chemnitz gebürtig. Bautzen, lieber ein bedeutendes Unter nehmen der Oberlausitz, die vielgenannte Ober lausitzer Braunkohlen-Aktiengesellschaft „Olba" in Kleinsaubernitz bei Bautzen, ist der Bankrott hereingebrochen. An dem Kohlenwerke sind auch viel Bautzner Handels- und Gewerbe treibende mit bedeutenden Summen interessi-rt. Bereits zweimal hat die Gesellschaft liquidiert; das Unternehmen dürste bisher wohl an drei Millionen verschlungen haben. Leipzig. Am Montag nachmittag wurde die in der Stiftsstraße 18 in Leipzig-GohliS wohnhafte. 28 jährige Packersehesrau Margarete Roßberg von ihrem von der Arbeit heim kehrenden Manne ermordet vorgesunden. Die Leiche lag im Schlafzimmer und hatte um den Hals eine Schlinge; die am Bettpsosten be festigt war. Ein Geldbetrag von 55 Mark wird vermißt. Als Täter kommt ein junger Mensch in Betracht, der in ihrer Wohnung ein- und ausging und von den Hausbewohnern al» ihr Liebhaber betrachtet wurde. Er ist kurz vor der Entdeckung der Leiche im Hause gesehen worden. Aus der Woche. Jaures und Clemenceau, der Sozialisten- sührer und der Ministerpräsient haben die letzten Kammersitzungen in Frankreich beherrscht. Die Veranlassung ihre» an sich bedeutung»losen Wortkampfes bot — zum Ueberdruß des ganzen Lande« ist« immer noch an der Tagesordnung — das TrennungSgesetz und die al« seine Folgeerscheinung stattgehabte Beschlagnahme von diplomatischen Papieren in der Pariser päpst lichen Nunziatur. Nach heftigen Kämpfen im Ministerrat war die Regierung auf Betreiben Pichons, der di- auswärtigen Angelegenheiten leitet, dahin übereingekommen, eine Ver öffentlichung jener Papiere mit Rücksicht auf die diplomatische Unverletzlichkeit nicht vorzu- nebmen. Die Kammer hat nun ander« be schlossen, die Dokumente sollen von einer Kommission geprüft werden. So stehen dem Lande neue Unruhen im Innern bevor und Clemenceau sieht sich in derselben Lage, wi der Mann, der vor zweihundert Jahren die Geschicke Frankreichs leitete. Zur Pariser Ratsversammlung sprach damals Ludwig XIV. tränenden Auge«: „Ich verstehe mich nicht mehr weder auf den Krieg noch auf den Frieden." — Die Hoffnung, daß die in Wien mit einiger Aussicht auf Erfolg begonnenen Ausgleichsverhandlungen in Budapest zum endlichen Abschluß gelangen würden, hat sich nicht erfüllt. Der Widerstand der Ungarn gegen einen langfristigen Ausgleich macht alle Diplomatenkünste des österreichischen Minister präsidenten Frhrn. v. Beck zunichte. Man träumte in Budapest von einer selbständigen Großmachtstellung in wirtschaftlicher Beziehung und ehe man nicht im grellen Licht der Wirklichkeit zur Besinnung kommt, werden alle weiteren Unterhandlungen völlig überflüssig sein. Ihr Ergebnis heißt, wie seit 40 Jahren; E« wird fort gewurstelt. — Di- englischen Frauenrechtlerinnen, die infolge eine« Aufruhres im Unterhause vorläufig al« Zuhörer nicht zu lasten werden, haben abermal« einen Sturm aus da« Unterhau« unternommen, weil Herr Campbell-Bannermann, der Premierminister grundsätzlich jede Beihilfe der Regierung zur Erledigung de« Gesetzentwürfe» über da» Frauenstimmrecht ablehnte. Diese Stellung»- Nähme de» leitenden Staatsmann-» muß aller dings