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Mittwoch, 1v. Oktober IWtt. Rr. 34. Erster Jahrgaug. 5luer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge NrrontmorNichcc Ncdoktkiir: Fritz Arnkol>. Ftir dir Inserate verantwortlich: ?llbert Fitch sei, beide i» Aue. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. Sprechstunde der Redaktion mit Nusnahme der Sonntage nachmittags von —!> llhr. — TelegraniinNdrcsse: Tageblatt Aue. — Fernsprecher 202. Für unverlangt eingesandte Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Druck »nd Verlag: Gebrüder Veuthner ()nh.: f>aul Leuthner) in Ane. Bezugspreis: Durch unsere Boieu frei ins Naus monatlich ',n Pfo. Bei der Geschäftsstelle abgcholt monatlich Ho Pfg und wdchenllich »o pfg. — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich ».so Mk. — Durch den Briefträger frei ins Haus vierteljährlich >.<)2 Mk. — Einzelne Nummer >o Pfg. — Deutscher postzeilungs- kataloa Nr. — Erschein» täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Son», und Feiertagen. 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M bcschlos- sen, bei Reichs- und Llaalsrcgierung noch nm Ad Hilfe der Fleischten kennst vorstellig zu werdend » Die chinesische Stadl Linein ist für den aus- wärtig e n Handel st e ö s sncl werden.* Ve> suchssahrten des Gras e n Z epveli n mit seinem neuen lenkbar c n Luslschi s s e am geslristen Tage iver- den als vollständig gelungen bezeichnet? Ter b r a u n i ch >v e i g i s ch c sandln st ist ntunnebr end gillig an» den I dl. Oktober einbrruse n worden. Rach einer amtlichen Meldung ans Dcu > sch - S ü d w e st - asrika ist cs dort nenerdings zu mehreren kleinen Gefechten mit Hottentotten stekomincn. Alle Angriffe des GestiierS wnrden abstrschlage n. In Teheran ist das erste persische P arla in e n l cross- ncl worden. In Lodz und säiniliche Fabrikarbeiter in den Ans- stand getreten, einer englischen DepniaUon in Moskau soll die beabsichtigte Ekrniist rbemaliger T u mamitgli eder verboten werden. ' * Näheres siehe unten. Die (Krneltenmg -es Dreibundes. - Die Reise unseres Staatssekretärs des Auswärtigen Amts nach Men und Rom verfolgt unverkennbar den Zweck, eine Erneuerung des Dreibundes, der bekanntlich im Jahre I!>08 abläuft, zu erzielen. Viel Zeit, um unsere Beziehun gen mit Italien ins Reine zu bringen, ist nicht mehr vorhanden, denn die Kündigungsfrist der Tripelallianz ist in wenigen Mo naten, nämlich am 1. Januar l!l07, fällig, zwar würde der Dreibund automatisch weiterlausen, wenn er nicht während des nächsten Jahres von einem der drei beteiligten Staaten gekündigt wird, aber man hat in der Wilhelmstraße osfenbar kein rechtes Vertrauen zu der Haltung Italiens. Des halb will man beizeiten wissen, woran man ist. um nicht mit einem unsicheren Faktor rechnen zu müssen. Wie aus gut unterrichteter Wiener Quelle verlautet, haben die beiden Kaisermächte indessen nicht die Absicht, sich mit einer Rekonstruktion des Allianzvertrages auf deralten Basis zu be gnügen, sondern sie wollen eine Erweiterung bezw. Er gänzung anstreben. Es handelt sich dabei vor allem, die be kannten Gegensätze auszugleichen, die zwischen Italien und Oesterreich-Ungarn immer wieder Reibungen Hervorrufen und in einem seltsamen Gegensätze zu den verbrieften und versiegelten Freundschaftsbeziehungen zwischen den Kabinetten von Wien und Rom stehen. Diese „Unstimmigkeiten" rühren einerseits von der irredentistischen Propaganda in den italienischen Landesteilen Oesterreichs her, die von Italien aus gefördert wird, und andererseits sind es die Aspirationen des apenntnischen Königreiches aus dem Balkan, welche dort auf den Widerstand der traditionellen österreichischen Orientpolitik stoßen. Bei uns in Deutschland unter schätzt man leider die tiefergehenden