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Nr. 20S. Montag» s. September 1913. 8. Jahrgang. Dies« Nummer umfaßt 8 Seiten. Das Wichtigste vom Tage. Nach einer Erklärung in der Nordd. Allg. Ztg. werden die deutschen Bundesfürsten die Höhe der von ihnen freiwillig übernommenen Wehrbeiträge so bemessen, als ob sie den Gesetzesbestimmungen des Wehrbeitrages un- terworfen wären. * Das neue Marineluftschifs L. 2 ist gestern nach mittag unter Führung des Grafen Zeppelin zu seiner Werkstättenfahrt aufgestiegen, dte einen befriedigenden Verlauf nahm. * In Brtttsch-Zndten sind bet einem Wolkenbru^ in der Gegend von Hoshiapur ISO Personen ertrunken.*) * * In der Nähe von Ehakkt im Tergevergeblet sand ein mehrstündiger Zusammen st ost zwischen rus sischen und türkischen Truppen statt, wo. bet letztere bedeutende Verlust« erlitten haben sollen. * Der amerikanisch« kl«tn« Kreuzer De» Mo ine» hat Befchl erhalten von Venezuela nach San Domtnga zu gehen, wo sich «in Aufstand erhoben hat. , Da» chinesische Ministerium ist zurückgetre. ten und dte Bildung eines neuen Kabinette» Im Entstehen begriffen. »> riL-ert« fiih« an andern Elelle. 3M- Mutmaßliche Witterung am S. September: Kein« Aenderung, im Gebirge Nachtfrost. -Wc Das umworbene Neugriechenlanä. Griechenland ist in den beiden Balkankriegen zwei fellos am meisten vom Glück begünstigt gewesen. Ob dieses Glück der gerecht« Lohn für Wirkliche Tüchtig- kett war, darüber läßt sich Wohl noch streiten? aber da» kommt in einer Zett, dte wie kaum je eine ander« den gegenwärtigen Erfolg anbetet, auch nicht in Frage. Ge. Witz haben die Griechen bewiesen, daß sie seit den Tagen, Wo sie von den Türken kläglich geschlagen wurden, über raschende Fortschritte in der Entfaltung ihrer politischen Kräfte gemacht haben, aber daß sie ein so große- Ge biet de- ehemaligen Besitze- der ottomantschen Regie rung erobern, besitzen und behaupten und in den Friedensunterhandlungen in Bukarest viel besser als di« Serben abschneiden konnten, das haben si« doch in der Hauptsache der Gunst äußerer Umstände zu ver danken. Sie besitzen in Saloniki jetzt das zweitbeste Aus- falltor des Exporthandels der Ballanländer, dazu in Kawala einen ausgezeichneten Stützpunkt für ihre junge Seemacht. Zu dem Gebiete, da» ihnen zugefallen ist, gehören die Hauptstätten der Tabakkultur in Maze donien. ES scheint nun, als Wolle den Griechen für die Ausnützung der sich ihrem Unternehmungsgeiste in den neuen Provinzen und unter den neuen, Verhält nissen im nahen Orten bietenden Gelegenheiten das Glück weiter hold bleiben. Dte aussicht-volle Zukunft Neugriechenland« als ein« achtenswerte Seemacht im Mtttelmeer bringt e» mit sich, daß es von vielen Seiten umworben wird. Am meisten von Frankreich. In dem ziemlich schwankenden Kur-, den dieses während der orientalischen Krise einhielt, war noch immer die ste- tigste und deutlichste Richtung da- Streben, Griechen land zu Gefallen zu sein. Man wittert am Quai d'Orsay in Neugriechenland den künftigen Rivalen Italien«, dessen seepolittsche Machtentfaltung den Franzosen seit dem Tripolt-kctege di« ernstesten Besorgnisse um ihren eigenen Anspruch auf die Vorherrschaft im Mtttelmeer einslößt. Die französisch« Diplomatie hat Griechenland in der Jnselfrage wie im S.rett um Kawala dte Stange gehalten, unbekümmert um di« entgegengesetzten Be strebungen de« Petersburger Kabinett». Erwägt man, von wie großer Verstimmung damals die