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Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Siebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. A 69. Dienstag den 3. September 1872. Zur Dienstbotenfrage. Unter dieser Ucberschrift bringt die „H. Dfztg." abermals einen Artikel, welchen wir, wie wir schon früher bemerkt, des allgemeinen Interesses halber, welches Herrschaften sowohl als Dienstboten daran nehmen sollten, zum Abdruck bringen. Nach einleitenden Worten sagt der Herr Verfasser: Zunächst bemerke ich, daß ich gleichfalls lange auf dem Lande gelebt und selbst eine Landwirthschaft, wobei sccks Dienstboten nöthig waren, gehabt habe, daß ich ferner als Inspektor der Volksschulen mit der arbeitenden Classe vielfach in Berührung gekommen bin, und daß ich aus diesem zwiefachen Grunde die in den untersten Schichten des Volkes herrschenden sittlichen Schäden aus eigner Anschauung genau kenne. Meine Wahrnehmungen beziehen sich freilich vorzugsweise auf Westpreußcn, wo ich meine amtliche Stellung inne hatte; indessen habe ich auch seit meiner Pcnsionirung in Pommern, Schlesien und Sachsen gelebt und mich schließlich in Thüringen niedergelassen. Ueberall habe ich die gleiche, immer mehr überhand nehmende sittliche Verschlimmerung der dienenden Classe wahrgcnommen, überall (und in den Städten noch mehr als auf dem Laude) dieselben Klagen der Herrschaften über die Dienstboten gehört. Die besten Dienstboten habe ich verhältniß- mäßig noch in Westprenßen und Pommern gefunden, wo es Regel ist, daß die Dienstboten ihre contractlich eingegangene Dienstzeit (auf dem Lande ein Jahr) anshaltcn und in nicht seltenen Fällen 2, 3 und mehr Jahre bei einer und derselben Herrschaft verbleiben, (Letzteres war z. B. bei mir. der Fall); auch findet sich dort unter den Dienstboten noch mehr Treue, Gehorsam und sogar eine Art von Pietät gegen die Herrschaften, wovon in Sachsen und Thüringen, obgleich hier die Schulen auf dem Lande weit besser besucht werden und mehr Schulbildung herrscht, keine Spur mehr vorhanden zu sein scheint. Woher stammt nun aber die sittliche Verschlimmerung der ar beitenden Classe? Der Herr Verfasser findet den Grund vorzugsweise in den vielen Tanzmusiken und der damit verbundenen Vergnügungs sucht, nächstdem in der laxen — nicht „humanen" (denn das ist eine arge, leider oft vorkommcndc Begriffsverwechselung) Gesetzgebung, über die er sich laut beklagt, und endlich in der mangelhaften, ich möchte lieber sagen einseitigen Schulbildung. Gewiß sind das drei breit geöffnete iüucllcn, aus denen viel Uebel entspringt; aber die Hauptquelle, aus welcher auch diese Quellen erst ihre unreinen Ge wässer erhalten, liegt anderswo, sie liegt in dem bösen Beispiel der höhern, sogenannt gebildeten Classen und in der immer mehr über hand nehmenden Irreligiosität unsrer Zeit, — mit einem Worte, die höheren Stände tragen die Hauptschuld, daß es in den untern Ständen so traurig aussicht. Es ist nicht zu läugnen, denn die Erfahrung beweist es tausend fältig, daß nur auf dem Boden eines religiösen Gcmüths die christ lichen Tugenden wachsen, welche das Leben eines Menschen schmücken. Fehlt dem Menschen die Religion, worunter ich weder eine bestimmt formulirte Orthodoxie nach Art der Preuß. Cvnsistorialkirche, noch auch die sich breit machende pharisäische Frömmigkeit der Pietisten, sondern eine wahre Gottesfurcht verstehe, die wir auch unter Juden und Heiden (Moses, Abraham, Confucius, Sokrates u. a. m.) genugsam antreffen, — fehlt diese Gottesfurcht, diese innere Hcrzensfrömmigkcit, die sich stets ihres höheren Berufes bewußt bleibt und von regeln Pflichtgefühl unzertrennlich ist, so haben die menschlichen Leidenschaften und Lüste freien Spielraum, so schlägt sofort im Herzen allerlei Un kraut auf, als da ist Vergnügungssucht, Wollust, Habgier, Neid, Un treue und das ganze Heer der Giftpflanzen, die in der Gott- und Gewissenlosigkeit wuchern und aus ihr Nahrung ziehen. Und nun frage ich euch, ihr Herrschaften, die ihr über die sittliche Verschlim merung euerer Dienstboten Klage führt: Habt ihr die sittliche Fäul- niß, welche in die untersten Schichten des Volks zersetzend dringt, nicht mehr oder minder selbst verschuldet? Wo ist unter den höheren Gesellschaftsclasscu noch wahre Gottesfurcht zu finden? Nehmen nicht Viele von den Gebildeten