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Adorter Wochenblatt. ' . — , Mittheil»«gen über örtliche und vaterländische Angelegenheiten. Zehnter Jahrgang. Preis für den Jahrgang bei Bestellung von der Post: I Thaler, bei Bestellung des Blattes durch Botengelegenheit: 2» Ncugroschen. Erscheint jeden Mittwoch. 26. Fede. 184». Ncbcr unser Eivilrecht. Nicht nur unsere Strafrechtspflege ist es, welche Reformen erheischt, sondern auch uud vielleicht mehr noch unsere Eivilrechtspflege oder unsere Einrichtung der gewöhnlichen Streitigkeiten über das Mein und Dein. Ja, will man unparteiisch sein, muß man gestehen, daß sich die Strafrechtspflege in neuerer Zeit gegen sonst, um Vieles gehoben hat. Diesen Fort schritt hat zunächst unser neues Criminalgesetzbuch, dann die Errichtung der Appellation, gerichte und end lich und hauptsächlich die Richtung unserer öffentlichen Meinung bewirkt, welche auch den Unrcrrichter zwang, seine Untersuchungen rascher, mäßiger und gründliche» zu führen. All' dies schließt natürlich die Nvlhwcn- digkeit der Ocffcntlichkeit und Mündlichkeit nicht aus. Das Gute darf niemals der Feind des Besseren sein und wir bei unserem jetzigen Eriminalvcrfahren d. h bei der Jnquisüionsmaxime, sind am Ende noch nicht einmal bis zum Guten, sondern vom Uebeln nur bis zum Leidlichen vorgeschritten. Das Beste im Ennsi- nalrccht und Prozeß erwarten wir erst von der Zu kunft, von unseren Kammern und der Weisheit unse rer Regierung. Weit weniger Hoffnung bietet dagegen unser Ci- vilrccht, jene alte, leider schone römisch-mittelalter liche Ruine, worin zwar viel zu treiben, zu sitzen und zu schwitzen, aber wenig von Gottes freier z reiner Natur zu genießen ist, obschon das Gebäude recht ei gentlich zum Genuß des Lebens eingerichtet sein soll te. Handelt sich's beim Eivilrecht auch nicht um Le ben und Freiheit, so liegt doch unser Veunögen und am Ende mehr als das, die Idee des Rechtes jedes Einzelnen gegenüber dem Einzelnen, auf der Waage. In einer Zeit, wie in der unserigen, wo alle Blicke auf das Nützliche, Praktische, Materielle gc richtet sind, wo alles Oeffentliche öffentlich besprochen wird, wo traktirende Tagesblättcr gierig jedes Körn, chcn der Speise dem Hunger deS Publikums verschar ren, scheint es freilich auffallend, daß die Mängel unseres Eivilrechls verhältnißmaßig so wenig zur Sprache gekommen sind und man könnte vielleicht daraus folgern, diese Mängel wären minder gefühlt, also weniger vorhanden, als wir uns cinvilden. All lein diese Erscheinung des Schweigens über eine wirk lich allgemeine Beschwerde erklärt sich, wenn wir be denken, wie wenig wir noch zu uns selbst gekommen sind. Es geht uns Sachsen, wie dem Ersteher eines aus Noth verkauften Rittergutes. Da ist so viel an zuschaffen, herzustellen, zu stutzen, zu repariren, zu ändern,-ja niederzureißen oder neu aufzubauen, daß Keiner weiß, wo ansangen. Da war erst unser neues Staats- und Verfaffungslebcn mit unserer neuen Städte- und Gemeindeordnung, die uns Noth machte, d'rauf Zoll, d'rauf Eriminalrecht und Eisenbahn, .end lich Besteuerung und zuletzt gar Confcssion! Wer konnte da ein Riesenwerk wie ein neues Eivilgesctz, buch verlangen?' Nichts desto weniger war das Be. dürfnis so groß, daß cs auf unseren Landtagen wie derholt zur Sprache kam und von einzelnen Stimmen hie und da, am öftersten im Kreise liberaler Advokaten selbst bedacht wurde. Auch lebte eine andere Ursache der beschwichtigten Klagen über schlechtes Eivilrecht, und zwar eine Ursache, welche dem sächsischen Volk eben so sehr zur Ehre gereicht, als seiner Regierung. Das ist unser Vertrauen. Wir brauchen diese- Worl des Misbrauchs nur ungern. Aber nicht zu läugnen wird sein, daß die allgemeine Uebcrzeugulig, man wolle in der Rechtspflege aufrichtig das Bessere, der öffentlichen Stimme die Zunge band. Unser Hu-, slizministerium erfreut sich, semeii bisherigen Thätig- keir halber, des Zutrauens, daß es die Fehler unserer Rechtspflege kenne und so weit zu verbessern bemüht sei, als cS ihm Zeit, Umstände und — (leider auch-