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Montag, 15. Oktober 1906. Nr. 38. Erster Jahrgang. 5luer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge IViMUwoniichrc Bcdaliciii: Fritz Arn Isolde Fsir dir ^nscrcttr r'crantwc>rtti>1>: )Ill>ert Fiichsc-l, beidr i» Anc nut der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes ^onntagsblatt. sprcchstnn-r >rr Bck>.ikttc»> inil Aiisnnl'mi' !>rr Sonninar »nchnnilnss i>c>n 4—L Uhr. — Tciesramm-Ildrejse. Tageblatt Aue. — Fernsprecher :u:. Für »nverlana« einaesanbte Manuskripte kann GrmSkr nicht geleistet werben. Druck nnb Verlag: Gebrüder Ben ihn er O>ib.: Paul Benthnert in Aue. Das Auer Tageblatt hat in Aue nachweislich mehr zahlende Abonnenten als alle anderen hier gelesenen Zeitungen zusammen Bezugspreis. Durch unsere Boten sie! ins Haus monatlich 5n Psg. 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Die Denkmäler slir die im Jahr« 1806 bei Jena und A verstirbt Gefallenen sind gestern in feierlicher Weise enthüllt worden. * In Gegenwart des Kaisers fand gestern auf Schloß Meerholz die Hochzeit des Prinzen Albert von Schles wig-Hol st ein mit Gräfin Ontrud zu Psenburg statt. * Charles Magoon ist förmlich als vorläufiger Eou- verneurKubas anstelle von Taft eingesetzt worden. Er hat einenAusruf erlassen, in dem er erklärt, erwerbe seineVollmachten im Sinne der Erhaltung der kubanischen Unabhän gigkeit ausüben. Major Fischer vom Oberkommando der Schutztruppe ist aus der Haft entlassen, das Strafverfahren ge gen ihn eingestellt worden. * Näheres siehe unten. Jena ober Leva»? Es sind gestern hundert Jahre verflossen, seit das preußische Heer an dem Unglückstage von Jena und Auerstedt am 14. Okto ber 1806 völlig auss Haupt geschlagen und der ohnmächtige preu ßische Staat in die Hand des Siegers Napoleon gegeben wurde. Der Tag von Sedan wird noch heute bei uns feierlich begangen, des Tages von Jena aber zu gedenken, hält man bei uns nicht für nötig, obwohl es recht angebracht wäre, wenn man sich nicht nur an die glücklichen, sondern auch an die unglücklichen Tage der Geschichte des Volkes erinnerte, den am Ende können wir aus dem Tage von Jena noch mehr lernen als aus dem von Sedan. Freilich, daß man in unseren leitenden Kreisen und in denen des hohen Adels nicht an den Tag von Jena erinnert werden mag, das können wir unschwer begreifen, denn die Schlacht von Jena bedeutete den Zusammenbruch jenes reaktionä ren Sy st em s, das sich auch heute wieder breit macht. Was war der Bürger vor hundert Jahren. Er war ohne Anteil an der Regierung und Verwaltung und lediglich mit dem Rechte ausge stattet, Steuern zu zahlen und den Mund zu halten. Was war der Bauer? Nichts als gesetzlich an die Scholle gefesselt. Die Recht« des Gutsherrn, so schrieb der Geschichtsschreiber Schlözer, waren nicht besser begründet als Straßenraub. Daß das herrschaftliche Wild die bäuerlichen Aecker verwüstete, war eben so Recht wie es Recht war, daß der Bauer, der sich des Wildes er wehrte, mit schwerer Leibes- und selbst mit Todesstrafe bedroht war. Und was waren vor hundert Jahren die Fürsten? Sie dachten nicht an ein deutsches Vaterland, sondern nur an ihren Hausbefltz und an ihren persönlichen Vorteil. „Verrieten doch viele eurer Fürsten", so schrieb Stein in seinem Ausruf an die Deutschen, die Sache des Vaterlandes, statt für sie zu bluten und zu fallen, ließen sich doch viele eueres Adels und euerer Staats beamten zu Werkzeugen seines Unterganges brauchen. Und was war endlich vor hundert Jahren die Armee? Nicht ein Volt von Waffen, sondern ein Söldnerheer, in dem der Adel die Führung hatte. Entnervt