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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Roffcn, Tithtxlchn und die Umgegenden. Amlsötatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath dase löst. 13. Dienstag den 22. Jebruar 1870. ' ", — , " —- -AA», , » General-Verordnung an sämmtliche dem Finanzministerium untergebene Cassen- und Rechnungsführer. Die Einziehung abgenutzter inländischer Silber- und Kupferscheidemünze betreffend. In Folge der Wahrnehmung, daß ein Theil der für hiesige Lande ausgeprägten Silber- und Kupfer-Scheidemünze bereits einen solchen Grad der Abnutzung erlitten, daß deren Nennwerth nicht deutlich mehr zu erkennen ist, werden sämmtliche fiskalische Cassen- und Rechnungsführer hierdurch ermächtigt und angewiesen, derartige abgenutzte Münzstücke — insoweit sie als wirkliche inländische Gepräge sich charakttri'siren — nicht nur in unbeschränkten Beträgen in Zählung anzunehmen, sondern auch auf Verlangen gegen andere unbeschä digte Courant- oder Scheidemünzsorten umzutauschen, die auf solche Weise eingewechselten Geldstücke aber schlechterdings nicht wieder aus zugeben, sondern Behufs gänzlicher Einziehung derselben zu den an die Finanzhauptcasse einzusendenden Ueberschußgeldern mit zu verwenden. Dresden, am 16. Februar 1870. Finanz-Ministerium. Frhr. v. Friesen. v. Brück. Tagesgeschichte. Wilsdruff, am 21. Februar 1870. Die in No. 13 d. Bl. enthaltene ministerielle Bekanntmachung das Einfangcn der Vögel betreffend, geht in gerechter Würdigung der Verhältnisse einem Unfuge zu Leibe, der schon öfter den allge meinen Unwillen erregt und ist den angedrohten Gegenmaßrcgeln von ganzem Herzen eifrige Beachtung und guter Erfolg zu wünschen. Die Bekanntmachung entwickelt in überzeugender Weise die Ungesetz lichkeit und Schädlichkeit des beregten Uebelstandes und in Verfolg dieser Angelegenheit bleibt nur noch die übrigens selbstverständliche Hinzufügung, daß unter obigem Verbote auch Singvögel inbegriffen sind, bei deren Wegfangung nicht nur Jagdberechtigte und die Land- und Forstwirthschäft, sondern auch alle Diejenigen interessirt sind, die in Wald und Feld nach langer Stubenhaft sich an Gottes schö ner Natur erfreuen wollen. Möge der Lenz allen Naturfreunden die lang ersehnten Freuden in reicher Fülle, müßigem und ungesetzlichem Treiben der Vogelsteller aber die wohlverdiente gesetzliche Ahndung bringen. Auf Anregung des Polizeiarztes Dr. Flachs hat sich nunmehr in Dresden der Verein zur Begründung eines Asyles für Obdach lose constituirt und tritt mit einem Aufruf zu Zeichnungen und Bei trügen an die Oeffentlichkeit. Das Asyl soll vorerst nur obdachlosen Frauen, Mädchen und Kindern für eine oder einige Nächte Aufnahme und Obdach gewähren. Die Dr. N. berichten aus Dresden: Wie leicht ein unbedeu tender Umstand den Tod eines Menschen herbeisühren kann, mag folgender traurige Fall beweisen: Aus dem Hause der Brückenstraße Nr. 9 entflog ein Canarienvogcl und setzte sich auf den Gipfel eines Kastanienbaumes in der Ostraallce fest. Ein Dicnstmann aus ge nanntem Hause suchte den Flüchtling wieder einzufangen und er kletterte zu diesem Zwecke den beträchtlich hohen Baum; doch bevor er die Spitze erreicht hatte, brach ein wahrscheinlich morscher Ast und der Unglückliche stürzte herab, worauf sein Tod sofort erfolgte. Die Dr. N. sagen in ihrer Wochenschau: Der Beschluß unserer Zweiten Kammer, die kirchliche Beerdigung der Selbstmörder betreffend, ist ein schönes Blatt im Kranze einer unseres Jahrhunderts würdi gen Humanität und die vortreffliche Rede des Herrn Abg. Acker mann ist von einem Geiste erleuchteten Christenthums durchweht, daß sie Jedermann, der auf Aufklärung und Humanität Anspruch macht, freudigen Herzens unterschreiben kann. Ein Unterschied zwischen Zu rechnungsfähigkeit und Unzurechnungsfähigkeit beim Selbstmord, wie die Regierungsvorlage hervorhcbt, unterliegt schon deshalb einem sehr gerechtfertigten Zweifel, da wissenschaftlich sehr gewissenhaft nach- gewiescn ist, daß ein Unglücklicher in dem