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Sonnabend, 17. Oktober LS«8. vi» »v SS0O »w«, »«in««! Rr. ALS Dritter Jahrgang. Huer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge Verantwortlicher Redakteur: 7r>» Krabolk Für die Inserate verantwortlich: Waller Krau, beide in Aue i. Lrzgeb. Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Sonntage nachmittags von 4—s Uhr. — Telegramm-Adresse: Tageblatt Aue. — Lernsprecher Für unverlangt eingesandte Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. m. b. H. in Aue i. Lrzgeb. Bezugspreis: Durch unsere Boten frei ins Haus monatlich so ffg. Bei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich 40 pfg. und wöchentlich ,o Psg. — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich l.so Mk. — Durch den Briefträger frei ins Haus vierteljährlich 1.92 Mk. — Einzelne Nummer >0 pfg. — Deutscher Postzeitungs katalog. — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. Annahme von Anzeigen bis spätestens 9'/- Uhr vormittags. Für Aufnahme von größeren Anzeigen an bestimmte» Stellen kann nur dann gebürgt werden, wenn sie am Tage vorher bei uns eingehen. Jnsertionspreis: Die siebengcspaltene Aorpuszeile oder deren Raum <0 Psg., Reklamen 2S pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Viese rr««»iner ««»fotzt kV Außerdem liegt das achtseitige Illustrierte Sonntagsblatt bei. Das Wichtigste vom Tage. Die Wahlrechtsdeputation der zweiten sächsischen Kammer nahm gtslern die erste Lesung des Evenlualvor- schlages vor, den» sie zum größtenTeil zu st im in te. Der Landeskulturrat für dasKönigreichSachsen wurde gestern nach dreitägiger Verhandlung geschlossen. Der Legitim ationszmang für ausländische Ar» beiter wird demnächst auch imKönigreiche Sachsen e i n g e f ü h r t. Die Veröffentlichung der Regierungsvorlage zur Neichsfinanzresorm steht, wie verlautet, unmittel bar bevor. Die tschechischen Minister im österreichischen Kabinett, Dr. Fiedler und Praschek, haben ihre Demission ? ei 11 gereicht. Die Kriegs st immung in Serbien ist im Wachsen, auch Montenegro rüstet. Wird das deutsche Volk gesünder? Sterbetafeln und Lebensdauer. Alle Berichte über die Zahl der Sterbefälle stimmen darin überein, daß diese im Verhältnis zur VoMzahl stark z u- riickgegangen sind. Besonders ist das in den Großstädten augenfällig, wo in den letzten 30 Jahren teilweise ein Rückgang von 25 bis 30 Prozent festgestellt werden konnte. Allerdings haben nicht alle Altersklassen an diesem Fortschritt gleichmäßig teilgehabt. So ist zum Beispiel die Säuglingssterblich keit fast unverändert geblieben, ja wenn wir die Berichte aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts für richtig halten Der Gedächtniskttastler. Humoreske von August Schuster. . . . Und so läßt sich alles mechanische Lernen durch ein sehr unterhaltendes und anregendes Konstruieren von Sprachbildern ersetzen, die man sich spielend leicht merkt, ebenso leicht, wie es schwer ist, «ine Zahl im Gedächtnis zu behalten — einfach des halb, weil man sich bei dieser nichts vorstellen kann . . . Siehst du: An Stelle der Ziffern, die man sich merken will, werden Buchstaben gesetzt, die natürlich ein für allemal vorher festgesetzt worden sind. Diese Regel gilt aber nur für die Mitlaute, die Selbstlaute bleiben unbezeichnet und können nach Gutdünken und Bedarf gewählt und eingesügt werden. Auf diese ge ¬ lehrte Auseinandersetzung antwortete ich nur durch ein Hm. Die Sache interessierte mich zu wenig, als daß ich meinem Freunde, der als Gymnasiallehrer ja vielleicht ein Interesse daran hatte, sich aus diese Art die