durch einen schwelgerischen, unsittlichen Lebenswandel und dabei übermütig glaubte damals der Offizier, glaubte jeder Eardeleutnant, daß er mindestens ein Bonaparte sei. Noch kurz vor der Schlacht von Jena hielt bei einer Parade in Potsdam ein General eine Ansprache an die Ossiziere in der er erklärte, Seiner Majestät Heer habe eine ganze Reihe solcher Generale aufzuweisen wie den Monsieur Bonaparte. Noch am Morgen des 14. Oktober, als Napoleon bereits seine Truppen entfaltete, spotteten die preußischen Befehlshaber, daß der Korse nicht wagen werde, eine Schlacht zu beginnen. Und an demselben Abend war das preußische Heer nicht nur geschlagen, sondern ver nichtet. Nicht nur eine Schlacht war verloren, sondern die Ehre. Am 17. Oktober verkündete der General Echulenburg- Kehnert in der Reichshauptstadt: Der König hat eine Bataille verloren, jetzt istRuhedieersteVürgerspflicht. Ich fordere die Einwohner Berlins dazu aus. Der König und seine Brüder leben!" Zehn Tage später zog Napoleon in Berlin ein, und eine Menge deutscher Edelleute aus den ältesten und angesehensten Häusern drängten sich, ihm den Hof zu machen und seine Gunst zu erflehen. Das war der Adel der deutschen Nation! Wodurch aber wurde die Wiedergeburt des preußischen Staates herbeigesllhrt, wurde es bewirkt, daß aus Jena Sedan Hinter ilen ennlirren iler dilien pilitik. Wir fahren heute in unseren Mitteilungen aus den Denk würdigkeiten Chlodwig Hohenlohes fort: Dir Tragödir des Baqernkönigv. St raßbu rg, 20. Juni 1906. Montag früh, kam die Nachricht von dem entsetzlichen Ende des Königs und von dem Tode des Dr. Kudden. Ich bestieg abends 9 Uhr den Zug nach München. Dort ging ich in die 12 Uhr anberaumte Sitzung der Reichsräte und wurde nun in die Kommission gewählt, die beauftragt war, die Tatsachen zu prü fen und sich über die Regentschaft auszusprechen. Mittwoch mittag fand die erste Sitzung der Kommission statt. Hier berichtete erst Minister Lutz über den Hergang, sagte, daß das Ministerium erst im Frühjahr dieses Jahres die Ueberzeugung von der Geist cs- kran k h e i t des Königs gewonnen habe, erklärte, warum man in der bekannten Weise vorgcgangen sei. und las dann die Akten stücke vor, welche über den Zustand des Königs Auskunft gaben. Der Bericht des früheren Kabincttsrats Ziegler war ohne Be deutung und die Details alle bekannt. Der Kabinettsrat M ü l- l e r brachte einiges Neue, so den Wunsch des Königs, ein ande re s L a n d z u finden, wo er ohne Kammern regieren könne, die düstere Eemütsstimmung, den Lebensüberdruß des Königs und eine Reihe von Briesen, darunter solche, in denen er dem Kabinettsrat schwärmerische Frcundschastvversicherungcn macht. Der Bericht von Hornig gab Auskunft über die Manie des Kö nigs, Leute zur Vastille zu verurteilen, dann über die Aufträge die er gab, durch Einbruch aus den Banken Geld zu nehmen, über Wutausbrüche des Königs, über Miß handlungen der Diener, über die Austräge, den Kronprinzen von Italien zu sangen, ihn einzusperren und zu peini gen, dann über die Schlaflosigkeit des Königs, seine steten Kopf schmerzen u. a. In ähnlicher Weise deponierte auch der Kammer diener Wilker, der das Zeremoniell beschrieb, das die Diener beobachten mußten, die Einrichtung des Burgrelieses, die Abnei gung des Königs gegen München, den Kultus Ludwigs XIV. und Ludwigs XV. Er, wie der später vernommene Kammerdiener Mayer sprachen von derllnreinlichkettdesKönigs und ähnlichem. Mayer erzählte, daß er ein Jahr lang nur in einer schwarzen Maske servieren durste, weil der König, wie er sich äußerte, sein Verbrechcrantlitz nicht sehen wollte. Dann