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Mer Tageblatt Sonntag, ilen 2S. Mai >927 Nr. 124 -MM- Anzeiger für öas Erzgebirge WM «tlisramm»' rag,blatt ^u«,r,o»bi'o« Enthalten- -le amtlichen vekanntmachungen -es Rates -er Sta-t UN- -es Amtsgerichts Aue. poafly.ck.zont»! Nmt LNpztg Nr I»ss 22. Jahrgang Die englische- Rnffennote. Schleunige Abreise. — Der Abbruch der Beziehungen beginnt. London, 27. Mai. Die heute von Außenminister THamderlain dem russischen Geschäftsträger Rosen- golz übergebene Note ist nunmehr veröffentlicht wor den. Die Note nimmt Bezug auf die Durchsuchung des Sowjetgebäudes, die bewiesen Habe, daß von dort aus militärische Spionage und umstürzlerische Propaganda betrieben wurde. Die Note sagt, die Geduld der Ne gierung habe ihre Grenze erreicht und sie müsse sich jetzt entsprechend dem Wortlaut des Handelsabkommens als frei von den Verpflichtungen dieses Abkommens .be trachten. Die dem Letter der Handelsdelegation und seinen Gehilfen gegebenen Vorrechte seien damit -auf gehoben und ihre Abreise aus England müsse gefordert werden. Dem rechtmäßigen Handelsverkehr Mischen beiden Ländern werde die Negierung keine Hindernisse in den Weg legen und die Arcos-Gesellschaft könne ihre Tätigkeit forlsetzen unter den gleichen Bedingungen wie andere Handelsgesellschaften in England. Eine An zahl Angestellter, deren Namen mitgeteilt werden sol len, würden Erlaubnis erhalten, in England zu bleiben. Die Note schließt: Endlich hat die Negierung Sr. Majestät beschlossen, daß sie nicht länger diplomatische Beziehungen mit einer Regierung! aufrecht erhalten kann, die solch einen Stand der Dinge, wie er enthüllt worden ist, duldet und ermutigt. Die bestehenden.Be stimmungen zwischen den beiden Ländern sind Hierdurch aufgehoben und ich! habe die Forderung zu stellen, daß Sie sichi selbst und Ihr Stab aus England innerhalb der nächsten Tage zurückzichen. Ich weise den Vertre ter .Sr. Majestät in Moskau an, Rußland mit seinem Stab zu Verlässen und würde mich! freuen, wenn Sie Ihre Regierung ersuchen würden, ihnen, Mister Pre ston in Leningrad und Mister Paton in Wladiwostok, die notwendigen Erleichterungen für ihre eigene Ab reise und die ihrer Gehilfen zu gewähren. Genaue Vor kehrungen, über deren Einzelheiten Ihnen ordnungs mäßig Mitteilung gemacht werden wird, werden für Ihre und Ihres Stabes Abreise aus England und die der russischen Mitglieder der Handelsdelegation getrof fen werden. Die Lrkft für -ke Abreise -er Russen aus Lonöon. London, 27. Mai. Nach Reuter wird der Sow- jetmission bis zu ihrer Abreise eine Frist von einer Woche bis zu zehn Tagen von dem Zeitpunkt der Uebergebuug der Note gesetzt werden. Die britischen Beamten werden etwa zu dem gleichen Zeitpunkte aus Moskau zurückgezogen werden. Valüwln über -en öruch mit Rußlanü. London, 27. Mai. In einer hier gehaltenen Rede über die englisch-russischen Beziehungen sagte Baldwin u. a.: Die Zett ist gekommen, der Einmischung in die Angelegenheiten unseres Landes ein,'Tnde zu bereiten. Wir haben dii-se Aiäßnähmen ergriffen ein zig und allein, weil uns die Einmischung MoeiäuS in unsere inneren Angelegenheiten unerträglich ist und weil wir überall in der Welt seine Agenten finden, die gegen uns unfreundlich, ja feindlich handeln. Ich wünsche kategorisch zu erklären, däß unser Bruch den Krieg mit Rußland weder bedeutet noch bedingt. Er bedeutet nur, daß wir nicht beabsichtigen, Politische Be ziehungen zu Moskau weiter zu pflegen. Wir sind aber ganz und gar nicht für ein Anshören des legitimen Handels zwischen beiden Ländern. pacisrr StUrmiLN zum englisch-russ-cheu Sruch. Paris, 27. Mai. Die rechtsstehenden Blätter, allen voran der „GauloiS", fordern den Bruch .mit Moskau und die Entfernung der russischen Handelsdele gation und diplomatischen Missionen, die seit drei Jah ren Frankreich vergifteten. Die linksstehende Presse betont jedoch nach der gestrigen Abstimmung im Unter haus nochmals, daß Frankreich! eine unabhängige Rus senpolitik treiben müsse. „Oeuvre" schreibt: Bei dem englisch^-russischen Konflikt handelt es sich nur um eine Phase des alten Kampfes zwischen London und Moskau. „Quotidien" schreibt: Es ist zu beklagen, daß man in England nicht an den Frieden gedacht