Jahreszahlen der Geschichte zu merken, Ge legenheit geben mochte, mich tiefer in die Geheimnisse dieser Eedächtniskunst einzuweihen. Damals konnte ich eben noch nicht ahnen, welchen außerordentlichen Dienst mir diese Wissenschaft einmal leisten sollte. Kurze Zeit darauf hatte ich wieder mit meinem Freunde, dem Dr. Holdermann, und zwar diesmal ge schäftlich zu tun. Als Prokurist seines Onkels, d«s Bankiers R., sollte ich nämlich in dessen Auftrag meinem Freunde wegen der Angelegenheit seines Vermögens einige praktische Winke geben. Wir saßen wieder an demselben Tischchen desselben Caf6s, wo er niir die Erundzüge der Eedächtniskunst auseinandergefetzt hatte. Im Laufe der Unterhaltung erwähnte ich, daß ich in einer Geld lotterie ein Los für dreißig Mark erstanden habe. „Laß' mal sehen," sagte Holdermann und besah das Las, das ich meiner Brieftasche entnommen. Bei dieser Gelegenheit war mir aber noch ein anderer Gegenstand aus dem Täschchen geglitten: eine Photographie. .Ehe ich es verhindern konnte, hatte mein Freund das Bild ergriffen und mit dem Ausdruck höchster Verwunderung rief er aus: „Das ist ja meine Cousine Klara!" Es war in der Tat seine Cousine Klara. Ich spürte, wie mir das Blut zu Kvpfe stieg und mag auch sonst etwas aus der Fas dürfen, heute sogar noch höher als damals. Die Berechnungen über die Zahl der Todesfälle leiden nun aber an dem Mangel, daß sie die Alterszusammensetzung der Bevölke rung nicht genügend berücksichtigen können. Die Sterblichkeit ist natürlicherweise in den einzelnen Lebenslagen sehr verschieden. Sie ist am höchsten im Kindheits- und Greisenalter, am niedrig sten im Alter von zehn bis zwanzig Jahren. Eine Bevölkerungs masse, in der besonders viele Kinder vorhanden sind, muß also unbedingt schon aus diesem Grunde eine höhere Eesamtsterblich- keit haben als eine andere, in der di« im arbeitsfähigen Alter Stehenden mehr vorwiegen. Wenn nun die Zahl der Kinder im Verhältnis zur Gesamtzahl ab nimmt — und das ist in allen unseren großen Städten der Fall gewesen — so wird auch die Gesamtsterblichkeit zurückgeh«n müssen, ohne daß deshalb die allgemeinen Eesundheitsverhältnisse sich gebessert zu haben brauchen. Einen sicheren Maßstab für die Verbesserung der Ge sundheitsverhältnisse ergibt somit die Sterblichkeitsstatistik allein noch nicht, solang« nicht die Alterszusammensetzung der Bevölke rung in genügender Weise in Rechnung gezogen werden kann. Das geschieht bei der Berechnung der sogenannten Sterbe tafeln. Diese gehen von den bei den einzelnen Volkszählungen festgestellten Altersjahrgängen aus und berechnen unter Berück sichtigung der Sterbefälle für jeden einzelnen Jahrgang die Sterbenswahrscheinlichkeit und die mittlere Lebenserwartung. Diese Sterbetafeln sind von unmittelbar praktischer Bedeutung, weil sie allen amtlichen Berechnungen über Lebensversicherungen zugrunde gelegt weiden. Sie bilden aber auch den besten Maß stab für den Fortschritt der Volksgesundheit. Nach langem Zwischenraum ist nun eine solche Sterbetafel wieder für das gesamte Deutsche Reich, und zwar nach den Ergebnissen der Periode 1891—1900, berechnet worden. Die Berechnung erfolgte nach demselben System, nach dem Becker, der bekannte frühere Leiter des Kaiserlichen Statistischen Amts, die Sterbetafel für das Jahrzehnt 1871—1880 berechnet hatte. Eine Gegenüberstellung der beiden Sterbetafeln zeigt eine gewaltige Zunahme der Lebenswahrscheinlichkeit aller Altersklassen. Die Lebenswahrscheinlichkeit betrug: bei den männlichen bei den weiblichen für die Altersklassen Personen Personen von 1871/1880 1891/1900 