russischen Pretzäutzerungen über yranneich» grtechensteundltche Haltung zeugten, so kann man den Aerger verstehen, mit dem man in Frankreich jetzt den Besuch König Kon- stantin» in Deutschland erörtert. Man Weitz, datz Griechenland auch mit dem Verhalten der deutschen Diplomatie während der Bukarester Unterhaltung sehr zufrieden sein kann, und darum befürchten die Pariser Blätter, daß Kaiser Wilhelm di« Gelegenheit benützen w '-rde, auf seinen Schwager etnzuwirken. Zn besonder» di stre Stimmung ist der Gauloi- versetzt worden: Go solide dte Freundschaften sein mögen, die wir uns auf dem Balkan und besonder- in Griechenland erworben halben, müssen wir uns darauf gefaßt machen, daß uns ein ziemlich lebhafter Kampf bevorsteht, um dieseFreund- schasten M bewahren, und den Nutzen, den wir uns versprochen, au» ihnen zu ziehen. Sine Rivalität der Einflüsse bereitet sich vor und wird unsere Diplomatie zwingen, eine dauernd« Wachsamkeit und ernste An strengungen an den Tag zu legen. Man hat aus deutscher Seite gewiß keinerlei Ur sache, sich über die Frag«, ob Griechenland künftig mehr zum Dreibund oder zur Tripelentent« neigen Wird, ähn lich aufzuregen wie dte Franzosen. Bei genügender Geschicklichkeit kann sich dte deutsche Diplomatie ein gewiss«» Maß griechischer Sympathie dauernd erhalten, indem si« sich bemüht, dte Roll« de» Ehrlichen Maklers zwischen Athen und Rom zu spielen. Andererseits wäre v» verfehlt, wollten wir die wettzielenden ehrgeizigen? Bestrebungen Neugriechenlands allzusehr begünstigen. Die griechische Bevölkerung wird Wohl nach Wie vor mehr zu Frankreich al» zu Deutschland halten; deren Freund. schäft für Frankreich entspricht ihren Neigungen, ihre augenblicklichen guten Empfindungen für Deutschland entspringen fast lediglich dem Gefühl der Dankbarkeit, das erfahrungsgemäß die unsicherste Grundlage für dauerhafte Verbindungen abgtbt. GS ist zu erwarten, daß dis bisherigen infolge den neugriechischen Im perialismus zu gesagten politischen Experimenten an treiben Wirst», di« die gegenseitigen Beziehungen der Balkandvlker immer Wieder beunruhigen würden. In solch« Reibereien, an denen natürlich Italien in der Regel lebhaft interessiert sein Wird, infolge unserer Zuneigungen Mr Neugriechenland allzuoft verwickelt zu werden, hat gewiß nicht» mit den dauernden Interessen Deutschland» in der Levante zu tun. Vertauschte Nollen im Dreibunä. Es ist noch nicht sehr lange her, seit Fürst Bülow als Reichskanzler halb im Scherz und 'halb in bitterem Ernst von den Extratouren Italiens sprach und während des Kongresses von Algeciras das Kaisertelegrantm vor! Berlin nach Wien den Dank für treu geleistete Sekun- danten-Dtest« übermittelte. Und doch, wie viel hat sich in dieser verhältnismäßig kurzen Zett geändertl Oesterreich Ungarn leitete mit der Einverleibung von Bosnien und der Herzegovina den Umschwung der Dinge auf der Ballanhalb- ins«! «in und zog sich den Groll von ganz Europa zu, mit Ausnahme von Deutschland, da» den starken Schild vor den Bundesgenossen hiett, wogegen dte Beziehungen -wischen Italien und dem Deutschen Reiche «ine Erkältung erfuhren, da ln dem trtpolitanischen Unternehmen die Sympathien de» deutschen Bolle» sich der unglücklichen Türket -uwandten. Heute find die Rollen geradezu vertauscht. Die Herren in Wien schmollen noch immer, haben ganz dte Zeit ihre» über- schm endlichen Danke» Mr die Nibelungentreue verges. fen und quittieren heute