hat, bevor man sich zur Befriedigung vielleicht natürlicher Rancunen hat verleiten lassen. „Ere Nouvelle" schreibt: Das klügM für uns ist, daß wir Großbritannien freie Hand lassen, ein britisches Problem zu lösen. Einstellung -es Schiffsverkehrs zwischen Leningraö rmü London. London, 27. Mai. „Evening Standard" erfährt, daß die russischen Schiffe, die den Handelsverkehr zwi schen Leningrad und London besorgten, ihre Fährten bereits eingestellt hätten. > Südafrika und drr englisch-russlsche Konflikt. Kapstadt, 27. Mai. Der Ministerpräsident sagte im Parlament anläßlich des Bruches zwischen England und der Sowjetunion, daß dis südafrikanische Regie rung nicht beabsichtige, augenblicklich irgend welche Schritte in dieser Sache zu tun. Icrparüsihe S-ötier berichten über eine russische Mobttmuchuug. Tokio, 27. Mai. Mehrere japanische Blätter bringen Telegramme aus Charbin (Mandschurei), wo nach Befehle zur raschen Mobilmachung der Sowjet truppen ergangen seien. Die mobil gemachten Trup pen würden hauptsächlich nach der Grenze im äußersten Osten und nach Kronstadt gesandt werden. Die Maß nahme wird als Vorspiel von Feindseligkeiten zwischen England und Sowjetrußland angesehen. Schwere Niederlage der Hankau-Armee. Lschangtsolin räumt Peking. London, 27. Mat. Der amtliche englische Funk- dieust bestätigt die Meldungen über eine schwere Nie derlage der Kantontruppen in der Provinz Honan. Die achte Armee der Kantonesen soll dabei völlig nufgeric- ben worden sein. Borodin soll mit sieben anderen Rus sen heute morgen sich ans Hankan ans das südliche Flnß? ufer begeben haben. ES verlautet aus nicht amtlicher Quelle, daß zwischen der Hänkaner Negierung und Lschangkatschek ein Einvernehmen erzielt worden sei. jIn Tokio ist offiziös bekanntgegebcn worden, daß Lschangtsotin sich nn» Prking nach Mnkden zurückzichen wird, nachdem ihm als Machthaber der mandschurischen Provinzen seitens Tschangkaischeks und FettgS eine Vorzugsstellung etngeräumt worden sei. Der Marsch der NattonaltvuPpen auf Peking dürfte sich da her ohne stärkeren Widerstand vollziehen und nnv den Charakter einer Säubernugsuktiou (gerichtet gegen dle Weißrussen, Reste und Armee von Wnpotfu und dle Reste der Schantungtruppen) haben. Vek EknSruck -es russisch-englischen Konfliktes. D«ie fremde von der englischen Propaganda durch, tränkte öffentliche Meinung begrüßt befriedigt den «ruck London» mit Vto»kau und sagt dir Elognna russischen Propaganda in Gesamtchina vom Amur bis Birina voraus. Man glaubt an eine Neukonzcntric- rung der Moskauer Propaganda auf die äußere Mon golei, Chinesisch-Turkestan—Afghanistan und Persien mit denn Ziel Indien. Eine geringe Opposition bedauert den Bruch hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen. Sie glaubt, iu der Demaskierung Englands den Wil len zur Herbeiführung eines zweiten Weltkrieges ,ln Ostaste,: zu seben. Die amerikanische Meinung ist ängst lich. Die erwartete japanische Stellungnahme wird in: Juni ans der China-Konferenz in Tokio entschieden. Die chinesische öffentliche Meinung ist vollkommen ver wirrt und zu sehr am Bürgerkrieg interessiert. Nur Tschangtsolins Presse begrüßt den Bruch. Abreise Tschitscherins aus Paris. Parts, 27. Mai. Tschitscherin hat gestern abend Part» verlassen, um sich nach Frankfurt a, M, zü be geben, wö er sich wahrscheinlich einige Tage aushalten wtrd, ehe er die Riickreise nach Moskau antrttt. Das Schicksal der beschlagnahmst'« deutschen Seekabel. Washington, 27. Mai. Da» StaawdeWrlemenl such: eine Konferenz der bcheiiiglen Mächte Über die e»b- lMljge Verleitung Ker belchlagnahnuen deutschen Ttefjeelabel üevh-lMflilstea,. England, KMland und wir. Von Tr. Külz, M. d. R. Es gab in Deutschland naive Gemüter, die da meinten, der Hauptzweck des französischen StaatSbo- faches in Loudon bestehe in einer Vereinbarung über die Nheinlanbninmnng. Heute wird niemand mehr daran zweifeln, daß Englands Vorgehen gegen Nutz land den wesentlichen Gesprächsstoff zwischen den bri- nscheu und französischen Staatsmännern gebildet hat, und daß eine volle Entente cordiale dabei erzielt wor den ist. Inwieweit dabei von Frankreich Konzessionen für seine Verzögernngspvlitik am Rhein verlangt und erreicht worden sind, wird sich