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Die „Bttendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners- tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich I Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla nur Moritzdors und Umgegend. Nit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme von Inseraten bi, »ormittag ;o Uhr. Inserate werden mit w Pf. für die Spaltzeile berechnet. Tabellarischer Satz nach be- sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Vkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. 2. Jahrgang. Mittwoch, den 21. Januar 1903. Vr. 9. 8unä68l6utzr. Die für laufendes Jahr fällige Hundesteuer ist bis DM" 30. Januar dieses Sahres "MU gegen Entnahme der Hundesteuermarke auf dem Gemeindeamt zu entrichten. Nach Fristablauf beginnt das geordnete Beitreibungsverfahren. Ottsn<kor1-Ivl<»iitLÄ<>rL, am 17. Januar 1903. Der Grmeindevorstand. Lincke. Oertliches und Sächsisches. Vttendorf-Vkrilla, 2o. Januar 1903. — Die Frau Kronprinzessin ist mit Giron am Sonnabend abend 7 Uhr 40 Min. von Genf abgereist, nachdem beide auf Um wegen zum Bahnhos gegangen waren. Sie sind in Begleitung eines Mädchens, ihrer bisherigen Hotelbediensteten, abgefahren. Abends 10^/, Uhr trafen sie in Lyon ein und um 1M/i Uhr fuhren sie mit dem nach Ventimglia gehenden Zug weiter. Kurz nach 4«/« Uhr langten sie in Marseille an und nach etwa einviertelstündigem Aufenthalte reistm sie weiter, sowohl die An kunft wie die Abfahrt blieben vom Publikum unbemerkt. Es bestätigt sich, daß Mentone das Ziel der Reise ist. — Weiter liegt noch folgende Meldung über die plötzliche Abreise der Kron prinzessin und Giron vor: „Die sich in Genf aufhaltenden Berichterstatter wurden durch die zur Irreführung getroffenen Maßnahmen völlig getäuscht. Die Fahrkarten für beide wurden von einem Speditionsgeschäft besorgt, welches auch das Gepäck aus dem Hotel abholen ließ. Die Kronprinzessin Luise und Giron verließen das Hotel durch eine Nebentür und begaben sich auf Umwegen zum Bahnhofe. Vor der Abreise beschenkten sie den Eigentümer des Hotels und die Angestellten. Ersterem über reichte die Kronprinzessin eine prächtige Kra- vattennadel, mit Perlen und Diamanten besetzt. Zwischen der Kronprinzessin, Giron und ihrem Anwalt Lachenal scheinen einige Meinungsver schiedenheiten entstanden zu sein. Man ver sichert. die Kronprinzessin und Giron hätten er klärt, sie würden sich nach Montreux begeben, Um dort das Urteil des Dresdner Gerichtshofes abzuwarte.!. Erst im letzten Augenblick hätten sie sich entschlossen, nach Mentone zu begeben. Sonntag vormittag trafen sie dort ein und stiegen im „Hotel des Anglais" ab, wo sie sich unter dem Namen Herr und Frau Andrs Gerard eintragen ließen. Sie lehnten es ab, irgendwelchen Besuch zu empfangen. Der Auf enthalt ist voraussichtlich auf einen Monat be rechnet. — Zum Untererzieher der Söhne des Kronprinzen, welche Stellung bis An fang Dezember Giron bekleidet hatte, ist der Leutnant im Gardereiter-Regiment Freiherr von Humbracht-Alt ernannt worden. — Von der Kgl. sächsischen Staatsbahn Verwaltung wird für diejenigen Gegenstände, welche auf der sächsischen Kunstausstellung in Dresden vom Mai bis September (Rück sendungsfrist bis 31. Dezember dss. Js.) und auf der Deutschen Städteausstellung in Dresden vom Mai bis Ende September ausgestellt werden, frachtfreie Rückbeförderung auf den ihr unterstellten Linien unter den üblichen Be dingungen gewährt. — Auch die sächsischen Bahnhofswirte haben in Zukunft auf ihren Speisenkarten, Plakaten u- s. w. die einheitliche Rechtschreibung anzuwenden, so ordnet die Königliche General direktion der