dafür, indem sie, wie in einer Wie- ner Zuschrift an das Berliner Zentrumsorgan Germania zu lesen war, darüber jammern, daß Oesterreich-Ungarn seit den Tagen von Algeciras unter einem schwerem Drucke mi litärischer Lasten zu 'seufzen habe. Da» heißt denn doch dte Welt auf den Kopf stellen. Wer anders war «» denn al» Gras Aehrenthal, der durch seine Balkampoltttt den Argwohn und Neid Rußlands herausfoüderte, die Serben reizte und nach deren Rüstungen die Doppelmonarchie zu den kostspieli gen Mobilisierungen nötigte? Ist nicht andererseits das deutsche Boll gezwungen worden, die Kosten der großen Mi litärvorlage aus sich zu nehmen, nur weil durch dte im letzten Grunde von Oesterreich-Ungarn verschuldete Umwälzung auf dem Balkan die Gefahr eines Krieges vergrößert wurde und die Möglichkeit zugunsten de» Bundesgenossen da» Schwert ziehen zu müssen, näher rückte? Jene Wiener Verdrehung der Tatsache ist auch so ein« Art Dank vom Hause Habsburg. Um so t nntg er hat sich im Laufe dieses Jahre» da» Verhältnis zwischen Italien und Deutschland gestaltet. Die Zeiten find vorüber, da man in Rom, Mailand und Turin von den natürlichen Banden der lateinischen Echwesternattonen schwärmte. Dte Erfahrungen, die di, italienische Regierung während de» nordafrikanischen Gewißheit. Skizze von Maurice Level. rffachd rk u.-iy e .) Ganz plötzlich hatte die Krankheit ste überfallen, in voll ster Lebenskraft, in der Fülle ihrer Freude. Vierzehn Tage lang hatten die Aerzte ihren armen, gepeinigten Körper stunde um Stunde, Schritt um Schritt, verteidigt. Dann nahte da» Ende, dte Bewegungen wurden ruhiger, die Sttm- men um ste her waren Mr noch ein leise» Flüstern, und ein düsteres Schweigen der Hoffnungslosigkeit senkte sich über das Zimmer Wit den geschlossenen Fensterläden und den Tischen, die mit leeren Medizinslaschen bedeckt waren. Armer Freund, verlaß sie nicht mehr! hatte man dem Gatten gesagt. Und so stand er, hatte die Arme aus da» Fußende de» Bette» gestützt, lehnte sein Kinn auf dte geschlossenen Fäuste und ,ah die mit dem Tode Ringende, ganz stumpf geworden, an, indem er seine Atmung mechanisch ihrem AuffchlUcken un paßte. Gegen Abend öffneten sich di« Augen. E» war ihm, al» ob ihr bereits getrübter Blick sich hartnäckig in den sei nen bohrte, al» ob ihre Lippen sich bewegten. Gr nähert« sich ihr, sank neben ihr in Vie Kni«, preßt« die Stirne in da» Bettuch, nahm ihre k'etne, gebrechliche Hand und fragt«: Was wünschest du, mein Liebling? Sie flüsterte: Hör' gut zu. In dem kleinen Schränkchen, in dem ich m«tne Bänder aufbowahrte, wich du gam hinten in einer Schublade ein Päckchen Briefe finden. Nimm ste an dich E» find di« Brief«, di« wir un» vor unserer Hochzeit schrieben. Ich will nicht, daß sie mich überleben. Ich will auch nicht, daß du fi« später durchlieft. Da» tut zu weh. Dann wtiadch du si« Vergessen, würdest sie tränen!»» vernichten. Und später — du bist jung — dir gehört da, Leben — kann man jemal» wissen —? Vielleicht würde «in» andere fi« in dein« G-' fellschaft durchlesen. Ich will da» nicht. Nimm ste, verbrenn« ste alle, sofort! Er schluchzte: Schweig! Du wirst nicht — Er fühlt«, wie die bereit» kalten Finger in den seinen steif wurden, und erriet mehr, daß sie sagte, als daß er.es wirk lich hörte: Doch, doch, ich werde sterben. Er erwiderte nichts und richtete feine Schritte nach dem Sch'änkchen. Ein in timer, ast heißer Geruch stieg aus der Schublade auf. Er