eine geradezu feindselige Stellung gegen das Christenthum, gegen die Kirche und ihre Diener ein? Werden die öffentlichen Vergnügungsorte, die Wein- und Bier-Locale nicht fleißiger besucht, als die Gotteshäuser, in denen die Stimme der Re ligion ertönt? Haben Vergnügnngs- und Putzsucht, die der Ruin so vieler Familien werden, nicht gerade unter den mittleren und höheren Stünden eine bedenkliche Höhe erreicht! Sind Betrug, Actien- schwindel, Veruntreuung öffentlicher Gelder nicht redende Zeugnisse, daß Viele von ihnen — gleichviel auf welche Weise — so schnell als möglich reich werden wollen, um das kurze Leben nach ihrer Art zu genießen? Ja werden nicht schon die Kinder zu allen Vergnügungen hinzugczogen, 'werden nicht Kindergesellschaftcn, Kinderbälle rc. noch extra veranstaltet, als wollte man das aufwachsende Geschlecht schon von der frühesten Kindheit an recht systematisch verderben? Was sollen nun aber unsere Dienstboten dazu sagen, wenn sic so etwas täglich vor Augen haben? Die Schlußfolgerung ist leicht zu ziehen, und die Conscquenzen treten auch überall zu unserm Schrecken offen genug zu Tage. Das böse Beispiel, das die höheren Gesellschaftsklassen geben, hat nicht minder der Sozialdemokratie, die» sein „rothen Gespenst" der Neuzeit, das unter den Arbeitern das letzte Band von Anhänglichkeit und Pietät gegen die Arbeitsgeber zerrissen hat, wesentlich Vorschub geleistet, es groß gezogen und seinen unheilvollen, staatsgefährlichcn Lehren eine leichtere und weitere Ver breitung gegeben. Rian kann es den Sozialdemokraten kaum ver denken, wenn sie über unsere „faulen Zustände" klagen und es ist ihnen nicht allein zur Last zu legen, sondern es ist ein trauriges Symp tom unserer Zeit, wenn ein Socialdemokrat in einer Versammlung zu München den Akftrag stellte, daß man sich vom biblischen Gott lossagen möge. Soll es mit der arbeitenden Classe besser werden, so muß die Besserung von Oben aüSgchcn. Erst müssen wir Alle, nicht die Dienstboten allein, deren sittliche Rohheit und Verwilderung uns un bequem wird, zur Frömmigkeit unserer Väter zurückkehren; erst muß jedes HauS ein Tempel Gottes werden, in welchem die christlichen Tugenden ihre Wohnstätte und die nöthige Pflege erhalten. Dem nächst muß in den Schulen mehr auf Erziehung zu christlicher Fröm migkeit und Tugend gehalten werden, daß bloße Auswendiglernen des Katechismus und der Bibelsprüche thuts eben so wenig, als eine einseitige Vcrstandsbildung; denn ohne gleichzeitige Veredelung des Herzens ist diese sogar oft nachtheilig und befördert, wie der Herr Verfasser richtig bemerkt, in vielen Fällen sogar „den Unverstand und die Rohheit". Die Kindergärten sind ebenfalls sehr zu empfehlen, denn sie bewahren die Kleinen frühzeitig vor vielen sittlichen Gefahren und Auswüchsen. Ist so von Haus und Schule aus ein guter Grund gelegt, so werden auch die Tanzmusiken keinen so großen Schaden thnn, obwohl eine größere Beschränkung derselben (an manchen Orten) und eine strengere Gesetzgebung in dieser Hinsicht immerhin wünschens- werth erscheint. Tagcsgeschichte. Am vergangenen Sonntag den 25. August, hielt der Landes- auSschuß der sächsischen Feuerwehren in Döbeln eine Versamm lung ab. Wie der „Anzeiger" berichtet, debattirte man zuerst über die verschiedenen Fcuerwchrcinrichtnngcn und dann über das Statut einer Unterstützungscasse für die sächsischen Feuerwehren, zu welcher bekanntlich aus Staatsmitteln jährlich 10,000 Thaler verwilligt sind. Das Statut, wie ans den Berathungcn hcrvvrging, soll in der Hauptsache Folgendes festsetzcn: I. Nur vollständig organisirtcn und ausgerüsteten Feuerwehren, welche regelmäßige Uebungen halten, sollen bei Unglücks- und Erkrankungsfällen, welche der ausgeübte Feuerwchrdicnst nach sich zog, die Unterstützungen zu Theil werden. 2. Die Unterstützung des im Dienste der Feuerwehr Erkrankten soll je nach dem Verdienste und den Familieuverhältnissen desselben Wöchentlich 5 bis 7'/» Thaler betragen. 3. Bei Todesfällen soll der hinterlassenen Familie oder den unter seiner Fürsorge stehenden Ge schwistern und Eltern eine Nate von 300—400 Thlr. ausgezahlt werden. 4. die Auszahlung der Unterstützungsgelder erfolgt durch den Landesausschnß. 5. Es soll danach getrachtet werden, daß sich bei allen sächsischen Feucrwcbrctt Sanitätsabthcilungen mit ärztlichen Führern bilden.