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Voigtländischer Anzeiger. zz. Stück, Sonnabends den 2, September 1809, Ansichten des Lebens. Das irdische Leben des Menschen ist eine Er« ziehungsepoche. Viele und mächtige Kräfte schlummern in ihm und diese sollen erweckt und vervollkommnet werden. Gienge ihm alles nach Wunsche, so würde er stets schwach und unmündig bleiben; allein da stürmen Nothund Drangsale auf ihn ein, die ihn zur Thätigkeit zwingen, und nun fangt er an, sich zu stemmen gegen das Uebel, das ihn bedrohet, zu käm pfen gegen das Ungemach, das ihn heimsucht, zu zürnen gegen das Unrecht, das man ihm zu, fügt. Die Menschen nehmen ihn in die Schule, und das Schicksal bildet ihn aus zum Manne, der muthig und kräftig ausführt, was ihm Pflicht und Ehre vorschreiben. Wer blos nach dem strebt, was angenehm ist und wer nicht nach dem ringt, was Würde giebt, der ahndet nicht die Bestimmung seines Lebens. Soll der Zweck dieses richtig aufge- faßtwerden, so muß sich der Mensch auf den Standpunkt der Vernunft erheben. Hier eröff, nen sich ihm lauter Unendlichkeiten. Unendlich ist die Bahn seiner Bestimmung, grenzenlos der Psad zur Tugend und zum Wissen, und un sterblich sein Leben. Was er ist, das ist er für die Unendlichkeit; was er ssnnt und thut, das kann blos nach Ideen gewürdigt werden; was diese billigen oder heiligen, das ist gut, das ist trefflich und hehr. Mit sich zu Rache gehen und sich prüfen, muß der Mensch, so öfter einen kurzen Naum seines Lebens durchlaufen hat. Er muß nach, sehen, was er genutzt hat und ob sein Thun und Treiben auch seiner Bestimmung angemes, sen ist. Nicht das, was der Mensch genießt, giebt ihm Werth, sondern was er Gutes thut. Der Genuß ist thierisch und in Ansehung desselben unterscheidet er sich nicht von den Thieren, al, lein hoch empor hebt ihn der Gedanke an das, was er von Natur ist und was er durch Selbst, thätigkeit aus sich machen soll und an die Thar, welche der Unsterblichkeit werth ist. In An« sehung dieser steigt er zu dem Urheber feines Da, sepns empor und seine uneigennützige Gesinnung und seine edle Denkart ist der Bürge seiner gött lichen Abkunft. Wenn dieses Leben eine Erziehungsepoche ist, so läßt sich erklären, warum es so viel Ue- bel in der Welt giebt, warum Noth und Unge, mach