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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Siebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. 14. Freitag, den 18. Februar 1876. Tagesgeschichte. Der Reichstag ist am 10. Februar in brr Abensitzung ge schlossen worden und zwar von dem Reichskanzler Bismarck im Auf trage des Kaisers, also doch nicht ohne Sang und Klang, wie prophe zeit worden. Auch die freundlichen Worte, mit welchen Bismarck die kaiserliche Botschaft begleitete, waren ein guter Klang nach den . mancherlei Mißklängen der letzten Zeit. Bismarck dankte ausdrücklich dem Reichstage „für die collegialische Mitwirkung bei den Arbeiten im Dienste des Reiches und der deutschen Nation" und sprach die Hoffnung aus, „daß Gott uns allen, die wir hier versammelt sind, vergönnen werde, im Herbste diese Arbeiten in demselben Sinne, wie wir sie bisher geführt haben, fortzusetzen." Von einem Entzwei schneiden des Tischtuches zwischen dem Reichskanzler und der großen liberalen Partei kann man also trotz aller Unglüäspropheten nicht sprechen. Die liberalen im Verein mit den andern Parteien haben die Kautschuk-Paragraphen in drei Lesungen standhaft abge lehnt, weil sie in ihnen eine tödtliche Gefährdung der Preßfreiheit und des Versammlungsrechles, zweier Grundpfeiler der Verfassung, erkannten, und sie erlebten die Genugthuung, daß Bismarck selber anerkannte, wie unendlich viel mehr durch soziale und politische Selbst- hülfe als durch den draconischen Strafrichter erreicht werden kann. Der Reichstag hat in 71 Tagen 51 öffentliche Plenar-Sitzungen, 72 Abtheilungs- und 100 Commissionssitzungen gehalten, von 39 Gesetz entwürfen sind nur 4 unerledigt geblieben. Von 1350 Petitionen sind 298 dem Reichskanzler zur Berücksichtigung überwiesen, 96 durch Gesetzentwürfe erledigt, 472 durch Ucbergang zur Tagesordnung be seitigt, 151 der Justizcommission überwiesen worden und 434 uner ledigt geblieben. Am nächsten Montag tritt in Bayern der Landtag wieder zu sammen. Mit diesem Wiederzusammcntritt wird zweifelsohne auch die Krisis wieder neu aufleben, inmitten deren am 21. October vorigen Jahres der bayerische Landtag vertagt worden ist. Während der vier Monate, die seither verflossen sind, haben sich die Parteiver- hältnisse nichts geändert, und man darf deshalb auch annehmen, daß sie genau dort wieder anknüpsen werden, wo sic mit der Landtagsver tagung abgebrochen wurden. Es dürfte nicht von Ueberfluß sein, sich zu erinnen, wie die Sachlage damals war. Mit den Neuwahlen, die im vorigen Sommer vorgenomen wurden, erlangte in der Abge ordnetenkammer des bayrischen Landtags die sogenannte Patrioten partei, die aus den konservativen, particularistischen und ultramon tanen Elementen besteht, die Majorität von 2 Stimmen, indem sie über 79 Stimmen verfügt, während die liberale Partei, die mit dem Ministerium Pfretzschner-Lutz geht, 77 Stimmen zählt. Ungeachtet dieser geringen Majorität benützte die Patriotenpartci doch ihr Mehr von zwei Stimmen dazu, unmittelbar nach der Eröffnung des Land tages, die am 28. September erfolgte, eine Adresse an den König zu votiren, in welcher sie versicherte, daß das Land kein Vertrauen zu dem bestehenden Ministerium habe, und den König bat, dieses Ministerium zu entlassen. Obzwar das Ministerium Pfretsckner-Lutz der Majorität das Recht bestritt, im Namen ves ganzen Landes zu sprechen, reichte es dennoch in Folge jener Adresse seine Entlassung ein. Der König nahm aber seine Entlassung nicht an, sondern er klärte in einem besonderen Schreiben vom 19. October, daß er „fest haltend an dem ihm zustehenden Rechte freier Wahl der Räche der Krone keinen Grund finde, eine Aenderung des bisherigen Ministeriums cintreten zu lassen." Gleichzeitig erfloß ein königliches Signal an den Obercercmonienmeister, welches besagte, daß der König sich nicht veranlaßt fühle, die Adresse der Abgeordnetenkammer entgegenzu nehmen. Dieses Signal wurde in der Sitzung vom 21. October mitgethcilt, rmd auch ein königliches Rescript verlesen, welches den Landtag bis auf Weiteres vertagte. Wie die „Trib." aus Berlin berichtet, hatte eine Anzahl von hervorragenden Industriellen, darunter die Herren Geh. Commerzien- rälhe