Augenblicke, wo er Hand an sich legt, eben nicht im Besitze eines durch Verzweiflung unge trübten Seeleuzustandes sich befindet und darum eine Zurechnungs fähigkeit entschieden entbehrt. Wie oft heißt es nicht bei einem Selbstmorde bedauernd im Volksmunde: „Der Mann hat den Kopf verloren." Wenn aber der Mensch keinen Kopf mehr hat, wie kann da von einer Zurechnungsfähigkeit die Rede sein? Darum bemerkt der genannte Herr Abgeordnete eben so physiologisch wie psycholo gisch richtig: „Wäre es möglich, einen Selbstmörder in das Leben zurückzurufen und ihm eine» gesunden Körper und freien Geist zu- rückzugebcn, er würde erschrecken über Das, was er (in vcrzweiflungs- voller, umnachteter Seelenstimmung) begangen hat." Ferner: „Wer will sich eines solchen sonnenhellen Geistes rühmen, daß er in die verborgensten Tiefen des menschlichen Herzens schauen und heraus« studiren kann, was im Innern eines Menschen vorgegangen ist, be vor er durch Verhältnisse sich gedrängt fühlt, von dieser Welt Ab schied zu nehmen. Uns steht aber kein Urtheil zu über einen Leich nam, dessen entflohene Seele der Gerichtsbarkeit Gottes angehört." Das sind Aussprüche, eben so wahr wie herzerhebend und um so er freulicher, daß sie an einem Orte ausgesprochen worden, von wo sie weit hinaus über das Volk tönen und Licht und Humanität ver breiten, über ein Volk, das Jahrhunderte lang durch psäfsische Ver dummung und unchristliche Unduldsamkeit von einer kirchlichen Be stattung eines durch Verzweiflung in den Tod getriebenen Unglück lichen abgehalten wurde, während mancher reiche und hochgestellte Missethäter, der freilich lieber in seinem Sündenpfuhl fortlebte, als daß er sich schuldbewußt in den Tod gegeben, mit Glockenklang und Chorgesang, mit Dutzenden von Wagen) Kutschern und Gäulen zur ewige» Ruhe gebracht wurde, der todte Madensack nämlich, wie Doc tor Luther den menschlichen Leichnam nennt; wie's mit der „ewigen Ruhe" der ausgewanderten Seele bestellt ist, ist dem lieben Gott seine Sache. Die Bürgerschaft Pirnas brachte am Mittwoch Abend ihrem Landtagsabgcordnelen Adv. Schreck einen Fackelzug, als Dank für seine Bemühungen zur Erzielung des Ausganges der Südlausitzer Bahn bei Pirna und einer dadurch bedingten Elbbrücke. In Polenz starb vor Kurzem ein im 33. Jahre stehender Hausschlüchter an unverkennbaren Zeichen der Milzbrandvergiftung, er hatte 8 Tage vorher eine Kuh geschlachtet, welche milzbrandig gewesen sein soll. Der landwirthschaftliche Kreisverein im Erzgebirge hat auf Grund der vom königlichen Ministerium des Innern den landwirth- schastlichcn Kreisvereinen verliehenen Befngniß die landwirthschaftliche Preismedaille in Silber verlheilt an Herrn Ortsrichter Uhlig in Grumbach bei Jöhstadt und au Herrn Lehrer Richter in Bürenwalde bei Kirchberg in Anerkennung ihrer Verdienste um die Hebung der Landwirihschaft und Förderung des landwirthschafuicben Vereins- Wesens. — Außerdem hat auf Grund der durch den Beschluß des Kreisvereinsausschusses vom I I. April 1868 dem Direetorium einge- rüumten Ermächtigungen dasselbe auch an mehrere Dienstboten für langjührige Dienstzeit Ehrenzeugnisse ausgelheilt. Bei dem Hilfscomittee in Frauenstein find in den beiden letz ten Monaten außer verschiedenen Colli Effecten noch 5276 Thlr. ein gegangen. Das Strafgesetzbuch für den norddeutschen Bund begegnet im Reichstage einer sehr unterschiedlichen Beunheilung, namentlich findet die Todesstrafe viele und heftige Gegner. Die Fortschritts partei hat bereits beschlossen, einstimmig dagegen zu votiren, ebenso wollen die Sachsen verfahren, und der Gcncralstaatsanwalt Dr. Schwarze aus Dresden will dagegen plaidiren. Am Sonntag war eine freie Comission aus allen Fräctioncn des Reichstages zusammen- gctreten, um sich über die geschäftliche Behandlung der Vorlage schlüssig zu machen. Projectirt ist nach der ersten Lesung die Ver weisung der Vorlage an eine Commission von wo möglich 28 Mit gliedern, und zwar sollen darin jeder Parteistandpunkt, sowie die nationalen Interessen ihre Vertretung finden.