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Schulden machen her. Dem steht aber di« fast vergessene Tat- 'achc entgegen, daß der ursprüngliche Entwurf der Reichs- Verfassung den Artikel 78 noch nicht enthielt; er ist viel mehr erst durch den Reichetag hinzugefügt worden. Der Vater der Verfassung, Fürst Bismarck, hat »Iso an Retchsschulden überhaupt nicht gedacht. Ein etwaiges Defizit, gleichviel au» welchen Bedürfnissen es her rührt, .sollte nur auf di« Matrikularbeiträge angewiesen sein. Das ist ein historisches Faktum» das man sich von Zeit zu Zeit immer wieder in» Gedächtnis rufen mutz. Der Grundsatz, keine Schulden machen zu dürfen, stanz' übrigens in Wochelbqziehung mit der ganzen Konstruktion des Reich» als Bundesstaat: alles, was das Reich brauchte sollte «Len anteilmäßig von den einzelnen Bundesstaaten getragen werden. Anleihen sind also gemäß Artikel 73 lässig im Falle außerordentlichen Bedürf».sse». Der B? griff des außerordentlichen Bedürfnisses ist von d.'r Ber fassung nicht definier , auch Nicht näher angrdoutei worden Da» aber unterliegt kr.nem Zweife', datz man bei Redak tion des Artikels 78 unter dem Begriff autzrrordentliche» Be dürfni» nur «in wirklich außergewöhnlich«» Er. «igni» .verstanden wissen wollte, etwa «inen Krieg, de' lo unqewvnhliche Anforderungen an die Finanzen de» Reich stellt, datz «in Zurückigreffen auf di« Mittel der Bundes staaten eine Unmöglichkeit ist. Die Not der praktischen Be- dürfniss« hat jedoch zu der Hebung geführt, alle Aus- geben die khrer Natur nach in das Eztraordinarium des Etat» fallen, al» solche zu betrachten, di« dem Degr-ff de< «vuherordentlichen Bedürfnisses «ntspr«hen und damgomäf. soweit ihnen nicht Kraft besonderer Reichsgesetze gewisse Einnahmen gegenübrrftehrn, durch Anleihen zu decken find. Gegen diese Auslegung des Artikel» 78 war gew h nicht» «inzuwenden, so lang« daran fcstg.chalten .wurde. Aufnahme und Tilgung der Anleihen für autze"- ordentliche Ausgaben «ntffprechend ihrem Tharakter und Zweck zu gestalten. Demgemätz ist von der Reichsregievuni wiederholt erklärt worden, Ausgaben für Anschaffungen, die im einem Menschenalter aufgebraucht werden, di« also Mr die nächste Generation schon wertlos find, müßten von dem Geschlecht getrogen werden, dem sie zustatten kommen. Es müsse daher auch Li« ziWnftige Generation mit Aus gaben für Derzinßuny und Tilgung von Kapitalien ver schont Meiden, Mr die später «in Gegenwert überhaupt nicht mehr vorhanden ist. Seit dem Jahre 1902 ist man jedoch — der Not gehorchend nicht dem eigenen Triebe -- von der vorsichtigem Auslegung abgekommen. Der Etat Mr 1802 wie» im den laufenden Ausgaben ein Defizit von 88 Millionen auf, das nach dem Willen des Bundesrats auf Grund des Artikel» 78 mit einer Auschutzanleihe gedeckt weiden sollte. Der Reichstag erklärte zunächst, «in Defizit des Reichs könne nicht in Frage kommen, weil es von den Bundesstaaten durch Maitrikularbeitväge zu decken sei. Di« Anleihe wurde aber trotzdem schließlich bewilligt. Im nächsten Jahr wurde eine ZuschuhaNleih« von 72 Millionen und im Jahr darauf «in« solche von 59 Millionen bean tragt. Es wiederholt« sich da» gleiche Spiel. Der Reichs tag sucht« sich zu saldier«!», indem «r derartig« Grgänzungs- rrnleihem al» der Verfassung nicht «mHprechend bezeichnet«, bewilligt« aber gleichpwhl da, verlangte. Seitdem sprudelt die Anleihequelle unoerstegbar und unterschiedslos Mr allo Bedürfnisse des Etat». Wenn da» Reich dabei heute zu eineim Bestände von über 8 