kamen die Gutachten der Irrenärzte, die alle die Geistesstörung als un zweifelhaft feststehend bezeichneten. Die Krankheit Kaiser Friedrichs. Berlin, den 29. März 1887, Um 12 Uhr war ich bei dem Kronprinzen, der wenig sprach, da er noch immer heiser ist, der mich aber aussorderte, ihm aus führlich Bericht abzustatten über meine hiesigen Erlebnisse. Ich tat dies. Er hörte mit großem Interesse zu, lächelte mitunter oder schüttelte den Kops und fragte dann, ob ich wünsche, daß er etwas tue. Ich lehnte dies dankend ab, behielt mir aber vor, ihn um Hilfe zu rufen, wenn dies nötig sei. Er sagte: „Ich höre nicht s. Ich erfahre dies nur durch die Zeitungen, und dabei ist der Kaiser neunzig Jahre alt!" Ems, 8. Juli 1887. Heute morgen Badepromenade. Dann Frühstück aus dem Pilz mit Prinz Wilhelm, Prinz Nikolaus von Nassau, Perponchcr, Reischach und anderen. Die Meldungen wurden gemacht und dann Karten ausgetragcn durch Thaden und Alexander. Ich ging unterdessen mit Nadolinski spazieren, der mir heute Nachrichten vom Kronprinzen brachte. Mackenzie scheint doch recht gehabt zu haben. In Berlin wollten die Aerzte operieren. Mackenzie kam im letzten Augenblick auf Wunsch der Berliner Aerzte und verhinderte die Operation. Bismarck hatte sich zum Kaiser begeben und gegen die Operation gesprochen. Teilnahms losigkeit des alten Herrn, auch des Hofes, d. h. der Umgebung. Prinz Wilhelm wollte die Vertretung in London haben und war dann mißgestimmt, als der Kronprinz selbst ging. Es gibt Leute, die den Prinzen Wilhelm als Nachfolger vorzögen, und die wahrscheinlich Hetzen. Der Reichskanzler ist für den Kronprinzen. Hoffentlich wird er wieder gesund: denn Prinz Wilhelm ist noch zu jung. Bcrlin, 24. März 1888. Heute nachmittag fuhr ich vor der Cour zuBismarck. Ich sand ihn wohlaussehend und gesprächig, wenn er auch klagt, daß scineKraftzuEnde sei. Er könne aber nicht fort, da sonst allerlciTollheiten begangen werden würden. Wir spra chen von der Vereidigung der Beamten nnd des Landesausschusses. Er meinte, man solle das alles lasten, es dauere doch nicht lange mehr. Von einer Hoffnung sei nicht die Rede. Er bewundert auch den Kaiser, beklagt ihn um so mehr, als man ihm erzählt hat, er werde von den englischen Aerztcn roh und rück sichtslos behandelt. Sie nähmen ihm die Kanüle heraus, um sie zu putzen, ohne ihm eine andere einzusetzen! Sie vernachlässigten seine Bequemlichkeit usw. Wenn alles wahr und nicht übertrieben sei, was man erzähle, müsse man einen Staatsanwalt schicken, um den Kaiser zu beschützen. folgte. Durch die freie Anschauung, die in der Politik Platz ge griffen hat, durch die allgemeine Steuerpflicht, allgemeine Wehr pflicht, allgemeine Schulpflicht und allgemeines Wahlrecht. Das heißt durch all das, was die Konservativen noch heute bekämpfen. Und eben deshalb sind die politischen Kämpfe, die wir heute aus kämpfen, noch immer ein Kampf um Jena oder Sedan. Nach Jena weist der Weg der Reaktion. Wird es gelingen, der Reaktion Herr zu werden? Politische Tagesschau. Aue, 15. Oktober 1906. rv. Der Besuch des Kaiserpaares in München. Die Korrespon denz Hoffmann schreibt: Auf Einladung des Prinz-Regenten wird mit dem Kaiser auch die Kaiserin zum Besuche des Regenten und zur Teilnahme an den Festlichkeiten für das deutsche Mu seum nach München kommen. Das Kaiserpaar wird vermutlich am 12. November vormittag 11 Uhr in München eintresfen. rv. Reichskanzler Fürst »Ülo« und Gemahlin haben sich Sonntag abend 61/2 Uhr von Homburg v. d. H. aus nach Schloß Friedrichshof begeben. c Die vraunschweigische Frage. Zur neuesten Kundgebung des Herzog sv on