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ilsdmffer Tageblatt Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meisten, des Amts gerichts und des wtadtrats zu Wilsdruff, des Forstrenramts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt. Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft. Das »Wilsdruffer Tageblatt" erscheint an allen Werktagen nachmittags 5 Uhr. Bezugspreis: Hei Abholung in der Geschäftsstelle und den Ausgabestellen 2 RM. im Monat, bei Zustellung durch die Boten 2,30 RM., bei Postbestellung Zuzüglich Abtrag- . .. .. gebühr. Einzelnummern rbApsg.AllePostanstalten Wochenblatt für Wilsdruff u. Umaeaend Postboten und unsereAus- tragerund Geschäftsstellen — — nehmen zu jederzeit Be ¬ stellungen entgegen. Im Falle höherer Gewalt, Krieg oder sonstiger Betriebsstörungen besteht kein. 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Es ist wirklich nicht unrichtig, wenn in den Wandel gängen des Reichstages anläßlich der jetzigen Regierungs krise einmal gesagt worden ist: Nicht — wie früher — in jeder Stunde ändert sich die Situation, sondern in Minuten. Die Fraktionen kommen aus den Beratungs zimmern gar nicht mehr heraus; bei dem Maun, der mit der Regierungsbildung beauftragt ist, geben sich die Kandidaten sozusagen die Türklinke in die Hand — aber ein Beschluß, der von einer Fraktion um 12 Uhr gefaßt ist, wird kurz darauf wieder umgestoßen, durch einen neuen ersetzt, und wenn des Morgens irgendein Parlamentarier als Ministerkandidat bezeichnet wird, ohne dessen Er nennung seine Fraktion die ganze Geschichte nicht mehr mitmachen zu wollen ausdrücklich erklärt hat, so kann er sich spätestens am Abend in der Gewißheit zur Ruhe be geben, daß von ihm schon längst gar keine Rede mehr ist. Der Versuch Müllers-Franken, einfach ein Ministerium der „Köpfe", also der politischen Fraktionsführer, zu bilden, ist ebenso gescheitert wie sein erster, durch Ver handlungen mit den Fraktionen selbst eine Regierungs basis zu bilden. Der Einzelwünsche waren viel zu viele und viel zu widersprechende gewesen, die von den Frak tionen — Deutsche Volkspartei bis Sozialdemokratie — eingebracht waren. Bei der zweiten Etappe aber hing an den zu Ministerkandidatcu berufenen Führern wieder allzu schwer das Bleigewicht der Fraktionen und ihrer politischen und personellen Wünsche. Bekannt lich hatte Dr. Stresemann für sich und seinen Fraktions kollegen Dr. Curtius in einem Telegramm an Müller- Franken seine Bereitwilligkeit zum Eintritt in das neue „Kabinett der Köpfe" erklärt, und zwar ohne seine Fraktion vorher zu fragen. Darauf antwortet die Deutsche Volkspartei mit einer unzweideutigen Erklärung, die ihrem Fraktionsvorsitzenden Dr. Scholz das einhellige Vertrauen ausspricht, dann aber weiter eine engere Füh lungnahme zwischen ihm und dem Parteivorsitzenden — Dr. Stresemann — in allen politischen Entscheidungen verlangt. Das ist eine außerordentlich auf fallende Erklärung gegen Dr. Stresemann durch seine eigene Fraktion und wird nur wenig dadurch ge mildert, daß noch weiter gesagt wird, die Fraktion wolle gegen den Eintritt ihrer beiden bisherigen Minister in das neue Kabinett keine Einwendungen erheben, behalte sich aber ihre endgültige Stellungnahme bis zur Bekannt gabe der künftigen Regierungserklärung vor. Ebenso heftig war der Widerstreit der Mei- nn n gen , das Hin und Her der Absichten und Beschlüsse beE durchaus mit Dr. Wirth den Vize- kanzlerhosten besetzen wollte und, als dies am Widerspruch des Reichsprasidenten und der anderen Parteien — auch Dr. Stresemaun;oll hx, Hindenburg direkt sich sehr scharf dagegen erklärt haben — schließlich doch scheiterte, wurde für Dr- "politisches" Ministerium, und zwar das des Innern, verlangt. Aber davon wollten die Sozial demokraten ebensowenig etwas wissen wie die Demo kraten — bie eigentlichen Verhandlungen waren ja schon längst wieder in die Fraktionszimmer verlegt so daß am Mittwoch abend auch der zweite Versuch einer Kabinettsbildung gescheitert war. Da hat sich denn nun ein neue r U m schwung an- gebahut, an dem das charakteristische ist, daß das Zentrum auf fast alle Wünsche verzichtete, nur einen einzigen seiner Fraktionsmitgliedcr, und zwar den Ersitzenden von Guerard, in das Kabinett entsendet. Entsendet^ Vielleicht stellt sich das Zentrum ähnlich wie die Volkspartei auf den freilich nur theoretisch haltbaren Standpunkt, daß es diesem Kabinett gegenüber „freie Hand behalten habe, ludem Guerard zwei „unpolitische" Ministerien — das der besetzten Gebiete und das Verkehrsmimstermm — Aten wird. Ähnliches war auch beim letzten Kabinett Aarx erklärt worden, aber auch hier rein theoretisch ge- dueben. In der Praxis gehen alle Minister als Beanf ragte ihrer Fraktionen in die neue Regierung hinein, "agen alle beteiligten Fraktionen