erst in der nächsten Zett, vor allen: gelegentlich der Völkerbundstagung im Juni zeigen. Vor der Hand ist nur das eine sicher, daß Eng land bei seiner neueste,: russischen Aktion Frankreich an seiner Seite weiß. Hiervon hat sich auch Tschitscherin bei seiner Anwesenheit in Paris überzeugen müssen; er schied mit leeren Händen. Um für die deutsche Politik die richtige Einstel lung zu gewinnen, lohnt cS sich, den Dingen in nüch terner und leidenschaftsloser Prüfung auf den Grund zu gehen. Englands Politik ist ein Gemisch von staat licher Demokratie und stärkstem wirtschaftlichen Impe rialismus. Rußlands Politik verkörpert weltrevolutio- nären bolschewistischen Imperialismus. Sowohl in sei nem wirtschaftlichen Imperialismus wie in seiner staat lichen Demokratie fühlt sich England durch.Rußland schwer bedroht. Daß die chinesische Revolution einen starken Antrieb durch den Bolschewismus erfahren hat, kann ernsthaft niemand leugnen. Der Bolschewismus wollte den Weltkapttalismus in seiner britischen Erschei nungsform in der Linie Hankau—Nanking—Schanghai entscheidend treffen. Tie chaotische Gestaltung der chi nesischen Bewegung wird noch auf lange Zeit die ver schiedensten Wechselfälle zeitigen, aber wie sich letzten Endes dis Dinge auch gestalten werden, der britische Wirtschastsimperialismus wird niemals wieder so un gehindert wie bisher das britische Pfund im Tale des Jangtse rollen lassen können. Das allein würde .ge nügen, um tiefen Haß auf englischer Seite auszulüsen und um alles zu tun, um weitere Gefährdungen dsr Stellung iu China entgegenzutreten. England glaubt aber auch Anlaß zu der Annahme zu haben, datz ent gegen den vertragsmäßigen Zusicherungen MutzlandS ein starker und unmittelbarer Einfluß auf die britische Arbeiterbewegung in bolschewistischem Sinne durch russische Organe genommen und militärische Spionage getrieben wird. c Iunerpvlitische Tendenzen ließen der gegenwärti gen Regierung ein festes Zugreifen gerade jetzt geboten erscheinen, denn sie muß ihre Position für die immer deutlicher am Horizont aufsteigenden Neuwahlen zum Unterhaus sichern und stärken. Tie Erfahrung der Vergangenheit hat gezeigt, daß das britische Bürzer« tun: sich am ehesten dann den Torys zuwendet, wenn man cs in Aufregung über tnnerpolttische Gefahren und weltwirtschaftliche Bedrohung erhält. Dieses Be kenntnis macht cs auch durchaus wahrscheinlich, daß die britische Negierung jetzt nicht mit ihrem gesamten Ma terial herausrückt, sondern das für die Wahlen zurück hält, was etwa die britische Arbeiterpartei als bolsche wistischen Einflüssen ausgesetzt erscheinen lassen könnte. Der Einsatz, den die englische Regierung wagt, ist politisch und wirtschaftlich nicht unbedeutend. Außen politisch sind offenbar die nötigen Sicherungen geschaf fen. Ein Widerspruch Amerikas ist kaum zu erwarten, denn den, Amerikaner ist alles in tiefster Seele zu wider, was auch nur im entferntesten nach Bolschewis mus duftet. Ritt Frankreich und Italien sind zufrie denstellende Vereinbarungen getroffen. Wirtschaftlich liegen die Dinge weniger übersichtlich. Der gesamte russisch-englische Handel repräsentierte im letzten Jahre einen Wert von 850 Millionen Mark, wovon rund.480 Millionen von der russischen Ausfuhr, nach britischem Gebiet bestritten wurden. Träger des russischen Han dels war die Arcos Trading Corporation. Sie ist von jetzt ab ausgeschaltet. Damit ist jedoch nicht gesagt, datz nunmehr das gesamte britisch-russische Geschäft zum völligen Erliegen kommen müßte. Finanziell und kre- bitmäsiig liegen so starke Engagements vor, datz ein absoluter 'Abbruch sofort kaum möglich ist. -Immerhin wtrd auf russischer Seite naturgemäß da» Bestreben vor handen sein, seine Aufträge in nichtbrtttsche Gebiete -u vergt'bAi. Tas, es dabei tu erster Linie an Deutschland denken wird, liegt bet den befriedigendes Handelsver hältnisse,: zwischen beiden Staaten nahe. Auf deutsch!» Seite liegt kein Anlaß vor, sich gegenüber der Ausdeh nung des russischen Geschäfts, solange es sich im Rah men einer soliden Wtrtschaftsgebarung vollzieht, ab», lehnend zu verhalten. Unsere Beziehungen zu Ruß land haben durch die Verträge von Rapollo und Ber n ei"e feste Grundlage gefunden, rchwievig-ettm lü»