Milliarden Mark Schulden gelangt ist, so beruht dieser Zustand unzweifelhaft, wenn auch nicht auf «iner wörtlichen Verletzung, so doch auf «ner Auslegung der Verfassung, an di« noch vor 15 Jahren niemand gedacht hat oder denken konnte. In AL- änderung eine» alten Spruches darf man sagen: Nicht nur Bücher, sondern auch Schulden haben ihre Geschichte. Unsere SanttälsLrzte. . * Von militärischer Seite wird uns geschri den: Im Reichstage .st schon des Menen darüber Klag« geMhrt worden, dotz. vs in der Arme« stark an Aerzten mangel« und auch in der Presse sind die sich dadurch er gebendem U übelstände seit Jahren kritisiert worden. Für den Ernstfall perMgen wir ja über eine ganz beträchtnch« Anzahl von Aerzten de» Beurlaubtenstande» und auch au» den Kreffen der Zivilärzte würden stcherlich zahlreiche HWckräfte kommen. Aber hierdurch wird di« unzulänglich« Zahl Mr den yriedensstanv nicht «- mildert. Die Gründ» hierfür find nicht bekannt» ft« gipfelten in der Hauptsache in dem Umstand«, datz zwar dem Buchstaben nach di« Militärärzte als Offizier« gelten, ohne datz aber eine wirkliche Gleichstellung in de» Praxi» zu verzeichnen war. Ganz akgchchen davon, tast «s Regiment«» geben soll, deren Offizier« einen.gesellschaft lichen Verkehr mit ihren ärztlichen Kameraden ablehnen, gab es auch in der Dienstvorschrift Bestimmungen, di« -um WuSdruck brachten, datz di« Militärärzte nicht als voll» o-fftzt«re gelten. So trugen bisher die Sanitätsoffizier», auch wenn sie Lei der übenden Truppe Dienst taten kein« Feldbinde, wodurch st« sich schon Suherlich von den übrige» 'Offizieren unterschieden. De» weiteren bestanden andere Vor schriften für da» Grützen, Marschieren der Truppen, Mr di« Beerdigung etc. Mancher May das Mr eine Aeußerlichkett ansehen, in Wirklichkeit aber muhte eben diese Differenz zwischen den Sanität» und anderen Offizieren di« Lu tMigten Kreise peinlich berühren, und dies« Umstände trugen auch dazu bei, oft recht tüchtige Peinlichkeiten vom Eintritte in den ärztlichen Heeresdienst fvrnzuhälten. Man hat dann durch andere Mittel versucht da» Manko zu er gänzen, indem man Mr Verzth die nicht auf der Kaiser- Wilhelm-Akademie Mr Militärärzte kostenfreie» Studium genossen hatten, bei ihrem Eintritt in di« Armee Etudien- geldenischädigunyen und manche Erleichterungen gewährt«, gleichwohl vermährte sich die Zahl der Gintretenden nur um ein Geringes, und ganz besonders bei der letzten Keeresver- mehrung mutzte sich dieser Mangel ganz empfindlich be. merkbar machen. G» gab Zeiten, wo in d«n unter«!» /Stellen fehlten, und wenn auch di« oberen sämtlich besetzt waren, fo mutzten deren Inhaber meist einen Teil der Funktionen der unteren Militärärzte noch mit übernehmen, mit dem Resultat grotzer Ueberlastung; Nr. 4S. , Mittwoch. 2S. Februar 1914. 9. Jahrgang. Diese Nummer »mfatzt 8 Seite«. Das Wichtigste vom Tage. I Di« Meichsetnnahmen ioerden tm EtatSjahr 1918 keinen Uetzerfchutz gegenüber dem Vor anschlag de» R«ich»hau»halt»«tat * drin gen. * Die Gesamtzahl der imLahr« 1918 in Deutsch land erschienenen Bücher und Zettschrts- ten betrug S889S. « Mer Einzug ds* künftigen Herrscherpaare» von Albanien in Duraz-o findet am 8. oder 6 I Mär» statt.«) I T O ! Rach der neuesten Meldung stellt sich der Bomb«n. anschlag g«gen den Bischof von Devree- hin aB «in politischer Anschlag heran».