sächsischen Staatseisenbahnen an. Außerdem soll dies von jetzt an auf sämtlichen Dienststellen der StaatSeiscnbahnverwaltung ge schehen. — Die vielerörterte Frage der Zulassung Mit schwefliger Säure zubereiteten Dörrobstes ist durch eine neuerliche Verordnung des Kgl. Ministeriums des Innern anderweit geregelt worden. Danach sind, vorbehältlich der Ent scheidung der zuständigen Gerichte, die Ver waltungsbehörden und die ihnen unterstellten Organe der Nahrungsmittelkontrolle ermächtigt, einen ganz geringfügigen Gehalt an schwefliger Säure, bis zu höchstens 0,125 Prozent, bis auf Weiteres unbeanstandet zu lasten. Lausa. Der Schwindler, welcher am 15. dss. Mts. den Schneidermeister M- Anzug und Ueberzieher ohne Bezahlung entnahm, wurde noch an demselben Abend in Kamenz dingfest gemacht. Er war der wegen Fahrrad diebstahls gesuchte Müller aus Wachau. Dresden. Herr Restaurateur Weber, Inhaber der Sociöts, hat seine Zahlungen eingestellt. Das Amtsgericht hat über sein Vermögen das Veräußerungsverbol verhängt. Dresden. Ein vor dem Weihnachts feste in Pirna verhafteter Kontorist, der sich zum Nachteile des deutsch-nationalen Hand lungsgehilfen-Verbandes Unterschlagungen und Buchfälschungen hatte zu schulden kommen lasten, hat im hiesigen Untersuchungsgefängnis Selbstmord begangen, nachdem sich heraus - gestellt hatte, daß die von ihm verübten Unter schlagungen wesentlich höher waren, als man anfänglich angenommen hatte. Dresden. Der WohlfahrtSyolizeiaufseher Kictzschmar von hier, der vor einiger Zeit zu Pratzschwitz versucht hat, seine Geliebte und alsdann sich selbst zu erschießen, ist als geheilt aus dem Johanniter-Krankenhause zu Heidenau entlasten, auf Veranlassung der Staatsanwalt schaft aber wegen versuchten Totschlags in Untersuchung genommen worden. Das Mäd chen, auf das der Schuß abgegeben wurde — die Tat soll in beiderseitigem Einverständnis erfolgt sein —, geht ebenfalls der Heilung entgegen. Stetzsch. In Sachen der vom Land tag bereits vor mehreren Jahren genehmigten elektrischen Straßenbahn Dresden—Cotta— Niederwartha beschloß der hiesige Gemeinderat in seiner letzten Sitzung nach längerer Berat ung, mit der aus Gemeindevertretern von Brießnitz, Kemnitz, Stetzsch, Cossebaude und Gohlis bestehenden Kommission weitere Ver handlungen anzubahnen. Der Gemeinderat ist gewillt, daß zur Verbreiterung der Meißner Straße erforderliche Land der Regierung un entgeltlich zur Verfügung zu stellen, wenn der Bahnbau nur davon abhängig gemacht wird. Der größte Teil der Anlieger hat das Land bereits unentgeltlich abgetreten. Wie es heißt, soll das Projekt, wenn bis 1. April d. I. keine Entschließungen herbeigeführt seien, als er ledigt angesehen werden. Pillnitz. Ein räuberischer Ueberfall wurde am Donnerstag Nachmittag in der Nähe des Porsberges auSgefühct. In das auf dem genannten Berge gelegene Restaurant kamen am vorbezeichneten Tage zwei Herren, und einer derselben, ein Geschäftsreisender, ließ da selbst einen Hundertmarkschein wechseln. Dies ist von zwei Unbekannien bemerkt morden. Der Reisende und sein Begleiter gingen dann in der Richtung nach Graupa fort. Unter wegs blieb letzterer ein Stück zurück, während der Reisende langsam weiter ging. Plötzlich fühlte er sich von hinten gefaßt und an der Kehle gewürgt. Es entspann sich ein heftiges Ringen. Hierbei stürzten die Männer in den Straßengraben Und der Angreifer kam obenauf zu liegen, wo er sich bemühte, Geld und Wert sachen zu rauben. Auf die Hilferufe des Ueber- fallenen kam dann der zurückgebliebene Herr hinzu, wodurch der freche Räuber verscheucht wurde, ohne seinen Zweck erreicht zu haben. Heidenau b. Pirna. Ein Unglücksfall