die Verantwortung für Politik, die nun getrieben wird. Natürlich wird, die Reichsarbeitsminister Wissell. Reichsfinanzminister Dr. Hilferding. Reichswehrminister Dr. Gröner. Reichsverkehrsminister v. Guerard. Reichspostminister Schätzel. Situation des Augenblicks nur als provisorisch betrachtet, obwohl das Zentrum schon seit langem erklärt hat, sich etwas aus der allzugroßen Verantwortlichkeit in der Re gierung zurückziehen zu wollen. Es ist ihm auch gelungen, das besonders von Widerstreitenden Strömungen durch flutete Arbeitsministerium loszuwerden, nach dem auch die Sozialdemokratie nur höchst ungern den Arm ausstreüt, und im Herbst wird Wohl eine Umbildung des Kabinetts erfolgen, eine klarere Situation geschaffen werden, weil ja dann auch das Verhältnis der Deutschen Volkspartei zur Prcußenregierung geregelt werden soll. Wieder sind im Deutschen Reichstag die Fraktionen es gewesen, von denen die fördernden und hemmenden Kräfte ausgingen. Wieder hat sich infolgedessen das u n - erfreuliche Schauspiel abgerollt, das man nun schon sooft erlebt hat. Parteiprogramme und Partei- Wünsche regieren im Deutschen Reichstag, aber nicht Männer, denen die Tat über jedes „Programm" von Parteien geht. Reichsaustenminister Reichswirtschaftsminister Dr. Stresemann. Dr. Eurtius. MMer-Irankens MuisterWe. Dienstag wieder Reichstag. Den langwierigen Bemühungen des Abgeordneten Müller-Franken ist es am Donnerstag tatsächlich gelungen, ein Reichskabinett zusammenzubringen. Abg. Müller- Franken hatte sich am Donnerstag vormittag zum Reichs präsidenten begeben, um ihm Bericht über seine mit Ver tretern des Zentrums geführten weiteren Besprechungen in der Frage der Zusammensetzung der Reichsregierung zn erstatten. Diese Besprechungen hatten das Ergebnis, daß das Zentrum sich zur Entsendung nur eines Ministers in das neue Reichskabinett bereit erklärte, der als bloßer Ver bindungsmann, aber ohne Bindung seiner Fraktion, das Verkehrsministerium und das Ministerium der besetzten Gebiete übernehmen soll. Abg. Müller, der sich in den Abendstunden zum Reichs präsidenten begab, legte diesem folgende Ministerliste zur Ernennung vor: Reichskanzler: Müller-Franken (Soz.). Inneres: Severing (Soz.). Finanzen: Dr. Hilferding (Soz ). Reichsarbeitsministerium: Wissell (Soz.). Reichsministerium des Äußeren: Dr. Stresemann (D. Vp.). Reichswirtschaftsministerium: Dr. Curtius (D. Vp.). Neichsjustizministerium: Dr. Koch (Dem.) Neichsernährungsministerium: Dietrich - Bade» (Dem.). Neichsverkehrsministerium und besetzte Gebiete: v. Guerard (Ztr.). Reichswehrministcrium: Gröner (parteilos). Reichspostministerium: Schätzel (Bayer. Vp.). Diese Zusammensetzung des Reichskabinetts soll, wie es heißt, nur eine vorläufige sein. Im Herbst hofft man, die Große Koalition, die ja auch jetzt verschleiert in Tätigkeit tritt, mit einer Bindung der Fraktionen zustande bringen zu können, nachdem die Frage der Regierungsum bildung auch in Preußen gelöst worden ist. Bei Schaffung der Großen Koalition dürfte dann das Zentrum noch einen oder zwei Minister in das Reichskabinett entsenden, wo gegen dann ein demokratischer Minister ausgeschifft werden dürfte. Reichskanzler Müller wird sein neues Kabinett am Dienstag, den 3. Juli, dem Reichstag mit einer Regie rungserklärung vorstellen. Nach Entgegennahme dieser Erklärung wird sich der Reichstag dann auf Mittwoch ver tagen, an dem die Aussprache über das Regierungs programm vor sich gehen wird. Die großen Ferien des Reichstages dürften nach dem bisherigen Programm späte stens am 11. Juli beginnen. Der Besuch des Abg. Müller-Franken bei Hindenburg hatte das Ergebnis, daß der Reichspräsident den Abg. Müller-Franken zum Reichskanzler und die von ihm in Vorschlag gebrachten Minister zu Reichsministern er nannte. Oie neuen Minister. Von den Ministern des neuen Reichskabinetts hatten fol gende ihre Portefeuilles schon im vorigen Kabinett inne: Dr. Stresemann (D. Vp., Außeres), Dr. Eurtius (D. Vp., Wirt schaft), Gröner (parteilos, Reichswehr) und Schätzel (Bayr. Vp., Post). Die Sozialdemokraten erhalten vier Sitze: Hermann Müller (Reichskanzler), Severing (Inneres), Dr. Hilferding (Finanzen) und Wissell (Arbeit). Hermann Müller wurde 1876 in Mannheim geboren. Ursprünglich kaufmännischer An gestellter, wurde er 1899 Redakteur der Görlitzer Volkszeitung; 1906 zum Mitglied des Vorstandes der S.P.D. in Berlin er nannt, wurde er 1919 dessen Vorsitzender. Als Außenminister im Kabinett Bauer unterzeichnete er am 28. Juni 1919 das Friedensdiktat von Versailles. Vom März bis Juni 1920 war Müller Reichskanzler. — Karl Severing, geboren 1875 in Herford, erlernte das Schlosserhandwcrk und wurde 1901 Ge- schäftsfüher der Verwaltungsstelle Bielefeld des Deutschen Metallarbeiterverbandes: 1912 übernahm er die Redaktion der