Differenzen, welche zwischen unseren beiden Bundesgenossen stets von neuem Unfrieden stiften. Die heftigen Zusammenstöße zwi schen Kroaten und Italienern, deren Schauplatz kürzlich Fiume und einige dalmatinische Küstenstädte waren, haben wieder in Italien viel böses Blut gemacht, und das römische Kabinett sah sich sogar veranlaßt, im Wiener Auswärt. Amte eine beträchtlich hohe Schadenersatz-Rechnung einzureichen für die Verluste, welche in Fiume und Dalmatien angesiedclte Reichsitaliener bei den Kravallen an ihrem Vermögen eingebllßt haben. Ferner ist es höchst bemerkenswert für die gespannte Situation, daß die habs burgische Monarchie seit einiger Zeit militärische Vor kehrungen trifft, die sich unverkennbar gegen Italien rich ten. d. h. mindestens den Zweck verfolgen, die in früheren Jahren vernachlässigte militärische Sicherung Süd-Tirols sowie der Kü stenlande wiederherzustellcn. Denn anderes laßen sich die fort währenden Truppenverschiebungen nach diesen Provinzen nicht erklären. Aber auch Italien konzentriert die Hauptmacht sei ner Streitkräfte in dein berühmten Festungsvierek in der Po- ebene, wogegen cs an der französischen Grenze eine ganze Anzahl von Garnisonen ausgelassen hat. Und eben jetzt geht die Nach richt durch die Prcsie, daß der italienische Marineminister eine Forderung von l2ü Mill. Lire zwecks Erbauung einer neuen Schlachtschiffs-Division im nächsten Ministerrate einbringen wird mit der Motivierung, daß Oesterreich ebenfalls die Schaffung einer neuen Schlachtschisss-Division beschloßen habe. Also ein recht nettes Vundesverhältnis, bei dem die beiden guten Freunde einander bis an die Zähne gerüstet kampfbereit gegenüber stehen, anstatt Schulter an Schulter gegen einen dritten zu kämpfen! Es versteht sich also von selbst, daß bei den Verhandlungen zur Erneuerung des Dreibundes diese Dinge zur Sprache gebracht werden müßen, denn ein derartiges Mißtrauen muß auch den fe stesten Bündnisvertrag schließlich wertlos machen. Wenn die Tripelallianz in Kraft bleiben soll, so muß zwischen Rom und Wien vollständige Klarheiten geschahen und das Trennende be seitigt werden. Die beiden Staaten haben sich vorerst ehrlich über ihre Valkanpolitik auszusprechen und sich hierin ge nau zu einigen; sodann hat die italienische Regierung dafür zu sorgen, daß die irrendentistischen Umtriebe in Oesterreich keine Unterstützung von reichsitalicnischer Seite aus erfahren, währ end umgekehrt die österreichische Regierung die Untertanen ita lienischer Nationalität so behandelt, daß sie keine Ursache zur Un- Zufriedenheit haben. Zu diesen Verpflichtungen wird man sich sowohl in Rom wie in Wien bequemen müßen, wenn man den aufrichtigen Willen hat, an der Tipelallianz festzuhalten, und in diesem Sinne wird voraussichtlich auch von Berlin aus auf unsere beiden Bundesgenoßen eingewirkt werden. Jeder aufrichtige Friedensfreund wird das Fortbestehen des Dreibundes innigst wünschen, denn sein Ende würde nicht nur den Feinden Deutschlands einen Neuen zugesellen, sondern auch über kurz oder lang zu einem Kriege zwischen Oesterreich-Ungarn und Italien führen. Dagegen laßen sich bei einer Revision des Dreibundvertrages die Friedensbürgschaften nicht nur erhöhen, sondern auch die österreichisch- italienischen Gegensätze auf diplo matischem Wege schmerzlos beseitigen. So könnten beispielsweise die österreichischen Behörden die ihr redentistische Agitation spie lend leicht unterdrücken, wenn sie nicht immet von Italien aus genährt werden würde. Auch auf dem Balkan ist für die beiden Großmächte genug Ellbogen-Freiheit, aber man empfindet es in Wien peinlich, daß der Fürst von Montenegro, der Schwieger vater des Königs Viktor Emanuel, dem österreichischen Nachbar gegenüber eine Politik der Nadelstiche verfolgt, und