mit tödlichem Ausgange trug sich am Freitag nach mittag hier zu. Auf dem Fabrikneubau der Herren Krause L Baumann stürzte der Arbeiter Ebermann in den Brunnen und erlitt hierbei außer einer Quetschung der linken Kopfseite eine Gehirnerschütterung, wozu später noch Lungen bluten hinzukam. Abends r/z9 Uhr wurde der Verunglückte durch den Tod von seinen Qualen erlöst. Zittau. Hier hat auf gräßliche Weise der 82jährige Renten-Empfänger Gottfried Hüttig Selbstmord verübt. Er begab sich am Freitag nach dem Hofe, setzte sich auf die Treppenstufen der nach dem Hofe führenden Tür und feuerte ein Terzerol gegen sich ab. Die Waffe war offenbar mit Wasser geladen, denn die Wirkung des Schusses war furchtbar. Dem Unglücklichen wurde der ganze Kopf auseinandergesprengt. Das Gesicht war völlig unkenntlich und bildete eine blutige Masse. Sommerfeld i. d. Lausitz, 18. Januar. Als Freitag früh der Laden des Sattlermeisters Musch in der Nikolaistraße nicht geöffnet wurde, wurde die Polizei aufmerksam gemacht, die sich Eingang verschaffte. Neben einer Wiege, in der sich das kleinste Kind der Familie befand, lag Frau Musch tot auf dem Fußboden; ferner wurden ein zweijähriges und ein vierjähriges Töchterchen entseelt aufgefunden. Bewußtlos, aber noch lebend traf man den Sattlermeister Musch und seine sechsjährige Tochter an, während das Kind in der Wiege vollkommen munter war. Nach den oisherigen Feststellungen liegt Vergiftung, verursacht durch den Genuß von Grützewurst, vor- An dem Aufkommen des Mannes und seiner sechsjährigen Tochter wird gezweifelt. Döbeln, 19. Januar. Auf dem zur Zeit schwachen Eise der Mulde am Schloßberge brach am Sonntag Nachmittag in der fünften Stunde die zehnjährige Stieftochter des Ge- schirrführers Härtel ein und verschwand vor den Augen ihrer Spielgenosten. Die Leiche wurde erst heute aufgefunden. Mühlberg a. d. E. Die Elbe geht ge drängt mit Treibeis; der gesamte Schifffahrts verkehr ruht, auch die Ueberfähren haben den Betrieb einstellen müssen. Aus der Woche. Wer Freude an Skandalen hat, der kann jetzt nach Herzenslust in solchen schwelgen. Kaum har sich die erste Aufregung des Publi kums über den einen Fall gelegt, so taucht schon wieder ein neuer auf. Telegraph und Telephon sind so gefällig, jeder unsauberen -Meldung sofort die weiteste Verbreitung zu geben, und viele „Berichterstatter" sind bemüht, zu dem Kot noch Unrat eigener Erfindung hin- zuzuthun, damit das Ding möglichst durch dringenden Geruch bekommt. Graf Lonyay, der Gatte der vormaligen österreichischen Kron prinzessin sollte sich für immer von seiner Gattin getrennt haben. Das hat sich aller dings als eine Unwahrheit herausgestellt, aber nun kommen die Forscher und Weisen nach, daß „an jeder Sage eine Sache sei". Es stimmt nicht mehr so zwischen dem Ehepaar, ivie im Anfang; sie wohnen getrennt und speisen getrennt. Das geht eigentlich doch nie mand etwas an: weder der eine noch der andere Teil stellt eine öffentliche Persönlichkeit dar, von deren Verhalten etwa das Wohl und Wehe der Völker abhinge; aber darum bleibt das Berichtete doch immer „pikant" und das ist die Hauptsache. — Von der internationalen Politik ist in dieser Woche etwas Erhebliches nicht zu berichten. Die Venezuelawirren gehen ihren Gang weiter, wenngleich sich jetzi die Aussicht auf ihre friedliche Lösung eröffne! hat. Der Roosevelt ist ein Mordskerl; er treibt nicht nur Weltmachtspolitik, sondern hat auch eine gefährliche innere Frage angeschnitten, indem er in den Südstaaten einen Farbigen als Posthalter angestellt hat. Die demokratischen Südstaaten gebärden sich deswegen wie toll. Sie wollen keinen Kouleur-Gentlemann