suchte die Briefe zwischen den Bändern hervor, deren Seide an seinen Nägeln hängen blieb, hob sie über das Kamin- seuer und sagte: Du stehst, daß ich dir gehorche. Sie erhob den Kopf und stammelte: Ich danke dir. Er öffnete die Hände. Die Flamme verzehrte da» um dte Briese geschlun gene Band und diese breiteten sich jetzt wie ein weiße» Tisch tuch auseinander. Er zeigte ihr seine leeren Hände und sagte dann fast leise: Es ist geschehen! Doch, da st« dte Augen schloß und ihn weder zu sehen noch zu hören schien, wurde sein Herz von Zweifel »der Bedauern erfaßt. Und er fügt« hinzu: Und wenn ich jetzt eifersüchtig wäre, mein Liebste»? Sie preßte die Lippen zusammen und blieb un beweglich. Aber unt«r ihren halbgeschlossenen Augenlidern haftete ihr Blick hartnäckig am Feuer, bis von allen Briefen nicht, übrig -lieb al» ein Haufen schwarzer Asche, der die grau, Asche de» Hölz«, beschmutzte. Und von neuem begann fi« zu röcheln. Am anderen Tag« atmet« fie noch. Al» der Arzt au» ihrem Zimmer hinau»trat, sagt« er: Ich versteh« «» nicht. E» ist ganz unbegreiflich. E» scheint ihr besser zu gehen! Wir wollen abwarten. Man wartete auf den Abend, man «artete auf den nächsten Morgen. Da» Röcheln li^i all mählich nach, ein Schein von Leben ging über da» «Mahle Gesicht, nach und nach begann die Genesung. Al, man dem Gatten verkündete, daß fi« gerettet sei, daß sie nur noch Zett, Pflege und Ruh« brauche, antwortet« er, al» ob er au» »'nem Traum erwachte: In, ich werd« ste pflegen. Man brachte sie auf» Land hinaus. Man legte ste auf eine Ähatse» 'longur im Gatten. Ganz winzig lag fie da unter den Decken und Tüchern. Tr blickte fie an, nahm «inen Stuhl und setzte sich zu ihr. Sie reichte ihm die Hand und sagte ganz leise: Ich bin glücklich, sehr glücklich. Er legte dte Hand unter die Decke zurück und antwortete: Sprich nicht. Liebst du mich? fragte ste. Er erwiderte: Verhalte dich ruhig. Sie drang in ihn: Bist du glücklich? Er runzelte die Brauen und beugte sich über ste: Bon wem waren dte Briefe, dfe ich verbrennen mußte? Ihr armes, blasse» Gesicht wurde noch blasser. Von wem? Mein Gott, kannst du glauben — stammelte ste. Mit dumpfer, fast haßerfüllter Stimme wiederholte er: Bon wem? Von wem? Sie versuchte sich aufzurichten. Was glaubst du denn? Ich schwöre dir — Er stemmte die Ell bogen auf seine Knie, preßte die Daumen in seine Ohren und hörte nicht auf sie. Sie stotterte: Noch einmal frage ich dich, was glaubst du denn? Ich schwöre dir Und da er immer noch schwieg, verbarg fie das Gesicht in den Händen und weinte: Welche Schmach! Welche Schmach! Da der Abend herabsank, stand er auf und sagte: Mr wol len hineingehen, es ist Z^it! Sie nahm seinen Arm, und ste schritten langsam dem Hause zu. Am anderen Morgen, wie an allen folgenden Tagen, kehrten sie müden Schrittes, ohne miteinander zu sprechen, in den Garten zurück. Dte Leute, welche ihre matten Bewegungen, ihr« Schweigsamkeit beobachteten, sagten: Der Tod hat ste -u nahe gestreift. Wenn ste Leide geheilt sein werden, -wird da» vorübergehen. Aber «» ging nicht vorüber. Gr fragte sich: Warum hab« ich ihr gehorcht? Warum hab« ich jene Briefe ver- ntchtet? Ach! Nur G-wißhett darüber, von wem fie waren, welche Worte er ihr sagte, .welche Liebkosungen jene Sätze heraufbeschworen! Und wenn er mit müdem Kirn Lei dieser unheilvollen Untersuchung stehen blieb, überfiel ihn eine nn!» Furcht: Und wenn sie doch die Wahrheit gesagt hätte?