Cumberland schreibt die Braunschw. Lan- desztg. u. a.: Es ergibt sich nun, daß die Unmöglichkeit der In thronisierung eines Mitgliedes des Hauses Cumberland zurzeit, solange der Herzog am Leben bleibt, als erwiesen anzusehen und demgemäß die Wahl eines Regenten nunmehr unausweichlich ge worden ist. Ob dieser Regent nur als einstweiliger Nothelfer für die Vornahme einer Verfassungsänderung behufs ständiger Ein setzung eines Herzogs aus eigenem Landesrechte (was wir für das wichtigste halten würden), oder als dauernder Platzhalter für spätere Zeiten zu wählen sein würde, immer würde eine solche Wahl nicht zu umgehen sein. Der Fall Wistuba. Die Germania bleibt trotz des offiziösen Dementis dabei, daß im Falle Wistuba „die ausschlaggebendste" Stelle im Reiche eine Verfügung aus die Verweisung an die Dis- zipl rarkammer rückgängig gemacht habe. Demgegenüber teilt die Nordd. Allg. Ztg. mit, daß gegen Wistuba ein gericht liches Strafverfahren eingeleitet worden sei, was das vor läufige Ruhe des Disziplinarverfahrens zur Folge gehabt habe. «. Zum polnischen Kinderkrieg. Gestern, Sonntag wurde in allen katholischen Kirchen der Diözese Gnesen-Posen ein Bismarck zu reich. - Be r li n, 26. Mai 1888. Ich war bei Bleichröder. Auf die Politik übergehend, sagte Bleichröder, er verstehe die Wilhelmstraße nicht mehr. Er sehe nicht ein, warum man Frankreich bedrohe, da man dort sehr bereit sei. mit uns in Frieden zu bleiben. Ebenso sehe er keinen Grund, Rußland zu bedrohen. Glücklicherweise habe Bismarck im letzten Augenblick die Zollerhöhung aus Ge treide inhibiert. Bleichröder behauptet, Bismarck laste dem Sohne zu viel freie Hand. Er sei zu reich geworden. Dazu komme, daß Bismarck um jeden Preis auch unter der Regierung des jetzigen Kronprinzen im Amte bleiben wolle. Er habe vor einigen Monaten dem Kronprinzen erklärt, er werde auch ihm seine Dienste widmen, werde aber nicht bleiben, wenn der Kronprinz den Krieg wolle. Jetzt, meint Bleichröder, werde er auch um den Preis des Krieges bleiben. Die jetzigen Hetzereien seien eine Konzession an den künftigen Kaiser und dessen mili tärische Ratgeber. — Bei Wilmowski, den ich nachher be suchte, fand ich dieselben Besorgnisse und dieselbe Mißstimmung über Herbert Bismarck, den auch dieser für ein Unglück sür das Reich ansieht. Der Kronprinz stehe unter dem Einfluß von Wal- dersec und Herbert Bismarck. Beide arbeiten aus den Krieg, während Wilmowski der Ansicht ist, daß man kei nen Krieg führen dürfe nur deshalb, weil wir bester gerüstet seien als die Gegner. Unter solchen Umständen werde der Enthusias mus der Nation für den Krieg fehlen, und das sei sehr bedenklich. Bismarcks „Neid." Vaden, 15. Juli 1888. Abends auf der Promenade sprach ich mit Maxime Ducainp. Er ist über die Maßregeln in Elsaß-Lothringen betrübt, weiß aber, daß ich nicht schuld trage. Er erzählte allerlei, unter ande rem, daß zurzeit der Wahlen unter den fürstlichen Personeen die Rede davon gewesen sei, man solle die Statthalterschaft erblich machen und mich als erblichen Statthalter einsctzen. Das gibt mir zu denken. Es ist sehr möglich, daß die Bemühungen Bismarcks, mir meine Stellung hier zu verderben, auf denNeid zurückzufllhren sind, welchen die Familie Bismarck darüber empfunden hat, daß ich diese erbliche Stelle erhalten sollte, während Bismarck nicht erblicher Herzog von Lauen burg geworden ist. In der Tat hat mir bisher immer die Er klärung dafür gefehlt, daß Bismarck mir stets Prügel zwi- schen die Füße geworfen hat, sobald es in Elsaß-Lothringen gut ging und ich mir die Anerkennung der Welt oder des Kaisers erworben hatte.