als Be amten. Trotz Onkel Toms Hütte, trotz des 1863er Krieges, trotz der Unionsverfastung ist das farbige Element in Nordamerika immer noch geächtet. Der Danke« verachtet den schwarzen und den „Milchkaffee", wie er die Kreolen, Mestizen, Mulatten und Zambos nennt. Die Häuser der Weißen, ihre Vereine, Klubs, Theater werden sich stets weigern, den Farbigen ungehinderten Zutritt zu gestatten. Der oft zitierte Fluch, der auf Ham liegt, ist heute noch nicht gewichen und wird sobald nicht weichen, und daraus erklärt es sich, daß die verhältnis mäßig reichen Neger-Baumwollpflanzer aus Alabama gern nach Togo gegangen sind, wo sie „unter sich" bleiben können. Roosevelt wird mit seiner alarmierenden Negerpolitik kein Glück haben! — Das interessante Marokko, das nur in den Küstenstädten den Telegraphen kennt, hat zwar in der abgelaufenen Woche eine Fülle van Berichten geliefert; aber man müßte einen hohen Preis für den aussetzen, der sich in dem bunten Mosaik des sich vielfach wider sprechenden Wirrwarr des Nachrichtenmaterials zurechtfindet. Jedenfalls steht aber die Sache des Sultans nicht zum besten. — Chamberlain weilt noch in den eroberten Bursnrepubliken. Die letzten Berichte über ihn kommen vom „Rand", von den Goldminen, denen es nach den Aeußerungen eines ihrer Mitbesitzer ein leichtes sein werde, die Kriegskosten von 600 Millionen Mark aufzubringen. Das zeigt aber auch, daß der Kampf um den Besitz wohl des Schweißes und des Blutes des edlen eng lischen Volkes wert war. Ein Ersatz für In dien wird ja Transvaal nie werden, aber man nimmt auch die geringe Entschädigung, wenn man die große nicht erlangen kann. Und trotz der Kaiserkrönungsfeier in Delhi erscheint der Besitz Indiens für England immer stärker ge- fährdet. Der russische Koloß drückt heute schon schwer; seine Rüstungen in Asien werden immer stärker. Dieser Tage ist eine Flotte von 40 russischen Kriegsschiffen in den Amur, dem sibirischen Grenzflüsse gegen China, eingefahren, angeblich um Flußpiraicn im Schach zu halten. So wird das chinesische Reich umspannt, wie anderseits das russische Vordringen Rußlands gegen Indien unaufhaltsam vor sich geht. China, Taschkent, Bochara sind in russische Ab hängigkeit geraten, Persien macht sich immer mehr von England frei, um dafür das russische Protektorat einzutauschen, und auf dem Pamir- Plateau, das auf Kaschmir und Indien hinab schaut, entfallen die Rusten einen staunenswerten „wissenschaftlichen" Forschungseifer. — Aber auch der Zugang Englands zu Indien durch den Suezkanal erscheint durch Rußland wenig stens mittelbar bedroht; denn in der Darda nellenfrage hat England klein beigegeben. Alexander der Kleine von Serbien hofft von Rußland alles, wie er kürzlich in seiner er leuchteten Weisheit in einer Tischrede in Nisch versichert hat; glücklicherweise setzte er hinzu: „Serbien kann warten!" Diese staatsmännische Zurückhaltung ist ein glänzendes Zeugnis für die politische Reife des Nachfolgers von Milan. — Der deutsche Kronprinz ist zum Besuch des Zarenpaares in Petersburg; er hatte vor der Abreise eine Unterredung mit dem Grafen Bülow. An die Nachricht davon knüpft ein Berliner Blatt die Bemerkung: „Dieser Umstand wird natürlich nicht verfehlen, die Konjekturalpolitiker zu der Enthüllung zu be geistern, daß der jugendliche Prinz mit einer hochwichtigen politischen Mission betraut ist." Und das Blatt hat recht; denn gleichzeitig schrieb eine andere Berliner Zeitung: „Dieser Besuch steht mit der Reise des Kronprinzen nach Rußland in Zusammenhang und beweist, daß der Kronprinz auch mit den leitenden politischen Persönlichkeiten Rußlands wichtige Unterredungen pflegen wird."