als Quar tiermacher Italiens die intereßanten Völkerschaften in Albanien nicht zur Ruhe kommen läßt. Gerade aber die kleinlichen Zän kereien pflegen am meisten zu erbittern und so erklärt sich die gereizte Stimmung, welche in der Wiener Hofburg gegen den un angenehmen Vundesgenoßen herrscht. Aber die Diplomaten des Dreibundes müssen bei der Er neuerung des Dreibundes ganze und nicht halbe Arbeit leisten, denn sonst würde nur das Eine erreicht werden, daß Italien sich zwar für eine weitere Reihe von Jahren als dritter Mann beim Skat festhalten ließe, im Spiele aber gegen die beiden andern mo gelte, so viel es nur anginge. Ein unsicherer Bundesgenosse ist aber schlechter als gar keiner! Politische Tagesschau. Verrt-ehe» Neieh. Aue, IO. Oktober IMN. Eine neue Polenvorlage in Sicht? Die Behörden gehen jetzt in Posen mit großer Schärfe gegen die ungebärdigen Polen vor, die es durchaus verhindern wollen, daß ihren Kindern der Religionsunterricht in deutscher Sprache erteilt wird. Einen besonders gehässigen und aufreizen den Ton schlagen dabei die polnischen Blätter an, die sich in den heftigsten Angriffen aus die Regierung geradezu aus toben und dabei Eist und Galle gegen die Deutschen überhaupt speien. Es handelt sich hier offenbar um einen schon vor längerer Zeit wohlorganisierten Widerstand, um eine trotzige Auf lehnung, die nicht auf einen plötzlichen Temperamentsaus bruch zuriickzusllhren ist. Unzweifelhaft ist die revolutionäre Be wegung in Russisch-Polen unseren polnischen Landsleuten in dcn Kopf gestiegen, und sie huldigen jetzt der falschen Ansicht, daß die Zeit jetzt auch für ihre nationalen Wünsche günstig sei. Aber trotzdem würden wir es für einen schweren Fehler halten, wenn diepreußische Regierung unter den erregten Polen mit einer Des Kaisers Zorn. Um Hohenlohes Memoiren. Des Fürsten Elodwig Hohenlohe s Mitteilungen über die Geschehnisse jener „hanebüchenen Zeit", da dem Fürsten Bismarck die Zügel der Regierung aus den Händen genommen wurden, ha ben in der ganzen Welt diejenige Beachtung gesunden, die ihnen ihrer Bedeutung nach zukommt, und sie haben den Anstoß zu neuen, oft recht leidenschaftlichen Debatten über die Personen gegeben, die in der Bismarcktragödie eine Rolle gespielt haben. Unter ihnen befindet sich in vorderster Reihe Kaiser Wil Helm ll. Ihm ist die Erinnerung an jene schwülen Märztage des Jahres 1890 schmerzlich und denen, welche den Schatten des ersten Kanzlers jetzt wieder vor ihm cmporsteigen ließen, weiß er keinen Dank. Kaiser Wilhelm hat, wie wir schon berichteten, an dcn Fürsten Philipp H o h c n l o h c - S ch i l l i n g s s ü r st aus Schloß Podjebrad in Böhmen ein Telegramm des Inhaltes gerichtet, daß er von den in den Zeitungen erfolgten Publika tionen über Bismarcks Entlassung mit der größten Entrü - stung Kenntnis erhalten habe. Er bezeichnet diese Publikationen als eine grobeTaktlosigkeit, da ohne seine vorherige Er laubnis Angelegenheiten, die seine Person betreffen, und un absehbare Konsequenzen nach sich ziehen können, ver öffentlicht wurden. Kaiser Wilhelm spricht bei diesem Anlaß dem Prinzen Alexander Hohenlohe seinen schärf st en Tadel aus. — Fürst Philipp Hohenlohe-Schillingssürst ist als ältester Sohn des dritten Reichskanzlers der Chef der jüngeren Linie des Hohenlohc-Schillingsfilrstschen Hauses. Prinz Alexander Hohen lohe in dessen Auftrage die Memoiren herausgegeben wurden, ist der jüngere Bruder des Fürsten Philipp. Er ist kaiserlicher Be- zirkspräsident von Oberelsaß und war früher Reichstagsabgcord- neter . Fürst Philipp Hohenlohe hat nun, wovon wir ebenfalls in unserer gestrigen Nummer telegraphisch schon Kenntnis gaben, telegraphisch dem Kaiser versichert, daß er von der Publikation keine Kenntnis hatte. Die Memoiren, die von Profeßor