1871/1880 1891/1900 Jahre Jahre Jahre Jahre 0 Jahr 35,58 40,56 38,45 43,97 1 „ 46,52 51,85 48,06 53,78 sung gekommen sein, denn mein Freund lächelte eigentümlich, während ich das Bild wieder einsteckte. „Du möchtest wohl wissen, wie ich zu dem Bilde komme?" fragte ich daraus in möglichst unbefangenem Tone, „eine sehr einfache Geschichte ... Es ist dies ein Probebild . . . Deine Cousine bat mich, das heißt eigentlich ihr Bruder, dein Vetter Fritz, hiernach die Bestellung der Bilder . . ." „Hör mal, alter Junge," fiel mir mein Freund in die Rede, „laß' die Flausen! — Mir hat die Geschichte schon längst geschwant. Na, ich gratuliere!" Ich verlegte mich nun nicht mehr länger aufs Leugnen und gestand ihm alles, was er als mein nächster Freund schon längst von mir erfahren hätte, wenn mich nicht seine nahe Verwandtschaft mit Klara immer wieder davon abgehalten hätte. So erfuhr er denn nun, daß wir, Klara und ich, uns unsere gegenseitige Neigung schon vor Monaten ge standen und ich nur für die leidige Geldfrage bisher keine Lösung finden konnte. Vermögen hatte ich blutwenig, meinem Chef aber konnte ich es nicht verdenken, wenn er, wie ich wußte, mit einem Schwiegersöhne auch noch ein paarmal hunderttausend Mark in sein Geschäft haben wollte. Denn soviel stand bei Klaras Vater fest, daß dieser Schwiegersohn ebenfalls Bankier und einstiger.Fortführer der Firma sein sollte, da sein einziger Sohn sich dem Studium gewidmet hatte. Mein Freund war nach meinem Bekenntnis sehr nachdenklich geworden. Er kannte auch die Grundsätze seines gestrengen Oheims. Ich seufzte, er drückte mir die Hand, schenkte aus der vor uns stehenden Flasche Rauen- thaler die Gläser voll und wir stießen an: „Prost! Kopf hoch! Ich werde die Sache in die Hand nehmen!" Mein Freund Holdermann wäre sicher für mich durchs Feuer gegangen — aber für eine Angelegenheit, wie diese, die große diplomatische Fähigkeiten erheischte, schien er mir nicht berufen, denn er trug beständig dap Herz auf der Zunge, und es fiel mir aus diesem Grunde schwer auf die Seele, daß ich mein tiefstes Geheimnis von ihm erraten sah. „Höre, Artur," sagte ich zu meinem Freund, „schweige lieber über die Geschichte... Ich werde einen günstigen Augenblick abwarten, um mich meinem Chef und hoffentlich künftigen Schwiegervater selbst zu ent decken. Ich sehe zwar voraus, mit welchem Erfolg," fügte ich seufzend hinzu, „es müßte denn «in Wunder geschehen!" „Die geschehen auch heutzutage noch," meinte tröstend Holdermann und bei den männlichen bei den weiblichen für die Alterklassen Personen Personen 1871/1880 1891/1900 von 1871/1880 1891/1900 10 Jahren 46,51 49,66 48,18 51,71 20 38,45 41,23 40,19 43,37 30 ,, 31,41 33,46 33,07 35,62 40 24,46 25,89 26,32 28,14 50 ,, 17,98 19,00 , 19,29 20,58 60 ,, 12,11 12,82 12,70 13,60 70 7,3 7,6 7,60 8,10 Ein Kind von 10 Jahren hat also bei beiden Geschlechtern heute die Aussicht, über 5 Jahre länger zu leben als in dem Jahrzehnt nach der Reichsgriindung, ein junger Mann von 20 Jahren lebt über 3 Jahre, ein« weibliche Person desselben Alters 3s/, Jahre länger als früher. Und so geht es durch alle Alters klassen, wenn auch mit etwas geringeren Verlängerungsraten, hindurch. Bei den siebzigjährigen Männern ist die durchschnitt liche Lebensaussicht noch um 0,42, bei Len Frauen dieses Alters um 0,50 Jahre größer als früher. Beachtenswert ist, daß die Lebensverlängerung beim weibl. Geschlecht! fast durchweg größer ist, obwohl dieses an sich schon ein« weit größere Lebensaussicht hat als das männliche. Der Unterschied zwischen beiden Geschlechtern ist also zugunsten der