überraschen, nachdem Herr C. B. (wie man ihn am Themsestrand gemütlich nennt) vor wenigen Tagen sich grundsätzlich für da» Frauenstimmrecht erklärt hatte. Der Herr Campbell-Bannermann hält e« mit Mephisto» Worten in Faust' „Im ganzen haltet Euch an Worte." Da» zeigt auch seine Haltung in der Abrüstung-frage. Während er mit allen Kräften bemüht ist, die Verringerung der Rüstungen im Haag gelegenilich der Frieden»- tagung zur Debatte zu stellen, wird, auf -ng- lichen Werften di- Verm-Hrung der Flotte durch den Bau dreier Riesenkreuzer mit überau» leistungsfähigen Schnellfeucrgeschützen betrieben. Die Friedensliebe Englands erscheint dadurch in eigentümlichem Lichte. Der Wolf im Schafskleids ist erkannt. — In Rußland hat nun die „Wiedergeburt" mit einem großen Schwall von Worten begonnen. Herr Stolypin hat eine umfangreiche (36 Minuten dauernd») Regierungserklärung verlesen, di-, wird sie in die Tat umgesetzt, wirklich -in neue« Rußland zu schaffen, in der Lage wäre. Wenn man den angenehmen Blütenstrauß Stolypinscher Reformen überblickt, so muß man unwillkürlich an Schiller« „Mädchen aus der Fremde" denken, da» bekanntlich jedem eine Gabe teilte. Gut, der Will» ist in jedem Fall- löblich, und da )em Dumapräsid-nt-n nicht wenigrr al« )4 Gesetzentwürfe mit bezug auf dir Regierungserklärung zugegangen sind, so kann man — hoffentlich diesmal mit einigem Grund — an die Wiedergeburt Rußland» glauben. Da» Schicksal de» Lande» ruht aber nicht in den Händen der Regierung, sondern in den Händen der Duma; sie muß sich fähig z«igen, der Forderung de« Tage« Rechnung zu tragen. — Auf dem Balkan sieht es, wie leider in jedem Frühjahr, trübe au». Im Verlauf der Untersuchung gegen den Mörder de« bulgarischen Ministerpräsidenten ist man einer Verschwörung auf die Spur gekommen, die sich gegen da» Leben de» Fürsten Ferdinand richtete. Und während der arme Fürst, der nach d»r Königskrone zu greifen sich schon ost vermaß, erschreckt um sein Leben bangt, hat sich im nördlichen Nachbarreich Rumänien ein blutiger Bauernstand erhoben, besten die Regierung mit Aufbietung aller ihrer Machtmittel nicht Herr werden kann. Hunderte von Juden, die ihrer Besitztümer beraubt sind, flüchten über di» Grenze auf österreichische« Gebiet. Und da» geschieht in einem Lande, da» mehr noch wie Bulgarien unter der verständigen und modernen Leitung Karl I. Ansprüche darauf macht, der fortgeschrittenste Staat auf dem Balkan zu sein. Der Hohenzoller auf dem rumänischen Thron, der jetzt in Bukarest im 41. Jahre Hof hält, Hat wahrscheinlich bester«« Lohn um sein Werk verdient. — Der neue Schah von Persien sieht sich aus seinem Throne ernsthaft bedroht. Die regierungsfeindlichen El-m»nte laufen Sturm gegen Mohammed Ali Mirza, der voll männlichen Mute« mitten im Sturm al« sein Großwesir vor einigen Tagen zurück trat, erklärte, da» Steuerruder selbst in di« Hand nehmen zu wollen. Vielleicht gelingt e» ihm, sein Volk zu beruhigen, denn im Hinter gründe warten schon seine Freunde „Rußland und England", um ihm zu helfen. Nastr eddin, Mohammeds berühmter Vorfahr aber sagt mit dem Worten Zoroasters, de» großen persischen Weisen: „Laßt euch nimmer von Fr-unden helfen."