Eurtius in Straßburg herausgegeben wurden, seien Eigen tum seines Bruders Alexander. Er selbst habe nicht einmal ihren Inhalt gekannt und auf die Veröffentlichung nicht den geringsten Einsluß genommen. Es sei ihm bekannt gewesen, daß die Publi kation der Memoieren für eine spätere Zeit bestimmt war. Er sei selber über die unzeitgemäße Veröffentlichung gerade d i e- ser Partien der „Denkwürdigkeiten" entrüstet und begreife dcn berechtigten Unwillen des Kaisers. Ob Prinz Alexander Hohenlohe verpslichtct gewesen ist, die Erlaubnis des Kaisers zur Publikation der Memoiren seines Va ters einzuholen, bleibe dahingestellt. Die Oessentlichkeit, die schon langc ein Recht hatte, die volle Wahrheit über die Vorgänge zu erfahren, die zur Entlassung Bismarcks führten, wird ihm jeden falls keine Vorwürfe machen. Was soll denn die Publikation der Auszeichnungen des alten Hohenlohe für schlimme Konsequenzen nach sich ziehen? Für den Kaiser kann diese Veröffentlichung nicht den mindcstvn Nachteil haben; im Gegenteil: das Gesamtbild seiner Persönlichkeit kann dadurch nur gewinnen. Ist also für den Kaiser nur höchstens insofern Grund zum Unmut vorhanden, als Prinz Hohenlohe eine Form nicht er füllt hat, auf deren Erfüllung der Kaiser glaubte rechnen zu dür fen, so ist der Zorn jener Kreise Uber die Veröffentlichung der Hohenloheschen Memoiren, die der Familie Bismarcks nahe ge standen haben, desto begreiflicher. Die Hamburger Nach richten, in deren Spalten Fürst Bismarck nach seiner Entlassung zum deutschen Publikum zu sprechen pflegte, halten denn auch mit dem Ausdruck ihres Zornes nicht zurück. Sie bezeichnen die Ver öffentlichung der Hohenloheschen Tagebuchblätter als vollkommen überflüßig und gehen sogar so weit, den Mitteilungen des dritten Reichskanzlers Uber die Vorgänge bei der Entlastung des ersten Kanzlers die Glaubwürdigkeit abzusprcchen. Das Blatt schreibt u. a.: „Was die Behauptung betrisst, Fürst Bismarck habe es dem Kaiser gegenüber an Ehrerbietung fehlen laßen, so ist das Eün- stigst e, was wir in Bezug aus sie annehmen können, daß sie auf rein subjektiven Ansichten und Auffassungen beruht. Fürst Bismarck war in erster Linie Royalist „bis aus die Knochen" und fühlte sich stets als Vasall seines Herrn, außerdem war er viel zu wohl erzogen, als daß er sich seinem König und Herrn und dem Eroßherzog von Vaden gegenüber ein Benehmen hätte zu schulden kommen lassen sollen, daß er im Begriff gewesen sei, den Respekt vor dem Kaiser zu verlieren oder dem Eroßherzog von Baden „grob" zu werden. Wir haben übrigens die bekannte „Tintensaßlegende" schon vor Jahr und Tag wiederholt als gänz lich unbegründet zurückgewiesen. Daß zwischen dem Fürsten Bis marck und dem Kaiser Differenzen wegen Rußland be standen haben, ist richtig, aber wir haben aus dem Munde des Fürsten Bismarck wiederholt gehört, daß sie sich in der Hauptsache auf die Behandlu » g des Zaren bezogen, z. B. auf Reisen, die Kaiser Wilhelm II. nach Petersburg zu machen gedachte, und ähnliches. Die Verstimmungen des Kaisers über Einwände, die Fürst Bismarck gegen diesbezügliche Absichten des Kaisers erho ben, haben diesen allerdings mehrfach stark beeinflußt, so daß er eines Tages, als er mit dem Fürsten zum Reichskanzlerpalais fuhr und die russische Sache wieder lebhaft erörtert wurde, den Wagen plötzlich halten und den Fürsten ausstei gen ließ." Das muß auch eine böse Szene gewesen sein. Im übrigen bestreitet das frühere Vismarckorgan mit aller Entschiedenheit, daß der erste Reichskanzler den Kaiser zu einer Gewaltpo litik gegen die Arbeiter habe drängen wollen. Es sei dem Fürsten Bismarck niemals in den Sinn gekommen, dem Kai ser eine Politik zuzumuten, deren Ausführung die Befürchtungen übler Nachrede gerechtfertigt haben würde, welche der Kaiser