Borsig, Schwarzkopfs re. vor einigen Tagen eine Audienz beim Handelsminister Achenbach. Die Herren erstatteten dem Handels minister eingehenden Bericht über die Lage der Berliner Eisenindustrie. Durch den Mangel an Bestellungen haben sich die Fabrikherren ver anlaßt sehen müssen, einen Theil ihrer Arbeiter zu entlassen und auf ein Minimum zu reduciren. Der Wunsch der Industriellen, welchen sie dem Handelsminister vortrugen, geht dahin, daß die Staats - regierung resp. das Ressort des Handelsministeriums bei Vergebung von Eisenbahnbauten rc. in erster Linie die heimische und Berliner Industrie begünstigen möge. Die Deputation ließ darüber keinen Zweifel, daß im entgegengesetzten Falle die Fabriken mit einer weiteren Entlassung der Arbeiter würden vorgehen müssen. Handelsminister Achenbach nahm die Deputation auf das Freundlichste und Zuvor kommendste auf, und versprach derselben, Alles zu thun, was in seinen Kräften steht, um den berechtigten Wünschen entgegenzukommen. Es werde sich in nächster Zeit, wo mit dem Bau der Stadtbahn, der Bahn Berlin - Wetzlar und den Bahnen in der Provinz Preußen ernstlich vorgegangen werden wird, für die Staatsregierung Gelegen heit genug bieten, die Wünsche der Großindustriellen zu befriedigen. — In Berlin sind momentan fast 23000 Arbeiter aus ihren bis herigen Stellungen entlassen und ohne Arbeit. In der Borsig'schen Fabrik sind jetzt nur 7—800 Arbeiter beschäftigt, während die Zahl früher 2000 betrug; ähnliches ist bei den Fabriken der Herren Schwarzkopff und Wöhlert der Fall. Die hier von der „Trib." mitgetheilte und von verschiedenen anderen Berliner Blättern bestätigte Nachricht von der schnellen Unterstützung der nothlcidenden Berliner Eisenindustrie seiten des Staates steht im schroffsten Gegensätze zu der Forderung, welche in mehreren Artikeln eines Dresdner Blattes ausgesprochen war, wonach die sächsische Staatsregierung ja nicht zu Gunsten der so darnieder liegenden Eisenindustrie der Chemnitzer Gegend durch Ertheilung von größeren Aufträgen eingreifen solle. Soweit wir die Verhältnisse kennen, wäre die Intervention ganz sicher sehr angebracht, denn die Entlassung der Arbeiter ist in den Chemnitzer Maschinenfabriken ebenso nach und nach vor sich gegangen, wie in Berlin. So hören wir mit Bezug hierauf, daß in der hiesigen Sächsischen Maschienenfabrik (vorm. Richard Hartmann), in der bereits über 1200 Arbeiter abge lohnt worden sind, vom heutigen Tage an nur noch drei Tage per Woche gearbeitet wird. (CH.Tgbl.) Dresden. Ein Soldat wurde am 13. Februar auf der Augustus- brücke von einem Herrn, dem vom Winde der Hut weggeführt und unterhalb der Brücke auf das Eis geschleudert worden war, durch das Versprechen, ihm einen Thaler als Belohnung zu geben, veran laßt, den Hut zu holen. Der Soldat begab sich infolge dessen anf das Elbeis, brach aber ein und verschwand im Wasser. Mehre Per sonen eilten sofort zur Rettung herbei, aber alle Anstrengungen blieben erfolglos. Der unbekannte Besitzer des Hutes hatte sich inzwischen entfernt. Tags darauf wurde der Leichnam von mehren Fischern aufgefunden. — Am 13. Februar hat ein in der Lehre stehender junger Mensch von 18 Jahren von seinem Principal einen Brief mit 5 Stück Tausend-Markscheinen und einen Wechsel erhalten, um den selben in einem Altstädler Bank-Institute abzugebcn. Der junge Mensch hat dies nicht gethan, das Geld behalten, den Wechsel seinem Principal in einem Couvert zugeschickt und ist verschwunden. Rabenau bei Tharandt. Am 7. Febr. brannten die Wohn häuser der Wirthschaftsbesitzer Wünschmann und Fritzsch nieder. Glauchau, 15. Februar. Ju dem benachbarten Weidensdorf hat am 12. d. M. die ledige Magd eines Gutsbesitzers ihr heimlicher weise neugeborenes Kind in ihre Schublade versteckt, wo es entweder erstickt oder erfroren ist. Die Leichenschau wird noch folgen; die Thälerin ist verhaftet. In Schmorkau bei Königsbrück feierten am 11. Februar der Gutsauszügler Joh. Gottlob Schubert und dessen Ehefrau das seltene Fest der diamantenen Hochzeit. Der Jubilar, im Alter von 86 i Jahren, ist noch so rüstig, daß er die Seinen in der Wirthschaft unter stützt, und die Jubilarin, 85 Jahre alt, erfreut sich noch leidlicher