Volltext Seite (XML)
Anzeiger für 7. Jahrg. Snnnabcnd, den 10. Zuni 1882. 67 Inserate werden bis spätesten- Mittags des vorhergehenden Tages des Erscheinens erbeten und die Corpusspaltenzeile mit 10 Pf., unter „Eingesandt" mit 20 Pf. berechnet. Erscheint wöchentlich drei Mal und zwar Dienstag, Donnerstag und Sonnabend (Vormittag). Abonnementspreis beträgt vierteljährlich l Mark 20 Pf. pr«sn»w«ri»n<1o. Zwönitz «nd Umgegen- Organ für den Stadtgemeinderath, den Kirchen- und Schulvorstand zu Zwönitz. Verantwortlicher Redacteur: Bernhard Ott in Zwönitz. Tagesbericht. — Chemnitz, 8. Juni. (Schwurgerichtssitzung.) Die Nach richt durchlief die öffentlichen Blätter, daß am 22. März d. I. auf hiesiger Post eine Kiste abgegeben worden sei, die den Leichnam eines neugeborenen Kindes enthalten und welche die Adresse eines Geist lichen im Gebirge getragen. Bei diesem war die Kiste angekommen, er hatte sofort die Sache zur Anzeige gebracht, die Sektion des Leichnams hatte ergeben, daß das Kind unmittelbar nach der Geburt gelebt, durch Entziehung der Luft aber getödtet, also den Erstickungs tod erlitten habe. Mehrere Wochen lang wurde nach der Thäterin geforscht, denn es lag auf der Hand, daß die eigene Mutter des Kindes die Mörderin sein mußte. Am 22. April d. I. endlich stellte sich die Thäterin in der Person der bisher unbestraften Näherin Bertha Selina Richler aus Stollberg, 42 Jahre alt, auf der hiesigen Staatsanwaltschaft'selbst und legte ein Geständniß ihrer That ab. Auch in der heutigen Hauptverhandlung hat sie dieses Geständniß, wenn auch nach einigen dringlichen Vorhalten, wiederholt. Demnach hat sie in ihrer Wohnung zu Stollberg in der Nacht vom 14. zum 15. März d. I. ein Kind männlichen Geschlechts geboren, unerwartet, weil sie die Zeit noch nicht gekommen glaubte. Sie hat Kindersachen nicht angeschafft, obwohl sie von dem Vater des Kindes bereits hin längliches Geld zu ihrer Niederkunft erhalten hatte, sie hat im Augenblicke der Geburt das Bette über das Kind weg- und ihm da durch die Luft entzogen, sie hat, wie sie dies beabsichtigte, also vor sätzlich, ihr Kind erstickt. Sie hat am 16. März morgens den Leich nam des Kindes in Stroh verborgen, ist mit demselben am 20. März hier in Chemnitz bei einer Schwägerin von ihr erschienen, hat am 21. März den Leichnam in eine Kiste in Stroh, Watte und Leinewand verpackt, hat sich durch den dreizehnjährigen Knaben ihrer Schwägerin die Adresse des betreffenden Geistlichen im Gebirge schreiben lassen, hat am 22. März Abends die Kiste durch den Knaben auf die Post tragen lassen. Die Adresse des Geistlichen, den sie näher durchaus gar nicht gekannt, hat sie nur deshalb gewählt, weil sie i» dem Glauben gestanden, daß dieser den Leichnam ruhig be erdigen werde. Am 23. März ist die Angeklagte nach Schneeberg zu einer Schwester gereist, ist hier mehrere Tage lang geblieben, dann nach Stollberg zurückgekehrt, hat hier bereits die Aufmerksam keit der Gendarmen erregt und von nun an mit dem Gedanken ge tragen, nach Amerika auszuwandern. Sie ist deshalb nach Leipzig zu einer Verwandten gereist, hat sich daselbst mehrere Wochen auf gehalten und von hier aus an den Rendanten beim Stadtrathe zu Stollberg August Hermann Schubert behufs der Vermittelung der Ausstellung einer Paßkarte geschrieben. Zwischen ihnen beiden haben mehrere Briefe gewechselt und Schubert ist in Folge dessen unter die Anklage gestellt worden, nach Begehung des Verbrechens, der Angeklagten wissentlich Beistand geleistet zu haben, um dieselbe der Bestrafung zu entziehen. Die betreffenden Briefe wurden verlesen. Nach Schluß der Beweisaufnahme beantragte der Staatsanwalt die Bejahung der Schuldfragen bezüglich beider Angeklagten. Die Ver- theidigung dagegen betonte lebhaft, daß der Angeklagte Schubert keine Wissenschaft an dem Verbrechen der Richter gehabt habe und gehabt haben könnte. Auf Grund des Wahrspruchs der Geschworenen wurde die Angeklagte Richter wegen Kindesmords unter Annahme mildernder Umstände zu 4 Jahren Gefängniß und zu Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf 4 Jahre verurtheilt, der Angeklagte Schubert von der ihm beigemeffenen Begünstigung freigesprochen. — Oschatz. Zu den bisherigen Ermittelungen in Betreff des Ullrich'schen Einbruchdiebstahls ist das „Oschatzer Tgbl." in der Lage, folgendes