Frauen noch größer geworden. Es liegt das wahrscheilich zum Teil daran, daß der Lebenskampf für die Männer nicht in demselben Matz« leichter geworden ist wie für die Frauen, zum anderen Teile aber wohl an der vielfach ungesund eren L«bensweise der Männer. Das Evgenbild der Lebenserwartung ist die Sterbens wahrscheinlichkeit, das heißt die Aussicht, in dem betref fenden Altersjahr zu sterben. Hier macht das Statistische Amt in! einer kurzen Besprechung der Sterbetafel darauf aufmerksam, daß sich die Jahre, die auf das zwanzigste Jahr folgen, beim männlichen Geschlecht durch eine auffallend niedrige Ziffer der Sterbenswahrscheinlichkeit auszeichnen. Während sonst von Jahr zu Jahr eine fast regelmäßige Zunahme dieser Ziffer stattfindet, steht sie beim männlichen Geschlecht in der Zeit vom 21. bis zum 27. Jahre fast still, ja sie wird vom 23. bis zum 25. Jahre sogar geringer. Beim weiblichen Geschlecht ist von einem solchen Still stand um diese Zeit nichts zu bemerken. Das Statistische Amt hat wohl recht, wenn es diese eigentümliche Erscheinung auf die gesundheitsfördernde Wirkung zurückführt, die die Militärdienst zeit auf die jungen Männer ausübt. Leider geht diese günstige griff nach dem vor uns liegenden Lotterielos; „das z. B. könnt« ein Schlüssel zu deinem Glück werden. Laß sehen! Nummer 93 745 — dreiundneunzigtausendsiebenhundertfünfundvierzig," buchstabierte er dann. Plötzlich stieß er mich mit dem Ellbogen an. „Wir sprachen doch neulich von Mnemotechnik, der Kunst des Gedächtnisses." Und nun ging die Umprägung der geistlosen Zahl in den sinnlichen und deshalb merkbaren Begriff vor sich, wie Holdermann sich ausdrückte. „9 gleich k, 3 gleich m, 7 gleich f oder auch pf, 4 gleich r, 5 gleich s. Wir haben da also die Buch staben k—m—pf—r—s... Du kannst dir das Merkwort jetzt schon selbst bilden, du brauchst nur noch Selbstlaute zwischen dies« Konsonanten zu schieben, die beliebig sein können, weil sie Leim Zurückübersetzen unbeachtet bleiben." Und er wiederholte die Buchstaben. „Kempf, Kumpf, Kampf," begann ich. „Ganz recht, also z. B. Kampf —, nun noch e—r, also Kampfer," half mein Freund nach. „Und das folgende s ist der Anfangsbuchstabe des Wortes „Spiritus", also „Kampferspiritus" — weißt du, das ist das Zeug, womit ich mir letzten Winter das Knie einrieb, als ich wegen des Rheumas fünf Wochen auf dem Sofa liegen mußt«. Halt, noch eins! Wievielstellig ist deine Zahl? Fünfstellig? EutI Fünf Wochen lang habe ich eingerieben. So! Jetzt kannst du mich in hundert Jahren wieder nach der Zahl fragen, ich schreibe fis schlankweg auf den Tisch!" Wir waren also glücklich wieder Leim Steckenpferd meines Freundes angekommen. Mich aber interes sierte die Sache noch ebenso wenig wie früher. Vor meinen geistigen Augen stand Klärchens Bild, wie sie bittend die Händs zu ihrem Vater «mporhob . . . aber der Vater blieb uner bittlich ... ja, so wird es kommen! Mein Freund mochte be merkt haben, daß ich in dumpfes Brüten versanken war, denn ich fühlte seine Hand auf meinem Arm und hörte, wie er nochmals sagte: „Na, nur den Kopf hoch!" Dann trennten wir uns. Die nächsten Wochen brachten mir nichts Außergewöhnliches. Immer unleidiger wurde mir die Stellung in dem Hause, das mein Liebstes barg. In mir reifte langsam der Gedanke, meine Stelle aufzugeben und ins Ausland zu gehen. Das war vielleicht das Mittel und der Weg, meine Klara in ein paar Jahren heim führen zu können. Vielleicht führte ab«r auch mein Chef fein« Lieblingsidee aus, eine überseeische Filiale zu gründen, deren Leitung dann wohl mir übertragen worden wäre. Die Chan-