*) « Maischen d«n Anhängern Essad Pascha* und Kemal Beh* kam «» vor Gwassan neuerdtng» zu blutigen Kämpf««. « JniSshimara, im Norden dem Upiru*, wurden die Behörden avgefetzt und di« Unabhängig- keit de« Lande» verkündigt. »» sa« a» «a«, **ll«. Reichsverfassuug uuü Neichsschuläen. Rach einer amtlichen Zusammenstellung belaufen sich die Schulden des deutschen Reich» auf über fünf < . Milliarden Mark. Wenn man nun die Reichsver- fassung daraufhin prüft, auf welchen Bestimungen die Be- rechtigung beruht, derartige hohe Schulden — und zwar zum großen Teil unfundierte bezw. unproduktiv« Schulden — zu machen, so lassen sich erhebliche Zweifel nicht von der Hand weisen, ob unsere Reichsfchulden mit dem Wortlaut und dem Geist der Verfassung in Einklang ge bracht werden können. In Frage kommt hierfür in erster Linie der Artikel 70, in dem da» Prinzip festgelegt ist, datz, soweit die Ausgaben des Reich, durch eigen« Einnahmen nicht gedeckt werden, diese durch Beiträge der Bundesstaaten aufzu- bringen sind. Hier ist, was nicht scharf genug betont werden kann, zwischen laufenden und auherordentlichen Ausgaben kein Unterschied gemacht. Weiterhin kommt in Betracht der Artikel 78 der Verfassung, nach dem im Falle eines auherordentlichen Bedürfnis!«, im Weg« der Reichs- gesetzgebunH di« Aufnahme einer A n leih« «rfolgen kann. Aus dieser letzten Bestimmung leiten di« gesetzgebenden « , Faktoren di« unbegrenzte Berechtigung de» Reich» zum Berliner Brief. tri»«!»»,« ) (Var affhmSht» Nachtleben. — ver Hilferuf nach der Polizei. — ver erst« schritt zur vemoralisirung. — Vie Schlupfwinkel. — Vie Polizei al» Lnieher. — L» wird nicht» so heiß geaeffen . . — Vie untenan», Lichtreklame. — ver gerLuschvoll» Autoomnibn». — Zwei ver- me von denen man nicht» Hirt. — ver gut» Ion in der Konfektion , In» preußischen Abgeordnetenhaus« hatten ste Berlin wieder einmal ordentlich Leim Wickel. Da» arm« Berlin muht« wieder die schlimmsten Anschuldigungen «rleiden. Herrgott von Bentheim, was mutzten wir alle» hören I So dom und Gomorrha müssen wahr« Dorado» gvg n den Sündenpfuhl Berlin gewesen fein. Selbstverständlich wird kein vernünftiger Mensch behaupten wollen, datz di« Klagen ganz unberechtigt wären. Aber wo gäbe «» bei so viel Licht keinen Schatten? wo in aller Wett gibt es ideale Zustände, gibt es keine Not, kein« Unstttlichkeit? Nur soll man sich hüten» zu verallgemeinern! soll sich hüten, von anderen auf uns zu «zempliftzttren. Und stellt man sich auch schon auf den Standpunkt, Latz di« recht hätten, di« all da» HGlich« und Verdammenswerte so schwarz sehen, so -mutz man ihnen unrecht geb.-n, wenn sie da» Unh«il mir Polizetmatzr«g«'n bannen wollen. Wi« man Kinder zum Guten durch da, Beispiel erzieh*, so kann «in Volk auch durch das Beispiel der führenden Männer erzogen werden, zum Guten und zum Schlechten. Wir haben 800 000 Dameindeschulkinder, und nicht viel weniger SchiN«r und Schülerinnen höherer Anstalten. Dort mutz man anfangen zu erziehen. Am Ende ist dt« ganz» Geschichte ein« Frage de» guten Geschmacke» und de» Taktes. Und weiter herrscht auch immer noch da» -Gesetz d«» Angebot» und der Nachfrage. Di« Eiferer gegen Berlin wollen alle» durch die Polizei zu bessern suchen, -sie glauben, die Be schränkung der Polizeistunde würde -elfen, di« Errichtung von Kino» von der Konzession abhängig zu machen, wäre ein Heilmittel, durch di« Beschlagnahme von künstlerischen Reproduktionen nackter Skulpturen könne man «in« größere Sittlichkeit -etbetMhren. Gefehlt! Alle, was hier ist, hat,sich organisch entwickelt, auch da» sogenannt« Nachtleben, von dessen Aürchterlichkeit im Abgeordnetenhaus? so viel -gesprochen wurde. SN» man —- wie lange ist'» her — di« Herrschaft der Meister über di« Lehrlinge brach, al» o» aushvrte, daß di« Prinzipale sich u i: ihr Personal nicht mehr kümmern durften, da war der erste Schrtt' zur Dmoraltsterung getan. Zuge- gaben, daß «ine neu« Zeit die Freiheit gefordert hatte, — aber fand sich der Staat dazu bereit, st« zu gewähren, so mußt« ,r auch auf die Folgen gefaßt sein. E» schwand di« Autorität, der Glaube an die bessere Einsicht der Tlt«rn, die Achtung vor dem festen Gefüge einer soliden Lebens führung, bi» wir schließlich den Boden unter den Füßen etwa» verloren. Wir wurden zudem reich, und mit dem Reich um stellten sich neue Bedürfnisse und neue Wünsch» ein. Das Faustisch» Erb«, das: Im G»nutz verschmacht' ich nach Begierde ... ist uns gebli«L»n, und der alitz Para- dieifluch ist unser Teil geworden. G» wird wohl keinen Menschen .geben, der nicht bereit mär«, mi-tzuheffen an dem gewaltigen Werk »iner sittlichen Wiedergeburt! aber solang« es B.rbrocher gib, Diebe, Mörder, Defraudanten, Mädchenfänger — so lange wird wohl dies» sittlich» Wiedergeburt ein schöner Traum bleiben. Den striktesten Beweis, daß wt, in Berlin die Lokal, brauchen, dt» jetzt so energisch und mit so großer Ent- vüstung -Kämpft werden, erbringt die Polizei selbst. S1« mutz sie haben, weil ste sonst nie einen Spitzbuben «tuen Hochstapler, «men Defraudanten kriegen würde. Die schlupfwtrckel des Verbrechers können nicht ausgeräuchett werden, well wir — leider — noch immer Verbrecher haben, und Mr ein» sichtbare Kaschemme, die geschlossen wird, tun sich zwei auf, die man nicht isteht. Soll man nun di« Hände untätig in den Schatz legen? Gewiß nicht, aber man soll auch nicht den Grundsatz verfolgen, die Polizei als Erzieher herbeizurufen. Und vor allem soll man nicht glauben, daß es so schlimm um Berlin, bestellt sei, wie uns die Pessimisten gern glauben Machen wollen. Da» alte Sprichwort: Allzu scharf macht schartig ... hat auch in diesem Falle Geltung, und man soll >stch hüten, nun etwa auf einmal die VergnügungMraube zurückdrehen zu wollen. Geschteht es dennoch, so gäbe e» «in« wirt schaft lich« De route, wenigstens in den Kreisen bestimmter Erwerbsständ«. Auch der Grundbesitz würde ent wertet, und Taufende und Abertaus«nde würden brotlos werden. Also es dürfte einigermaßen Vorsicht am Platze sein, wenn man Reformen durchführen will. Aber schließ lich es wird ja ni« fo heiß gegessen, wie «s auf den Tisch kommt, und da Mr dt« selige Lez Heinze glücklich über standen haben, und dabei sogar größer und stärker -ewo.den find, werden mir vermutlich dt« «wurste Attacke auch über- sdchen. Dt» Herren, die heute in so brüsker Manier kein gute» Haar an der Mutter Berolina lassen wollen, sollten einmal die richtig», nicht di» Kehrseite der Medaille an- sehen, da werden,ste finden, daß diese» viel verlästert« Berlin auch «seine ausgezeichneten Seiten hat. Mit diesem Ausblick auf ein« besser» Erkenntnis kann man «tgentlich da» Kapitel schließen, dessen Seilen ja -immer von Zett zu Zett wtSder einmal aufgeschlagsn werden dürften. Ein unerquickliche, Thema wird ja nicht besser, wenn man unaufhörlich daürber spricht, und praktisch» Ar beit ist immer besser, al» bange» Theoretisieren. Datz man von oben oft zu rigoro» ist, beweist die Verfügung, nach her nicht einmal mehr di« harmlosen Lichtreklamen in den Schaufenstern sein sollen. Die wechselnden Tramsoarent« in den Auslagen stören, so heißt «», den Verkehr -auf der Straße. Bisher ist allerdings noch kein Fall sorge-