mitzutheilen: Es sind anscheinend drei Personen (Aus wärtige) an dem Diebstahl betheiligt gewesen, von denen zwei ding fest gemacht sind und sich bereits in Leipzig befinden. Dem Dritten ist es gelungen, nach seiner Inhaftnahme unter sonderbaren Um ständen zu entkommen. Die Persönlichkeiten sind ziemlich sicher fest gestellt und sind es bereits mit 10—15jähriger Zuchthausstrafe be legte Verbrecher. Die Festnahme geschah durch Herrn Polizeicom- missar Braun, der den einen der Diebe im Thiergarten in Berlin schlafend auf einer Bank entdeckte; vorgefunden wurden bei den Dieben zwei große Messer und ein Diamantreißer und Revolver. Von den gestohlenen Sachen ist vorläufig nur ein kleiner Theil, gegen 700 Mark im Werthe, herbeigeschafft. Nähere Data entziehen sich bis zum Abschluß der Untersuchung der Veröffentlichung. Nicht genug zu rühmen ist, nach dem Ausspruche des Herrn Ullrich, die außerordentlich zuvorkommende und liebenswürdige Art des Herrn Polizeikommissars Braun. — Döbeln. Ein schändliches Attentat ist auch hier an einem Kinde versucht worden zu verüben. Ein Mann aus Gärtitz, selbst verheirathet und Vater von 5 Kindern, bemächtigte sich am 5. d. M. in der Abendstunde eines 10jährigen Mädchens. Dasselbe erhob je doch Geschrei und der Mann ergriff die Flucht, wurde aber von den Verfolgern ergriffen und der Polizei übergeben. — Schöneck. Verhängnißvoll konnte das Unwetter am 30. Mai für 18 hiesige Turner werden, welche auf dem Rückwege von Karlsbad ca. 15 Minuten hinter Zwota auf der Straße nach Kotten- Heide-Schöneck vom Gewittersturme ereilt wurden und ihm 1^ Stunden auf offener Straße, stets in geschlossener Kolonne marschireud, ausgesetzt blieben. Zwei Mal schlug es dicht neben dem Zuge ein, das erste Mal in eine Fichte, das andere Mal in die Telegraphen leitung. — Leipzig, 6. Juni. Gestern früh gegen 7 Uhr hat im Keller des Restaurateurs Käubler in Plagwitz eine Gasolinexplosion stattqefundcn, durch die der Genannte, seine Ehefrau, Mutter und Schwägerin nicht unbedeutend verletzt worden sind. Durch den heftigen Regen am Sonntag Abend war Wasser in den Keller ge drungen, welches zu beseitigen der Besitzer des Restaurants in dem selben gegangen war. Er fand hier die in einem Korbe befindlich gewesene Gasolinflasche auf dem Wasser schwimmen und einen Theil der Flasche ausgelaufen. Die Warnung an seine Leute, mit Licht nach dem Keller zu gehen, so lange nicht das Gasolin entfernt wor den, mag wohl unbeachtet geblieben sein, infolge dessen das auf dem Wasser obenauf schwimmende Gasolin sich entzündete und die Explo sion, die auch die Thür zertrümmert hat, erfolgte. Deutschland. Die am Sonntag in Potsdam stattfindende Taufe des Urenkels des Kaisers ist nicht nur eine Familienfeier im Schooße unseres erhabenen Kaiserhauses, an welcher das gejammte deutsche Volk freudig Antheil nimmt, sondern auch ein Act von un verkennbar politischer Bedeutung. Dieselbe giebt sich namentlich durch die Theilnahme des Königs Humbert von Italien — obschon es bis zum Donnerstag noch nicht seststand, ob der König persönlich in Berlin erscheinen würde — und des Kronprinzen Rudolf von Oester reich an den Taufseierlichkeiten kund, denn hierdurch werden die Bande, welche Deutschland und sein Kaiserhaus mit Italien, besonders aber mit dem stammverwandten Oesterreich, verknüpfen, unzweifelhaft vermehrt und gekräftigt werden, welche Empfindung hoffendlich auch bei den Völkern Oesterreichs und Italiens vorherrschend sein wird. Der Reichstag hat nach dreiwöchentlicher Pause am Dienstag seine Verhandlungen mit der zweiten Berathung der Zolltarif-Novelle wieder ausgenommen. Die in derselben vorgeschlagenen Zollerhöh ungen wurden fast sämmtlich gegen die Stimmen des Centrums und der Conservativen, deren Reihen nur schwach besetzt waren, abge lehnt. Der Sitzung wohnte auch der Reichskanzler Fürst Bismarck auf kurze Zeit bei. In der folgenden Sitzung am Mittwoch wurde zunächst der Antrag des secessionistischen Abgeordneten Or. Barth auf Aufhebung des Schmalzzolles in zweiter Lesung berathen. Nach einigen einleitenden Worten des Antragstellers und einer Erwiderung des Directors im Reichsschatzamt, Burchard, hielt der Abgeordnete v. Ludwig, das „entstut tsrrible" der conservativen Partei, eine donnernde Philippika gegen seine Fractionsgenossen, denen er in